50 Jahre Regionalpolitik: Wettbewerbsfähige Regionen für eine starke Schweiz
Sichere Biketrails machen eine Region touristisch attraktiver. Davon profitieren auch Hotels, Restaurants und Sportläden, was die Wertschöpfung in der Region erhöht. (Bild: Keystone)
Am Anfang stand der Beton im Zentrum: Grundschulen, Mehrzweckhallen, Kanalisationen, Strassen. 1974 gab das Parlament mit dem Bundesgesetz über Investitionshilfe für Berggebiete (IHG) den Startschuss für die Regionalpolitik in der Schweiz. In den ersten Jahrzehnten wurden mit Darlehen vor allem Basisinfrastrukturen finanziert, die in erster Linie der lokalen Bevölkerung zugutekamen.
Das Parlament hatte das IHG verabschiedet, um «durch Regionalisierung und Förderung von Infrastrukturinvestitionen die Existenzbedingungen im Berggebiet zu verbessern und die Abwanderung aufzuhalten».[1] Zwischen 1975 und 2007 wurden insgesamt 8332 Infrastrukturprojekte bewilligt und Darlehen in der Höhe von 2,9 Milliarden Franken gesprochen.[2]
Regionen wirtschaftlich diversifizieren
In den 1990er-Jahren wurde die Regionalpolitik mit neuen Ideen und zusätzlichen Instrumenten weiterentwickelt. Mit dem Bundesbeschluss zugunsten wirtschaftlicher Erneuerungsgebiete (BWE)[3] von 1995 reagierte der Bund auf die Uhrenkrise der Siebzigerjahre. Damals geriet die mechanische Uhrenindustrie mit dem Aufkommen von Quarzuhren in Bedrängnis. Die vielen Arbeitslosen im Jurabogen offenbarten damals, wie verletzlich gewisse Regionen sind, die zu sehr auf eine Branche setzen. Der BWE ist auch bekannt als «Bonny-Beschluss», benannt nach dem damaligen Direktor des Bundesamts für Industrie, Gewerbe und Arbeit – des heutigen Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco). Ziel des Bonny-Beschlusses war es, einen Beitrag zur wirtschaftlichen Diversifikation monostrukturierter Regionen zu leisten. Bis Ende 2004 wurden 919 Projekte unterstützt, mit denen rund 26’000 Arbeitsplätze entweder erhalten oder geschaffen werden konnten.[4]
Schützenhilfe bot das Impulsprogramm «Regio Plus». Zwischen 1997 und 2007 wurde damit der Strukturwandel im ländlichen Raum unterstützt. Das Programm ging von der regionalpolitischen Maxime aus, dass nur wettbewerbsfähig bleibt, wer sich dem Strukturwandel nicht widersetzt, sondern diesen als Chance auffasst, um sich auf dem Markt immer wieder neu zu positionieren. Bis 2006 konnten so 128 Projekte mit rund 58 Millionen Franken finanziert werden.[5] Und schliesslich unterstützte der Bund ab 1995 – erst über einen spezifischen Bundesbeschluss[6] und später über ein Bundesgesetz[7] – die Schweizer Teilnahme an den europäischen Interreg-Programmen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Der Gedanke hinter den Interreg-Programmen ist es, mit grenzübergreifenden Projekten gemeinsame Lösungen für konkrete Herausforderungen zu finden und so den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt in der EU und deren Nachbarländern zu stärken. Bisher hat der Bund über 1500 Interreg-Projekte unterstützt und dabei rund 131 Millionen Franken investiert, bei mindestens äquivalenten Finanzbeiträgen der Kantone.
50 Jahre Regionalpolitik im Überblick
Die Regionalpolitik wird neu aufgestellt
2008 erfolgte eine grundlegende Neuordnung der Regionalpolitik. Damals traten der Nationale Finanzausgleich (NFA) und die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen in Kraft, welche die staatlichen Leistungen effizienter machen und für einen Ausgleich zwischen den Kantonen sorgen sollten. Der Bund und die finanzstärkeren Kantone unterstützen dabei die finanzschwächeren Kantone. Zudem werden mittels eines Lastenausgleichs Leistungen abgegolten, die nur ein Kanton finanziell trägt, die aber mehrere Kantone nutzen. Jährlich fliessen im Finanzausgleich circa 5,9 Milliarden Franken[8] – rund zwei Drittel davon trägt der Bund.
Die Kantone können die Mittel aus dem NFA auch für Basisinfrastrukturen einsetzen, wie sie bis dahin das IHG unterstützte. Die Einführung des NFA ermöglichte es zudem, dass sich die Regionalpolitik auf die regionalwirtschaftliche Entwicklung konzentrieren konnte. Der Fokus lag dabei insbesondere auf Aktivitäten, die in den Regionen Wertschöpfung generieren und deren Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Die dafür lancierte Neue Regionalpolitik (NRP) löste 2008 die bisherigen Instrumente ab. Und die Teilnahme der Schweiz an den europäischen Interreg-Programmen wurde in die NRP integriert.
Regionen fördern – Schweiz stärken
Über die Neue Regionalpolitik (NRP) investieren die Kantone und der Bund (via Seco) seit nunmehr 16 Jahren gemeinsam mit regionalen Akteuren in ländliche Regionen, Berggebiete und Grenzregionen.[9] Die unterstützten Ideen und Projekte sollen attraktive Wirtschafts- und Lebensräume schaffen. Dazu gehören regionale Plattformen wie das Walliser Innovationsnetzwerk The Ark oder das trinationale Kompetenznetzwerk Industrie 4.0 in der Region Oberrhein, Projekte zur digitalen Transformation wie «Mia Engiadina» in Graubünden, touristische Angebote wie das Ticino Ticket und vieles mehr.
