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Warum boomt die Zentralschweiz?

In der Zentral- und der Ostschweiz ist die Finanzkraft seit 2008 überdurchschnittlich gewachsen. Doch das Modell lässt sich von anderen Kantonen nur begrenzt kopieren.

Warum boomt die Zentralschweiz?

Überflieger: Zentralschweizer Kantone haben drei Gemeinsamkeiten: Sie sind klein, steuergünstig und haben tiefe Ausgaben. (Bild: Keystone)

Die zentrale Grösse im Nationalen Finanzausgleich der Schweiz ist das Ressourcenpotenzial. Dieses gibt Auskunft darüber, wie gross die Finanzkraft eines Kantons ist. Konkret misst das Ressourcenpotenzial die Summe der steuerbaren Einkommen und Vermögen von natürlichen Personen sowie der steuerbaren Gewinne der Unternehmen. Setzt man das Ressourcenpotenzial eines Kantons pro Einwohner ins Verhältnis zum schweizerischen Mittel, so erhält man den Ressourcenindex. Liegt dieser Wert über 100 Punkten, so besitzt der Kanton eine überdurchschnittliche Steuerbasis, wird als ressourcenstark bezeichnet und zahlt in den Ressourcenausgleich ein. Der Ressourcenausgleich umfasst gut drei Viertel der Mittel im Nationalen Finanzausgleich. 60 Prozent davon stammen aus dem Bundeshaushalt, den Rest steuern die finanzstarken Kantone bei (einen Überblick zum Nationalen Finanzausgleich gibt es hier).

Für die Berechnung des Ressourcenausgleichs im Jahr 2024 sind die Steuerdaten von 2018 bis 2020 ausschlaggebend. Und diese zeigen: 8 Kantone[1] sind ressourcenstark und 18 Kantone ressourcenschwach. Die Werte variieren stark: Die geringste Steuerbasis hat das Wallis mit einem Wert von 65,2. Am ressourcenstärksten ist der Kanton Zug mit 267,5 Punkten.

In der Entwicklung des Ressourcenindex seit 2008, dem ersten Jahr des heutigen Nationalen Finanzausgleichs, ist etwas besonders auffällig: Mit Ausnahme von Basel-Stadt hat der Wert des Ressourcenindex ausschliesslich in den Kantonen der Zentral- und der Ostschweiz zugenommen. Mit anderen Worten: In allen anderen Kantonen ist die Finanzkraft in diesem Zeitraum weniger stark gestiegen als der gesamtschweizerische Durchschnitt (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Zentral- und Ostschweiz haben ihre Finanzkraft erhöht (2008–2024)

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Quelle: BFS, Themakart (2023) / Die Volkswirtschaft

Tiefe Steuern fördern Wachstum

Wie kommt es zu dieser auffälligen Entwicklung? Der erste Verdacht fällt meistens auf die Steuerbelastung. Die Eidgenössische Finanzverwaltung publiziert dazu jährlich den Steuerausschöpfungsindex. Dieser stellt die verschiedenen Arten von Fiskaleinnahmen dem Ressourcenpotenzial eines Kantons gegenüber und ist somit ein Indikator für die Gesamtsteuerbelastung.

Vergleicht man den Steuerausschöpfungsindex von juristischen Personen mit dem Wachstum des Ressourcenindex, zeigt sich auch hier eine Auffälligkeit: Sämtliche Kantone der Zentralschweiz haben gleichzeitig eine tiefe Steuerausschöpfung und ein starkes Wachstum des Ressourcenindex (siehe Abbildung 2). Ein ähnliches Muster gibt es auch in der Ostschweiz, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt. Der Grossteil der übrigen Kantone weist hingegen eine überdurchschnittliche Steuerausschöpfung auf.

