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Kein Föderalismus ohne Solidarität

Nathalie Fontanet, Regierungsrätin und Vorsteherin des Departements für Finanzen, Personal und auswärtige Angelegenheiten des Kantons Genf

Standpunkt

Die Stärke des Volkes messe sich am Wohl der Schwachen, heisst es in der Bundesverfassung. Der Nationale Finanzausgleich (NFA) ist Ausdruck dieser Brüderlichkeit, welche die Mitglieder der Eidgenossenschaft miteinander verbindet. Der Kanton Genf zahlt dabei eine der grössten Summen – sein Beitrag zum Ressourcenausgleich beläuft sich 2024 auf 361 Millionen Franken. Wir sind stolz darauf, dass der Zusammenhalt zwischen den Kantonen auch dank uns gewahrt wird. Obwohl der NFA auf dem Prinzip der kollektiven Verantwortung beruht, wird er doch immer wieder angefochten, vor allem wenn es um die kantonale Haushaltsplanung geht.

 

Der Reform von 2020 ist es nicht gelungen, alle Probleme des Nationalen Finanzausgleichs aus der Welt zu schaffen.

 

Das System des Ressourcenausgleichs wurde im Jahr 2020 nach langwierigen politischen Verhandlungen zwischen den betroffenen Kantonen und dem Bund optimiert. Dank der Neugestaltung konnte eine der grössten Schwächen des NFA-Systems behoben werden: Der Beitrag zugunsten des Finanzausgleichs wurde entpolitisiert und im Gesetz verankert. Dank den neuen Modalitäten sollte auch der Ressourcenausgleich besser auf veränderte Ungleichheiten zwischen den Kantonen reagieren können. Und schliesslich wurde die Gewichtung der Gewinne von juristischen Personen bei der Berechnung des kantonalen Ressourcenpotenzials nach unten korrigiert, womit man den langjährigen Forderungen der Geberkantone nachkam.

Der Reform von 2020 ist es aber nicht gelungen, alle Probleme des NFA aus der Welt zu schaffen. Trotz des erfreulichen Beispiels des Kantons Obwalden, der bei der Einführung des NFA zu den Begünstigten gehörte und nun Beitragszahler ist, bestehen einige Schwachpunkte weiter. So fehlen beispielsweise nach wie vor Anreize für die Nehmerkantone, ihre finanzielle Situation zu verbessern. Konkret: In den ressourcenschwächsten Kantonen wird eine Zunahme der Erträge infolge des steigenden Steuerpotenzials fast vollständig durch den Rückgang der Zahlungen im Ressourcenausgleich kompensiert.

Für den Kanton Genf bedeutet dies, dass das Ziel, seinen Beitrag zu senken oder zumindest zu stabilisieren, durch die Reform nur vorübergehend erreicht wurde. Zwar wurden unserem Kanton im Rahmen des soziodemografischen Lastenausgleichs für Sonderlasten zusätzlich 140 Millionen Franken zugesprochen – eine Erhöhung, auf die wir sehr lange hatten warten müssen. Dennoch werden die im interkantonalen Vergleich extrem hohen Lasten, die Genf zu tragen hat, nach wie vor nur unzureichend kompensiert. Diese Lasten hängen von der Bevölkerungsstruktur ab, deren Abgeltungssatz 9 Prozent beträgt, sowie von den kostenrelevanten Sonderlasten der Kernstädte, für die eine Abgeltungsquote von 4 Prozent angewendet wird. Zum Vergleich: Die Sonderlasten aufgrund von geografisch-topografischen Faktoren werden mit 27 Prozent abgegolten.

Zitiervorschlag: Nathalie Fontanet (2024). Standpunkt: Kein Föderalismus ohne Solidarität. Die Volkswirtschaft, 16. April.