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«Beim verdichteten Bauen bestehen Fehlanreize»

Implenia, der führende Bau- und Immobiliendienstleister der Schweiz, baut Wohnungen vor allem in grossen Überbauungen. So könne auf kleinerer Fläche mehr gebaut werden, sagt Immobilienchef Adrian Wyss. Doch weil die Bewilligungsverfahren langwierig sind, entscheiden sich viele Unternehmen dagegen – zulasten des verdichteten Bauens.

«Beim verdichteten Bauen bestehen Fehlanreize»

Adrian Wyss am Hauptsitz der Implenia in Glattpark bei Zürich: «Eine Flexibilisierung der Zonenpläne wäre wünschenswert.» (Bild: Michael Calabro / Keystone)
Herr Wyss, wohnen Sie in einem Alt- oder einem Neubau?

Wir wohnen in einem sanierten Einfamilienhaus auf dem Land. Wenn die Kinder ausgezogen sind, werden wir vermutlich wieder in die Stadt ziehen.

Hält der Traum vom Eigenheim auf dem Land mit Garten an?

Ja, diesem Traum bin ich auch erlegen. Es gibt Studien, die zeigen, dass der Wunsch nach einem Einfamilienhaus bei jüngeren Generationen stark verbreitet ist. Die Familienzeit will man auf dem Land verbringen. Das ist ein gewisser Widerspruch zum allgemeinen Trend der Urbanisierung. Denn auch in der Schweiz wollen viele in der Stadt wohnen.

Sie sind seit 18 Jahren bei Implenia. Wie hat sich die Baubranche in dieser Zeit verändert?

Sie hat sich stark weiterentwickelt. Heute baut man nachhaltiger und bewusster. Vieles wurde digitalisiert, was früher analog gezeichnet wurde – vor allem die Pläne. Dank der Systembauweise und der Vorfertigung wird zudem vermehrt so gebaut, dass das Rad nicht jedes Mal neu erfunden werden muss.

Was ist mit Systembauweise gemeint?

Im Holzbau sind wir zum Beispiel in der Lage, Module oder Elemente vorzufertigen, diese «just in time» auf die Baustelle zu liefern und dort direkt zu montieren. Das ist effizient, wirtschaftlich und zudem auch nachhaltig. Daneben entwickeln wir auch ganzheitliche Immobilienprodukte, etwa für nachhaltige Hotels oder für den Wohnungsbau. In einem digitalen Konfigurator lassen sich hierbei produktspezifische Gebäudeelemente auswählen und kombinieren.

Der Gewinn vor Zinsen und Steuern Ihrer Division Immobilien hat sich letztes Jahr gegenüber dem Vorjahr auf 40,5 Millionen Franken halbiert. Woran liegt das?

Es war ein erwarteter Rückgang. Das Immobiliengeschäft ist stark von einzelnen Verkäufen abhängig und darum nicht mit dem Vorjahr vergleichbar. Wir besitzen kein eigenes Portfolio mit Liegenschaften im Bestand. Wir kaufen Land oder Bestand ein, entwickeln ein Bauprojekt darauf und verkaufen das Objekt samt Land an einen Investor. Über die Immobilienfirma Ina Invest – Implenia ist mit 41 Prozent daran beteiligt – besitzen wir indirekt ein Bestandsportfolio von Immobilien.

Implenia entwickelt mit der Stadt Winterthur einen neuen Stadtteil – die Lokstadt – mit rund 750 Wohnungen. Die Nachfrage nach bezahlbaren Mietwohnungen ist hoch. Warum baut Implenia nicht mehr davon?

Bei unseren Arealentwicklungen ist oftmals ein Anteil an gemeinnützigen Wohnungen vorgegeben. In der Lokstadt wird gemäss Gestaltungsplan rund ein Drittel der Wohnungen nach diesen Vorgaben erstellt. Darüber hinaus: Wenn wir mehr entwickeln und bauen wollten, müssten wir mehr Land kaufen. Aber das ist in der Schweiz nicht unbegrenzt verfügbar. Natürlich realisiert Implenia auch für andere Investoren laufend Bauprojekte. Doch das Problem ist, dass viele Projekte lange brauchen, bis sie bewilligt sind und dann gebaut werden können.

Man weicht auf ländlichere Gebiete aus, wo noch mehr Bauland vorhanden ist.

Wo ist das Nadelöhr?

Wir konzentrieren uns auf grosse Überbauungen. Ganz im Sinne der Verdichtung wollen wir eine hohe Ausnützung erreichen, also mehr Wohnungen bauen, als es die Regelbauweise vorsieht. Deshalb braucht es oft zusätzlich einen Gestaltungsplan, der öffentlich aufgelegt wird. Anwohner und Interessierte können das Vorhaben dann prüfen und auch Einsprachen erheben. Erst wenn über diese entschieden worden ist, kann der Gestaltungsplan umgesetzt werden. Anschliessend sind Baubewilligungen einzuholen. Bei grossen Überbauungen dauert dieser ganze Prozess aktuell leider häufig fünf bis zehn Jahre oder länger.

