Im Kehricht steckt Potenzial
Im Recycling gehört die Schweiz zu den Spitzenreitern in Europa: PET-Flaschen werden zu 80 Prozent wiederverwertet. (Bild: Keystone)
Was landet am häufigsten im Schweizer Kehrichtsack? Und wie hat sich dessen Zusammensetzung im Laufe der Zeit verändert? Antworten auf diese Fragen liefert die jüngste Kehrichtsackanalyse des Bundesamts für Umwelt (Bafu). Darin werden die Ergebnisse der Sortierarbeit von 16 Tonnen Abfall aus 33 repräsentativen Gemeinden der Schweiz dargestellt. Die Ergebnisse zeigen: Beim Recycling gehört die Schweiz zu den Spitzenreitern in Europa. PET- oder Glasflaschen beispielsweise wurden nur selten im Kehricht gefunden. Sie werden zu über 80 Prozent respektive 97 Prozent separat gesammelt. Trotz des Wirtschaftswachstums ist die Abfallmenge, die jedes Jahr in den Kehrichtsack geworfen wird, gegenüber der letzten Analyse im 2012 um fast 60 Kilo pro Person auf 148 Kilogramm gesunken. Die Abnahme verteilt sich mit einer Ausnahme bei den Sonderabfällen auf alle untersuchten Abfallkategorien (siehe Abbildung 1).
Abb. 1: Die Abfallmenge in der Schweiz ist in beinahe allen Kategorien gesunken
INTERAKTIVE GRAFIK
Anmerkung: Aufgrund von Rundungen kann es zu Abweichungen kommen.
Quelle: Bafu (2023). Bericht zur Erhebung der Kehrichtzusammensetzung 2022 / Die Volkswirtschaft
Vom Teller in den Kübel
Es gibt jedoch ein Aber: Es besteht weiterhin Handlungsbedarf. So landen jedes Jahr mehr als 464’000 Tonnen biogene Abfälle (Gartenabfälle, Rüstabfälle und andere Lebensmittel), 176’000 Tonnen Plastik und 39’000 Tonnen Metall im Kehrichtsack. Ein Abfallberg, der grösstenteils wiederverwendbar wäre und nicht in der Kehrichtverbrennungsanlage enden sollte. Salopp gesagt: Zusammen mit dem Abfall werden Geld und Ressourcen verbrannt.
Noch einen weiten Weg zu gehen hat die Schweiz bei der Vermeidung von Lebensmittelverlusten, sogenanntem Food-Waste. Wie die Bafu-Analyse zeigt, wirft eine Person pro Jahr durchschnittlich 50 Kilogramm Lebensmittel in den Kehricht. Das sind fast 450’000 Tonnen schweizweit. Einen beachtlichen Anteil hiervon bilden die Rüstabfälle. Bei mehr als der Hälfte jedoch handelt es sich um Lebensmittel wie Teigwaren, Backwaren, Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch oder Milchprodukte (siehe Abbildung 2). Hinzu kommen jene Speisereste, die im Grüngut, auf dem Hauskompost oder als Tierfutter enden. Erhebliche Mengen, die es weiter zu reduzieren gilt, denn die Produktion von Lebensmitteln belastet die Umwelt.
Der Bundesrat ist sich des Problems bewusst und ist bereits aktiv geworden: Im April 2022 hat er den Aktionsplan gegen Lebensmittelverschwendung verabschiedet. Mit einem klaren Ziel: Bis 2030 soll die Schweiz ihren Food-Waste gegenüber 2017 halbieren. Eine Zwischenbilanz wird nächstes Jahr gezogen.