Abb. 2: Die Finanzkraft von Tiefsteuerkantonen wächst tendenziell stärker

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Lesebeispiel: Der Steuerausschöpfungsindex des Kantons Zug von 29,6 bedeutet, dass die Unternehmenssteuer im Kanton Zug nur rund einem Drittel des gesamtschweizerischen Durchschnitts entspricht. Gleichzeitig ist der Ressourcenindex des Kantons Zug seit 2008 um 24 Punkte gestiegen.
Anmerkung: Der Steuerausschöpfungsindex 2024 entspricht dem Mittelwert der Steuerjahre 2018–2020.
Quelle: EFV / Die Volkswirtschaft

Die Gegenüberstellung von Steuerausschöpfungsindex und Wachstum des Ressourcenindex suggeriert, dass eine tiefe Steuerbelastung ein gutes Mittel ist, um die wirtschaftliche Entwicklung des Kantons zu fördern. Dass das aber nicht zwingend so ist, zeigt das Beispiel der Kantone Waadt und Basel-Landschaft: Obwohl ihre Steuerausschöpfung tief ist, ist ihr Ressourcenwachstum nur unterdurchschnittlich.

Eine tiefe Steuerausschöpfung ist also nicht der einzige Grund für ein Wachstum des Ressourcenindex. Dies zeigen auch die Kantone Thurgau, St. Gallen und Graubünden, welche ihren Ressourcenindex trotz überdurchschnittlich hoher Steuern verbessern konnten. Allerdings: Gerade diese drei Kantone haben seit 2008 ihre Steuerausschöpfung stärker reduziert als alle anderen Kantone, die damals ihre Unternehmen überdurchschnittlich besteuerten. Das legt den Verdacht nahe, dass nicht allein das Niveau der Steuerausschöpfung für das wirtschaftliche Wachstum verantwortlich ist, sondern bereits eine grössere Steuersenkung einen positiven Effekt haben kann.

Die Steuerausschöpfung der natürlichen Personen zeigt ein ähnliches, aber weniger deutliches Bild. Die Besteuerung der Unternehmensgewinne hat offensichtlich einen stärkeren Einfluss auf das Wachstum.

Steuersenkungen setzen tiefe Ausgaben voraus

Steuersenkungen bedeuten für einen Kanton zuerst einmal weniger Einnahmen. Erst mittel- bis langfristig wird sich – so die Hoffnung – die Zahl der Steuerzahler erhöhen und die Steuereinnahmen insgesamt zunehmen. Einem Kanton mit hohen Ausgaben dürfte es deshalb schwererfallen, die Zeit zu überbrücken, bis der erwünschte Effekt eintritt.

Betrachtet man die Nettoausgaben[2] der Kantone pro Kopf, so stellt man fest, dass elf der dreizehn Kantone mit den tiefsten Nettoausgaben in der Zentral- und der Ostschweiz liegen. In diesen beiden Regionen haben nur der Kanton Zug und der Kanton Graubünden relativ hohe Ausgaben. Noch deutlicher wird dieses Muster bei den beiden grossen Ausgabenposten, Gesundheit und soziale Sicherheit. Von den elf Kantonen mit den tiefsten Gesundheitsausgaben pro Kopf sind zehn Kantone aus der Zentral- und der Ostschweiz. Im Bereich der sozialen Sicherheit sind es sogar zwölf von dreizehn.

Eine restriktive Ausgabenpolitik scheint folglich eine Vorbedingung, damit eine Steuersenkung möglich ist. Doch gewisse Kantone haben hohe Ausgaben, die sie kaum beeinflussen können. Dazu gehören beispielsweise die Ausgaben für Zentrumslasten wie Kultur, öffentlicher Verkehr oder Sicherheit in Zürich, Genf oder Basel-Stadt oder die Ausgaben aufgrund der geografisch-topografischen Situation wie etwa in Graubünden oder im Wallis. Wegen der Gebirgslage dieser Kantone ist insbesondere der Anteil für die Infrastruktur höher als in anderen Kantonen. Das könnte auch der Grund sein, wieso die Nettoausgaben des Kantons Graubünden, als einziger Ostschweizer Kanton, über dem Medianwert liegen.

