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Ältere Menschen wohnen grosszügiger – und einsamer

Altersgerechter Wohnraum ist typischerweise hindernisfrei, der Haushaltsgrösse angepasst und zentral gelegen. Tatsächlich aber leben betagte Menschen häufig allein in ihren ursprünglichen Familienwohnungen. Warum ältere Menschen selten die Wohnung wechseln.
Preisgünstige Wohnungen ermöglichen älteren Menschen, die Wohnung zu wechseln (Bild: Keystone)

Rund 1,1 Millionen Menschen über 80 Jahre werden im Jahr 2050 in der Schweiz leben – das prognostiziert das Bundesamt für Statistik (BFS) in seinem Referenzszenario. Aktuell sind es 490’000 Personen. Entsprechend steigt der Bedarf an Alterswohnraum.

Allein wohnen kann einsam machen

Hinter jeder achten Wohnungstür lebt in der Schweiz eine über 65-jährige Person allein. Dabei handelt es sich um eine halbe Million Haushalte respektive um jede dritte Person in diesem Alter. Mit fortschreitendem Alter nimmt der Anteil an Einpersonenhaushalten stetig zu, bis auf über die Hälfte bei den über 85-Jährigen. Mehrgenerationenhaushalte sind hingegen zu einer Seltenheit geworden. Noch 1,4 Prozent der über 75-Jährigen leben in einem Haushalt mit einer Person unter 20 Jahren zusammen – Tendenz weiter sinkend.

Durch das Alleinwohnen steigt das Risiko zu vereinsamen. Dies hängt auch mit den altersbedingten Lebensumständen zusammen. Die im Alter oft eingeschränkte physische Mobilität macht es beschwerlicher, unter Menschen zu kommen. Dies wirkt sich noch gravierender aus, wenn das Wohnumfeld nicht hindernisfrei ist. Zudem ist das vertraute soziale Umfeld teilweise selbst von Altersgebrechen geschwächt oder vom Tod ausgedünnt. Der Tod des Ehepartners ist bei den meisten älteren Menschen denn auch der Grund, weshalb sie allein wohnen: Rund drei von vier allein wohnenden über 80-jährigen Personen sind verwitwet.

Ältere Menschen wohnen in älteren Gebäuden

Altersgerechter Wohnraum ist ein wichtiger Pfeiler, um eine selbstständigere Lebensweise und mehr soziale Teilhabe im Alter zu ermöglichen. Insofern dient das Behindertengleichstellungsgesetz von 2004 auch betagten Menschen, da es bei Wohngebäuden ab neun Wohnungen eine hindernisfreie Bauweise vorschreibt. Viele ältere Menschen leben aber seit Jahrzehnten in derselben Wohnung, mit entsprechend alter Bausubstanz. Knapp 70 Prozent der über 80-Jährigen sind in der Schweiz in Gebäuden wohnhaft, die bis 1980 erbaut worden sind. Insofern ist davon auszugehen, dass sie häufig Wohnraum belegen, der sich nicht oder nur bedingt für Menschen mit eingeschränkter Mobilität eignet.

Ältere Menschen halten also oft an ihren grossen, alten und zentrumsfernen Wohnungen fest. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Erstens profitieren sie in Mietwohnungen oft von den tiefen Bestandsmieten, welche die alten Mietverträge mit sich bringen. Ein Wohnungswechsel führt in der Regel zu markant höheren Wohnkosten, die sich Altershaushalte nicht leisten wollen oder können. Zweitens finden ältere Menschen keine passenden Angebote, sprich hindernisfreie und bezahlbare Wohnungen. Aufgrund der sozialen Verankerung oder der Ortsverbundenheit besteht zudem meist der Wunsch, den Wohnort nicht verlassen zu müssen. Drittens sind ältere Menschen vom zunehmend digitalen Wohnungsmarkt und von den kurzen Bedenkfristen überfordert. Viertens ist ein Wohnungswechsel mit einem physischen Aufwand und mit Unsicherheiten verbunden. Beides wollen sich ältere Menschen nicht mehr ohne Weiteres zumuten. Zu guter Letzt fühlen sie sich in ihrer Wohnung und in ihrem Wohnumfeld trotz allfälliger Bürden wohl und sehen keinen Anlass für einen Wechsel.

