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Intensiver Steuerwettbewerb trotz Umverteilung

Alle Kantone haben in den letzten Jahrzehnten ihre Unternehmenssteuern gesenkt. Seit 2020 schränkt der Nationale Finanzausgleich diesen Wettbewerb noch weniger ein als zuvor.
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Der Wettbewerb bleibt: Bei den Steuern genauso wie beim Schwingen. (Bild: Keystone)

Der Nationale Finanzausgleich (NFA) und insbesondere sein Herzstück, der Ressourcenausgleich, haben in erster Linie ein Ziel: «die Unterschiede in der finanziellen Leistungsfähigkeit zwischen den Kantonen verringern» und «den Kantonen minimale finanzielle Ressourcen gewährleisten». So steht es in der Verfassung.[1] Klarer könnte der Auftrag also nicht sein. Allerdings: Gleichzeitig verlangt die Verfassung vom NFA auch, dass die «steuerliche Wettbewerbsfähigkeit der Kantone im nationalen und internationalen Verhältnis erhalten» bleibt.[2] Dieser Zusatz mag auf den ersten Blick erstaunen, denn das NFA-Regelwerk schränkt die Steuerhoheit der Kantone und Gemeinden nirgends ein. Woher kommt der kryptische Verfassungsabsatz, und was bedeutet er für die Ausgestaltung des Ressourcenausgleichs?

Lusthemmer für den Steuerwettbewerb

Der NFA will die Ungleichheit mässigen und zugleich Leistungsanreize setzen oder anders gesagt: Er will Ausgleich und Wettbewerb. Beides gleichzeitig ist selten zu haben; und so ist es auch bei den Ausgleichszahlungen zwischen den Kantonen. Je mehr man von reicheren an ärmere Kantone umverteilt, desto kleiner wird die finanzielle Ungleichheit zwischen den verschiedenen Landesteilen. Gleichzeitig verringert man jedoch den Anreiz, dass sich Kantone darum bemühen, ihre Wirtschaft anzukurbeln und lukrative Steuerzahler anzulocken. Denn wenn sie es tun, müssen Geberkantone einen Teil ihrer zusätzlichen Einnahmen im Finanzausgleich abliefern. Umgekehrt erhalten Nehmerkantone weniger Gelder aus dem Topf, wenn sie sich verbessern. Der Ressourcenausgleich wird zum «Lusthemmer» für den Steuerwettbewerb.

Das Problem sind die sogenannten Grenzabschöpfungsquoten. Diese erfassen den Anteil an jedem zusätzlichen Steuerfranken, den die Kantone via Finanzausgleich wieder abgeben müssen. Liegt die Grenzabschöpfungsquote über 100 Prozent, wird Wirtschaftswachstum aus Sicht der Kantonsfinanzen zum potenziellen Verlustgeschäft: Pro zusätzlichem Franken an Einnahmen aus der betroffenen Steuer geht dem Kanton mehr als ein Franken über den Ressourcenausgleich wieder verloren. In einer solchen Situation können die Kantonsregierungen paradoxerweise einen Anreiz haben, ihre Steuersätze möglichst hoch anzusetzen, denn für das Steuersubstrat, das sie damit vertreiben, werden sie via NFA finanziell belohnt.

Ein reales Szenario

Dass dies nicht bloss ein hypothetisches Schreckensszenario ist, sondern lange Realität im Bereich der Unternehmenssteuern war, zeigt eine Studie von 2019.[3] Demnach gab es in den 2010er-Jahren in fast der Hälfte der Kantone Grenzabschöpfungsquoten von über 100 Prozent, wenn sie zusätzliche Unternehmensgewinne anzogen. Für die betroffenen Kantone und ihre Gemeinden waren zusätzliche Firmengewinne hinsichtlich der direkten steuerlichen Auswirkungen also ein Verlustgeschäft.

Der Grund für die enormen Grenzabschöpfungsquoten war, dass Gewinne im NFA gleich gewichtet waren wie Haushaltseinkommen, aber von den Kantonen viel tiefer besteuert wurden. Das führte dazu, dass zusätzliche im Kanton ausgewiesene Gewinne durch den NFA stärker «finanziell bestraft» wurden, als sie dem Kanton über die (tiefen) Unternehmenssteuern einbrachten.

Neue Anreize durch Staf

Der Umverteilungsschlüssel änderte sich mit der 2020 in Kraft gesetzten Unternehmenssteuerreform (Staf), welche auch eine Anpassung des NFA beinhaltete. Firmengewinne werden ab 2024 allmählich tiefer gewichtet als Einkommen von natürlichen Personen, und zwar im Verhältnis der tatsächlichen Besteuerung, das heisst bis 2032 etwa zu einem Drittel. Damit sinken auch die Grenzabschöpfungsquoten markant.