Klein, aber oho

Kleine Kantone sind bei Steuersenkungen im Vorteil, da sie bereits mit einzelnen grossen Steuerzahlenden die Einnahmeverluste aus der Steuersenkung kompensieren können. Tatsächlich liegen von den zehn bevölkerungskleinsten Kantonen der Schweiz fünf in der Zentralschweiz und vier in der Ostschweiz. Die drei Ostschweizer Kantone, die nicht zu den zehn kleinsten Kantonen gehören (Thurgau, St. Gallen und Graubünden), sind auch gerade diejenigen mit einer Steuerausschöpfung, die über dem gesamtschweizerischen Durchschnitt liegt. Aus der Reihe tanzt der Kanton Jura. Er ist der einzige Kleinkanton, der in einer anderen Grossregion liegt und bei dem sowohl die Steuerausschöpfung als auch die Nettoausgaben überdurchschnittlich hoch sind.

Hingegen befindet sich mit St. Gallen und Luzern nur je ein Kanton aus den beiden betrachteten Grossregionen unter den zehn grössten Kantonen der Schweiz. Insbesondere der Kanton Luzern zeigt, wie schwierig es für einen grösseren Kanton ist, seine Steuern signifikant zu senken. Im Jahr 2012 halbierte er seine Gewinnsteuersätze. Die Steuererträge aus Unternehmensgewinnen reduzierten sich dadurch innerhalb eines Jahres um 30 Prozent.

Allerdings: Seither stieg sein Ressourcenpotenzial wieder stark an, sodass aus einem der ehemals grössten Empfängerkantone inzwischen fast ein ressourcenstarker Kanton geworden ist. Dies hat zur Folge, dass er inzwischen 275 Millionen Franken weniger aus dem Ressourcenausgleich erhält als noch 2013. Die Erträge aus Unternehmenssteuern nehmen zwar seither zu, erreichten aber erst 2020 wieder dasselbe Niveau wie vor der Steuersenkung. Interessanterweise haben sich die Erträge aus Einkommens- und Vermögenssteuern im gleichen Zeitraum um rund 50 Prozent erhöht. Ob dies eine indirekte Folge der Unternehmenssteuersenkung ist, lässt sich mit den Daten der Eidgenössischen Finanzverwaltung aber nicht beantworten.

Zentralschweiz als Vorbild?

Unsere Analyse zeigt, dass Kantone, deren Steuerbasis in den letzten Jahren überdurchschnittlich gewachsen ist, meistens drei Gemeinsamkeiten aufweisen: Sie sind klein, steuergünstig und haben tiefe Ausgaben.

Die Kantone der Zentralschweiz erfüllen diese Anforderungen fast durchgehend. In der Ostschweiz ist das Bild weniger einheitlich. Dort erfüllt nur jeder zweite Kanton alle Voraussetzungen. Doch die Kantone Graubünden und St. Gallen zeigen, dass es auch anders geht: Obwohl sie die meisten dieser Voraussetzungen nicht erfüllen, ist ihr Ressourcenindex gewachsen.

In der übrigen Schweiz erfüllt kein Kanton mehr als zwei der angesprochenen Punkte. Da die Bevölkerungsgrösse eines Kantons gegeben ist, bleibt es für grössere Kantone schwierig, mit signifikanten Steuersenkungen ausreichend neues Steuerpotenzial anzuziehen, welches die Ausfälle bei den bisherigen Steuerzahlern kompensiert.

Was den Zentralschweizer Kantonen gelungen ist, ist deshalb nur beschränkt kopierbar. Doch es gibt einen Trost: Das überdurchschnittliche Wachstum der Kantone St. Gallen und Graubünden deutet darauf hin, dass die hier genannten Einflussfaktoren nicht vollständig sind. Es muss noch weitere Einflussfaktoren geben, welche sich mit den hier verwendeten Daten nicht identifizieren lassen.

  1. Zug, Schwyz, Nidwalden, Basel-Stadt, Genf, Zürich, Obwalden, Appenzell I.Rh. []
  2. Nettoausgaben der Funktionen 0–8 gemäss Finanzstatistik des Bundes. []

Zitiervorschlag: Pascal Utz (2024). Warum boomt die Zentralschweiz. Die Volkswirtschaft, 16. April.