Das Ziel: Unternehmerinnen und Unternehmer sollen in der ganzen Schweiz gute Voraussetzungen für ihre Investitionen finden. Arbeitnehmende sollen auch ausserhalb der grossen urbanen Zentren gute, zukunftsorientierte Jobs finden. Eine räumlich ausgeglichene wirtschaftliche Entwicklung leistet nicht zuletzt auch einen Beitrag für die Kohäsion und den sozialen Frieden in der Schweiz.
Inhaltlich stehen Tourismus, Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen im Fokus der NRP. Neben Projekten können auch Coachings mitfinanziert werden für Firmen, die sich innovativ weiterentwickeln wollen. Die NRP vernetzt die Akteure der Regionalentwicklung und bietet ihnen Weiterbildungen an – dies geschieht insbesondere über die Netzwerkstelle Regiosuisse. Damit sich die Regionen kohärent entwickeln, stimmt die NRP ihre Aktivitäten mit anderen raumrelevanten Aktivitäten und Politiken wie der Raumplanung oder der Umweltpolitik ab.
Grosse Hebelwirkung
Insgesamt wurden im Rahmen der NRP zwischen 2008 und 2023 über 5000 Projekte mit 950 Millionen Franken an Bundesmitteln und ebenso vielen kantonalen Mitteln unterstützt. Es sind die Kantone, welche die Projekte auswählen und umsetzen. Der Bund setzt nur den strategischen Rahmen. Die Kantone beteiligen sich mindestens im gleichen Ausmass wie der Bund an der Finanzierung ihrer Programme. Dazu kommen Projektbeiträge von Unternehmen, Gemeinden, Vereinen und weiteren Dritten. Eine Evaluation der Programmperiode 2016–2023[10] hat ergeben, dass jeder vom Bund investierte NRP-Franken rund vier zusätzliche Franken für die regionalwirtschaftliche Entwicklung mobilisiert. Das zeigt, dass die vom Bund unterstützten Projekte auch aus Sicht der übrigen Investoren sinnvoll sind.
Das dritte Mehrjahresprogramm der NRP für die Jahre 2024–2031 haben Bundesrat und Parlament im Rahmen der Botschaft Standortförderung im Jahr 2023 bereits verabschiedet. Es behält die bewährten Förderschwerpunkte bei, setzt aber auch ein paar neue Akzente. Neu können neben exportorientierten Projekten auch Projekte der lokalen Wirtschaft unterstützt werden. Zudem können kleine Infrastrukturvorhaben wie Biketrails nicht nur mit Darlehen, sondern in beschränktem Umfang auch mit nicht rückzahlbaren Beiträgen mitfinanziert werden. Ebenso sollen Projekte Beiträge an die Strategie nachhaltige Entwicklung Schweiz (SNE 2030) leisten. Jährlich stellt der Bund 50 Millionen Franken in Form von À-fonds-perdu-Beiträgen und weitere 50 Millionen Franken in Form von Darlehen zur Verfügung.
2024 feiert die Regionalpolitik ihr 50-Jahr-Jubiläum. Bund und Kantone haben in dieser Zeit wichtige Impulse für die Entwicklung der Berggebiete, ländlichen Räume und Grenzregionen geleistet. Dabei hat sich die Regionalpolitik über die Jahre stark entwickelt – aus der anfänglichen Förderung von Basisinfrastrukturprojekten sind Programme zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Innovation geworden. Auch in Zukunft wird das die «Raison d’Être» der NRP sein: Die Beiträge sollen sicherstellen, dass in allen Regionen der Schweiz das vorhandene Potenzial im Hinblick auf gute Lebens- und Arbeitsbedingungen noch besser genutzt werden kann.
- Siehe Bundesrat (2005), Kapitel 1.1.3. []
- Siehe Bieger et al. (2004). []
- Siehe SR 951.93. []
- Siehe Bundesrat (2005), Kapitel 1.1.3. []
- Siehe Bundesrat (2005), Kapitel 1.1.3. []
- Siehe BBl 1995 II 464. []
- Siehe SR 616.9. []
- Medienmitteilung des Bundesrats vom 22. 11. 2024: «Finanzausgleich: Bundesrat genehmigt definitive Ausgleichszahlungen 2024». []
- Mehr Informationen zur NRP auf Regiosuisse.ch und im Erklärvideo «Neue Regionalpolitik NRP» auf Youtube.com. []
- Siehe KEK-CDC und IMP-HSG (2022). []
Literaturverzeichnis
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Bieger, T. et al. (2004). Evaluation der Investitionshilfe für Berggebiete (IHG), S. 49 und 51. St. Gallen/Lausanne.
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Bundesrat (2005). Botschaft über die Neue Regionalpolitik (NRP). 16. November.
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KEK-CDC und IMP-HSG (2022). Unabhängige Evaluation des Mehrjahresprogramms 2016–2023 der Neuen Regionalpolitik (NRP). Evaluationsbericht mit Management Response. Bern.
Bibliographie
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Bieger, T. et al. (2004). Evaluation der Investitionshilfe für Berggebiete (IHG), S. 49 und 51. St. Gallen/Lausanne.
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Bundesrat (2005). Botschaft über die Neue Regionalpolitik (NRP). 16. November.
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KEK-CDC und IMP-HSG (2022). Unabhängige Evaluation des Mehrjahresprogramms 2016–2023 der Neuen Regionalpolitik (NRP). Evaluationsbericht mit Management Response. Bern.
Zitiervorschlag: Jakob, Eric (2024). 50 Jahre Regionalpolitik: Wettbewerbsfähige Regionen für eine starke Schweiz. Die Volkswirtschaft, 30. Mai.