Abb. 1: Mehr als jeder zweite Zweipersonenhaushalt 80+ in der Schweiz bewohnt mehr als 100 Quadratmeter (2021)

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Anmerkung: Das jüngste Haushaltsmitglied bestimmt die Einteilung der Zweipersonenhaushalte in die Altersgruppe.
Quelle: BFS-Umzugsstatistik 2018–2020 / Die Volkswirtschaft

Ältere Menschen belegen oft (zu) grosse Wohneinheiten

Eine lange Verweildauer in derselben Wohnung bedeutet oft, dass ältere Menschen nach wie vor die ursprüngliche Familienwohnung belegen. Entsprechend grosszügig sind die Wohnverhältnisse. Rund ein Drittel der Einpersonenhaushalte mit über 65-Jährigen belegt in der Schweiz eine Wohnung mit mindestens 100 Quadratmeter Wohnfläche. Auf Altershaushalte mit zwei Personen trifft dies sogar bei einer deutlichen Mehrheit zu (siehe Abbildung 1). Dabei ist zu bedenken, dass grossflächige Wohnungen bei schwindenden Lebenskräften zu einer Belastung werden können.

Für die Zukunft ist damit zu rechnen, dass die Wohnungen der Altershaushalte eher noch grossflächiger werden. Dies wird dann eintreffen, wenn auch künftig ältere Menschen nur selten einen Wohnungswechsel vornehmen. Der Grund dafür ist, dass Haushalte mit 50- bis 64-jährigen Personen vergleichsweise häufig Wohnungen mit Baujahr 1991 bis 2010 belegen. Die 65- bis 79-Jährigen leben demgegenüber überdurchschnittlich oft in Wohnungen aus den 1970er- und 1980er-Jahren, Haushalte mit über 80-Jährigen hingegen in Wohnungen aus den 1960er- und 1970er-Jahren. In diesen Bauperioden wurde unterschiedlich grossflächig gebaut, wobei ab Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend grossflächigere Wohnungen entstanden sind. Dies sieht man am Beispiel der Drei- und Vierzimmerwohnungen, die in der Schweiz zusammen 55 Prozent des gesamten Wohnungsbestands ausmachen, besonders gut (siehe Abbildung 2).

Abb. 2: Seit der Nachkriegszeit werden Drei- und Vierzimmerwohnungen mit Ausnahme des letzten Jahrzehnts immer grösser

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Quelle: BFS-Umzugsstatistik 2018–2020 / Die Volkswirtschaft

Es braucht mehr Alterswohnraum

Um älteren Personen einen Wohnungswechsel zu ermöglichen, hilft unter anderem ein ansprechendes Angebot an Alterswohnungen. Nationale Daten zeigen dabei, dass knapp ein Drittel der im Pensionsalter umziehenden Personen in Neubauten einzieht.[1]

Es braucht aber insbesondere vermehrt preisgünstigen Alterswohnraum, damit sich auch finanzschwächere ältere Menschen mit günstigen Bestandsmieten einen Wohnungswechsel leisten können. In diesem Zusammenhang ist im Auge zu behalten, dass bei den über 65-Jährigen der Anteil Geschiedener zunimmt. Im Jahr 2012 betrug dieser 10,3 Prozent, bis 2022 stieg er auf 14,8 Prozent. Aufgrund der aktuell vorliegenden Zahlen ist davon auszugehen, dass diese Entwicklung zumindest in den nächsten zehn Jahren unvermindert weitergehen wird. Geschiedene im Pensionsalter haben ein erhöhtes Armutsrisiko. Insbesondere geschiedene Frauen verfügen über tiefe Alterseinkommen, wie kommunale Analysen wiederholt gezeigt haben.[2] Auch diese Entwicklung deutet darauf hin, dass der Bedarf an preisgünstigem Alterswohnraum in den nächsten Jahren eher ansteigen wird.

  1. Siehe BFS-Umzugsstatistik 2018–2020. []
  2. Siehe Willimann, I. (2019). Alterseinkommen bei Frauen deutlich tiefer als bei Männern. Die Volkswirtschaft. 19. Dezember. []

Zitiervorschlag: Ivo Willimann, Silke Zöllner (2024). Ältere Menschen wohnen grosszügiger – und einsamer. Die Volkswirtschaft, 06. Mai.