Abb. 2: Den grössten Anteil an den biogenen Abfällen bilden geniessbare Lebensmittel
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bafu (2023) / Bericht zur Erhebung der Kehrichtzusammensetzung 2022 / Die Volkswirtschaft
Ermutigende Trends
Aber wie lässt sich vermeiden, dass Lebensmittel im Abfall landen? Hier gibt es viele Ansätze, beispielsweise Einkäufe besser planen, korrekt lagern und rechtzeitig konsumieren. Wenn Lebensmittel dennoch nicht mehr geniessbar sind, dann sollten sie stofflich verwertet werden. Dazu braucht es einen Ausbau der Grüngutsammlung, wie die Analyse hervorhebt. Neben Gartenabfällen sollten auch sämtliche Lebensmittel gesammelt werden können – zumindest in städtischen Gemeinden, da dort deutlich mehr Lebensmittelverluste anfallen als im ländlichen Kehrichtsack (53 Kilogramm gegenüber 40 Kilogramm pro Person). Eine Erklärung dafür könnte sein, dass es auf dem Land einfacher ist zu kompostieren als in der Stadt.
Abgesehen von regionalen Unterschieden zeigt die Analyse für das Jahr 2022 ermutigende Trends: Im Vergleich zur letzten Untersuchung vor zehn Jahren ist zum Beispiel der Anteil von Plastik in Kehrichtsäcken von 15 auf 13 Prozent gesunken. Und auch Glas und Papier sind im Kehricht gegenüber der letzten Untersuchung anteilsmässig zurückgegangen: Glas von 4 auf 3 Prozent, Papier von 13 auf 12 Prozent.
Alle sind gefragt
Der Rückgang der Pro-Kopf-Abfälle und die guten Recyclingergebnisse sind wichtige Erfolge, die zeigen, dass Massnahmen wie die Einführung der Abfallsackgebühr oder der Ausbau von Sammel- und Recyclingsystemen wirken. In den letzten Jahrzehnten ist es der Schweiz gelungen, die Umweltbelastung durch die Entsorgung von Abfällen deutlich zu reduzieren. Die Schadstoffemissionen aus der Abfallverbrennung spielen heute nur noch eine untergeordnete Rolle bei den Gesamtemissionen. Zudem können dank der Abfalltrennung durch die Konsumierenden die Kosten für die Separatsammlungen tief gehalten und gleichzeitig hohe Recyclingquoten erreicht werden. Die Schweizer Abfallpolitik kann daher als ein Erfolgsmodell bezeichnet werden. Es darf aber nicht vergessen werden, dass die grosse Abfallmenge und insbesondere der damit verbundene Ressourcenverbrauch die Umwelt nach wie vor stark belasten. Deshalb ist es bedeutend, Abfall zu vermeiden und Kreisläufe zu schliessen.
Mit der Annahme der parlamentarischen Initiative «Schweizer Kreislaufwirtschaft stärken» in der letzten Frühlingssession wurde eine Revision des Umweltschutzgesetzes beschlossen. Diese schafft Voraussetzungen, damit die Wirtschaft ihre wichtige Rolle bei der Ressourcenschonung wahrnehmen kann. Davon können Unternehmen finanziell profitieren. Ausserdem wird die Schweiz als rohstoffarmes Land unabhängiger vom Ausland. Auch die Konsumierenden leisten einen wichtigen Beitrag zur Schonung der Ressourcen und der Umwelt, indem sie nachhaltige Produkte einkaufen.
Zitiervorschlag: Anrig, Samuel (2024). Im Kehricht steckt Potenzial. Die Volkswirtschaft, 09. April.
Das Bundesamt für Umwelt ermittelt die Zusammensetzung des Kehrichts seit 1982 im Zehnjahresrhythmus. Dazu werden 16,5 Tonnen Kehricht aus Haushalten, der die Schweizer Verhältnisse möglichst gut repräsentiert, gesammelt und sortiert. Besonderes Augenmerk gilt den Lebensmittelverlusten und jenen Abfällen, die eigentlich recycelt werden sollten (Papier, Glas, Metall, Alu, Gartenabfälle). Produktions- und Sonderabfälle aus Industrie und Gewerbe, Bauabfälle sowie Klärschlamm wurden nicht untersucht.