Wir haben diese Veränderungen berechnet (siehe Kasten). Unsere Resultate zeigen, dass vor der Staf-Reform 2020 elf Kantone Grenzabschöpfungsquoten von über 100 Prozent aufwiesen. In Uri betrug die Quote sogar 240 Prozent. Alle diese elf Kantone waren Nehmerkantone und hatten aus Sicht der Unternehmenssteuereinnahmen keinen Anreiz, ihre Gewinnsteuerbasis zu erhöhen. Nach der Übergangsfrist der Staf-Reform 2032 dürfte gemäss unserer Analyse kein Kanton mehr Abschöpfungsquoten von über 100 Prozent aufweisen (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Effektive Grenzabschöpfungsquoten vor und nach der Staf-Unternehmenssteuerreform

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Quelle: Brülhart et al. (2023) / Die Volkswirtschaft

Unsere Berechnungen zeigen zudem, dass auch bei den privilegiert besteuerten Unternehmensgewinnen – das heisst sowohl bei Statusgewinnen vor der Staf als auch bei Patentbox-Gewinnen nach der Reform – die Grenzabschöpfungsquoten für alle Kantone unter 100 Prozent liegen.[4]

Wettbewerb trotz negativer Anreize

Obwohl die hohen Grenzabschöpfungsquoten vor der Reform eigentlich keine Anreize dafür setzten, haben die meisten Kantone in den Jahrzehnten vor der Reform zum Teil aggressiv ihre Unternehmenssteuern gesenkt (siehe Abbildung 2). Seit den 1980er-Jahren sind die Gewinnsteuersätze in allen Kantonen gefallen, mit besonders ausgeprägten Senkungen in den Zentralschweizer Kantonen. Zwischen 1975 und 2021 sank der durchschnittliche Gewinnsteuersatz in der Schweiz beinahe um die Hälfte, von 27 auf 15 Prozent. Gleichzeitig stiegen die Firmengewinne von 8 auf 22 Prozent gemessen am Schweizer BIP.[5] Internationale Studien bestätigen, dass die Schweiz zu einem der weltweit steuergünstigsten Standorte für Firmengewinne avancierte und nach Irland zum zweitgrössten Magnet für buchhalterische Gewinnverschiebungen in Europa wurde.[6]

Abb. 2: Durchschnittliche effektive Steuersätze auf Gewinne von ordentlich besteuerten Unternehmen (1949–2021)

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Quelle: Raphaël Parchet in Brülhart et al. (2023) / Die Volkswirtschaft

Auch die Einführung des NFA im Jahr 2008 tat diesen Trends keinen Abbruch. Somit hielten die scheinbar prohibitiv hohen Abschöpfungsquoten die Kantone offensichtlich nicht davon ab, sich mittels Steuersenkungen intensiv um Firmenansiedlungen und Gewinnverschiebungen zu bemühen. Die Erklärung dafür muss darin liegen, dass zusätzliche im Kanton ausgewiesene Gewinne dem betroffenen Kanton nicht nur zusätzliche Gewinnsteuereinnahmen bescheren, sondern auch andere, indirekte fiskalische und wirtschaftliche Vorteile wie etwa mehr Arbeitsplätze und Einkommenssteuereinnahmen, eine erhöhte Nachfrage fürs lokale Gewerbe und dadurch wiederum gesteigerte Steuereinnahmen.

Der Steuerwettbewerb geht weiter

Wenn also schon der alte NFA mit den hohen Abschöpfungsquoten die Lust auf Steuerwettbewerb nicht unterband, dann dürfte das fortan erst recht nicht der Fall sein. Denn nach der vollständigen Umsetzung der Staf-Reform im Jahr 2032 wird voraussichtlich kein Kanton mehr Grenzabschöpfungsquoten von über 100 Prozent auf ordentliche Unternehmensgewinne haben (siehe Abbildung 1). Da für grosse, multinationale Unternehmen seit 2024 die «OECD-Mindeststeuer» von 15 Prozent gilt, wird die kantonale Unternehmenssteuerpolitik möglicherweise vermehrt auf kleinere Unternehmen und Start-ups abzielen. Wie eine Umfrage unter den Kantonen jedoch unlängst zeigte, gibt es auch unter den neuen Mindeststeuerregeln Möglichkeiten für fiskalische Standortpolitik zugunsten grosser Konzerne beispielsweise über gewisse OECD-kompatible Steuergutschriften.[7]

Wie die Schweizer Erfahrung zeigt, müssen Grenzabschöpfungsquoten nicht bei null liegen, damit Wettbewerb stattfinden kann. Eine gewisse Einschränkung des Wettbwerbs durch höhere Quoten kann zudem durchaus sinnvoll sein, denn nicht jede Anstrengung eines Kantons, sein Steuersubstrat zu erhöhen, dient dem Gesamtwohl des Landes (geschweige denn demjenigen anderer Länder). Die Kantone ziehen nämlich nicht nur mobile Firmengewinne aus dem Ausland an, sondern auch Firmengewinne aus anderen Kantonen.

So haben wir in der Analyse einer kantonalen Vermögenssteuersenkung festgestellt, dass bloss ungefähr ein Drittel der dadurch neu gewonnenen Steuerzahler aus dem Ausland zuzog, die Mehrheit jedoch anderen Kantonen abgeworben wurde.[8] Aus der Finanzwissenschaft ist bekannt, dass ein solcher Steuerwettbewerb eine immer tiefere Besteuerung der besonders mobilen Steuerobjekte nach sich zieht und die optimale Bereitstellung öffentlicher Güter erschwert.[9]

Zudem gilt es, neben den Anreizwirkungen das Verteilungsziel im Auge zu behalten. Die Unterschiede der kantonalen Finanzkraft sind heute nämlich gewaltig. 2024 betrug das Ressourcenpotenzial pro Einwohner im Kanton Wallis 23’000 Franken und im Kanton Zug 95’000 Franken. Die Spannbreite der darin enthaltenen Unternehmensgewinne ist noch grösser: Gemäss neuster Statistik der direkten Bundessteuer beträgt sie im Wallis 3600 Franken pro Einwohner und in Zug 120’300 Franken.[10] Nur ein starker Finanzausgleich kann solch massive Disparitäten wirksam ausgleichen.

  1. Siehe Bundesverfassung, Artikel 135.2a und 135.2b[]
  2. Siehe Bundesverfassung, Artikel 135.2e[]
  3. Siehe Leisibach und Schaltegger (2019). []
  4. Siehe Brülhart et al. (2023), Abschnitt 5.2[]
  5. Siehe Brülhart et al. (2023). []
  6. Siehe Tørsløv et al. (2023). []
  7. Beispielsweise Qualified Refundable Tax Credits, siehe EFD (2023). []
  8. Siehe Brülhart et al. (2021). []
  9. Siehe Keen und Konrad (2013). []
  10. Reingewinne nach Steuern berechnet auf Grundlage der ESTV-Daten[]

Literaturverzeichnis
  • Brülhart, M., J. Gruber, M. Krapf, K. Schmidheiny (2021). Behavioral Responses to Wealth Taxes: Evidence from Switzerland. American Economic Journal: Economic Policy, 14(4): 111–150.
  • Brülhart, M., M. Köthenbürger, M. Krapf, R. Parchet, K. Schmidheiny und D. Staubli (2023). Competition, Harmonization and Redistribution: Corporate Taxes in Switzerland. NBER Working Paper, 31830, National Bureau of Economic Research, Boston.
  • Brülhart, M. und K. Schmidheiny (2018). Der Ressourcenausgleich im Zusammenspiel von Steuervorlage 17 und Anpassung des NFA: Simulationsrechnungen. Studie im Auftrag der NFA-Geberkantone, Universitäten Lausanne und Basel.
  • EFD (2023). OECD-Mindeststeuer: Auswirkungen auf die Disparität zwischen den Kantonen und Formen der kantonalen Umsetzung. Bericht des Eidgenössischen Finanzdepartements, Bern.
  • Keen, M. und K. A. Konrad (2013). The Theory of International Tax Competition and Coordination. Handbook of Public Economics, 5: 257–328.
  • Leisibach, P. und C. A. Schaltegger (2019). Zielkonflikte und Fehlanreize: Eine Analyse der Anreizwirkungen im Schweizer Finanzausgleich. Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 20(3): 254–279.
  • Tørsløv, T., L. Wier und G. Zucman (2023). The Missing Profits of Nations. Review of Economic Studies, 90(3): 1499–1534.

Bibliographie
  • Brülhart, M., J. Gruber, M. Krapf, K. Schmidheiny (2021). Behavioral Responses to Wealth Taxes: Evidence from Switzerland. American Economic Journal: Economic Policy, 14(4): 111–150.
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  • Tørsløv, T., L. Wier und G. Zucman (2023). The Missing Profits of Nations. Review of Economic Studies, 90(3): 1499–1534.

Zitiervorschlag: Brülhart, Marius; Schmidheiny, Kurt (2024). Intensiver Steuerwettbewerb trotz Umverteilung. Die Volkswirtschaft, 12. April.

Die Studie im Detail

Wie haben sich die Grenzabschöpfungsquoten mit Inkraftsetzung der Unternehmenssteuerreform (Staf) 2020 verändert? In unseren Berechnungen erhöhen wir die Unternehmensgewinne eines einzelnen Kantons um jeweils 100’000 Franken und bestimmen, wie sich die NFA-Zahlungen verändern.a Bei Geberkantonen führt das dadurch angestiegene Ressourcenpotenzial zu höheren Einzahlungen in den NFA, bei Nehmerkantonen zu verminderten Auszahlungen. Um die Grenzabschöpfungsquoten zu bestimmen, setzen wir diese Veränderungen ins Verhältnis zu den erhöhten Steuereinnahmen durch die zusätzlich besteuerten Unternehmensgewinne. Anders als andere Studien berücksichtigen wir nicht nur die Steuereinnahmen des Kantons, sondern auch diejenigen der Gemeinden.b Für die Berechnung der Grenzabschöpfungsquoten vor 2020 setzen wir die effektiven Gewinnsteuersätze von 2018 ein. Die NFA-Reform im Zuge der Staf sieht lange Übergangsfristen vor. Wir bestimmen die Grenzabschöpfungsquoten daher mit den Regeln des NFA am Ende der Übergangsperiode im Jahr 2032 und den effektiven ordentlichen Gewinnsteuersätzen für das Jahr 2021.

a Siehe Brülhart et al. (2023).

b Leisibach und Schaltegger (2019).