Sie würden also mehr bauen, wenn alles schneller und einfacher ginge?

Ja, das wäre der Wunsch. Auch eine Flexibilisierung der Zonenpläne wäre wünschenswert. Dass beispielsweise mehr Mischzonen mit Wohnen und Gewerbe zulässig sind, um flexibler auf Nachfrageveränderungen reagieren zu können.

Wird deswegen öfter nach Regelbauweise gebaut?

Ja, auch wenn das oft bedeutet, dass nicht die maximale Ausnützung erreicht wird. Obwohl insbesondere in den Städten verdichtet gebaut werden soll, wird verdichtetes Bauen erschwert. Es bestehen Fehlanreize: Es werden Gebäude gebaut, deren Nutzungsdichte tiefer ist. Eine zweite Konsequenz: Man weicht auf ländlichere Gebiete aus, wo noch mehr Bauland vorhanden ist. Aber das löst das Problem nicht und führt eher zu mehr Pendelverkehr, höheren Infrastrukturkosten und zum Verlust von natürlichem Lebensraum.

Bringen Ihnen 2-Phasen-Baubewilligungen etwas, wie sie von Bundesrat Guy Parmelins rundem Tisch zur drohenden Wohnungsknappheit gefordert werden?

Der Aufwand für eine Bewilligung ist immens. Man muss zu einem frühen Zeitpunkt bereits viele Detailfragen klären, wie zum Beispiel Kanalisationsanschlüsse und Wärmedämmnachweise. Wenn dieser Aufwand in zwei Phasen aufgeteilt werden könnte – wenn man also zuerst eine Grundsatzbewilligung erhalten würde und erst in einer späteren Phase mehr Details liefern müsste –, würde ich das persönlich sehr begrüssen. Das würde den Prozess effizienter machen.

Wie ist es mit den Einsprachen? Sind diese grundsätzlich ein Problem für Sie?

Grundsätzlich gehören Mitspracherechte zum politischen System der Schweiz, und das ist auch gut so. Jedoch sollte es nicht möglich sein, in mehreren Projektierungsphasen Einsprache zu erheben. Das verlängert den Prozess unnötig. Bei unserem Projekt Tivoli in Neuenburg, wo wir eine Industriebrache der ehemaligen Schokoladenfabrik Suchard transformieren wollen, dauerte der Weg zum Gestaltungsplan über mehrere Instanzen circa zehn Jahre. Das ist Verhinderungspolitik, die auch von Partikularinteressen geprägt ist. Allerdings gibt es auch Gegenbeispiele: Bei unserem Lokstadt-Areal in Winterthur wurde der Gestaltungsplan mit über 60 Prozent Zustimmung vom Volk genehmigt. Man hatte das Projekt durch partizipatives Vorgehen gut in der Bevölkerung und den Behörden abgestützt. Bei den anschliessenden Baubewilligungen hatten wir bis jetzt bei fünf von sechs Baufeldern keine einzige Einsprache. Das zeigt, wie wichtig es ist, die Bevölkerung und die Behörden gut mit einzubeziehen.

Und wenn missbräuchliche Einsprachen verhindert werden könnten?

Sicher gibt es Beispiele, in denen Einsprecher Druck auf Investoren ausüben, um sich teilweise finanzielle Vorteile zu sichern. Aber wie will man das beweisen? Mit Gegenklagen beschäftigt man eher die Gerichte, als dass man den Bau beschleunigen könnte. Ich würde diesen Aspekt nicht überbewerten.

Adrian Wyss: «Tiefere Bewilligungszahlen im Wohnungsbau führen automatisch zu tieferer Bautätigkeit.» (Bild: Michael Calabro / Keystone)
Ein weiterer Grund für das Stocken des Wohnraumangebots: die Teuerung bei Baumaterialien. Flacht diese wieder ab?

Die Teuerung von Baumaterialien geht seit dem zweiten Quartal 2023 leicht zurück, dafür steigen aber die Löhne. Zum Beispiel bei der Haustechnik, die aufgrund der hohen Auslastung unverändert ein hohes Preisniveau durchsetzen kann. Im Gegenzug spielt bei Rückbau- oder Rohbauarbeiten der Wettbewerb. Wegen der nachlassenden Bautätigkeit sinken dort die Preise.

Sind die gestiegenen Löhne nicht auch Ausdruck des Fachkräftemangels auf dem Bau?

Im Immobiliensektor spüren wir diesen nicht. Hier arbeiten Architekten, Ökonomen und Immobilienentwickler. Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber und haben keine Probleme, qualifizierte Mitarbeitende zu gewinnen. Über die ganze Implenia-Gruppe hinweg gesehen, ist es sicher eine Herausforderung, Nachwuchs für bestimmte Berufsprofile zu rekrutieren. Die Arbeit auf dem Bau ist oft auch körperlich anspruchsvoll. Jugendliche gehen häufig lieber ins Büro.

Der Schweizerische Baumeisterverband erwartet auch für 2024 keine Zunahme beim Wohnungsbau. Sehen Sie das ebenso?

Tiefere Bewilligungszahlen im Wohnungsbau führen automatisch zu tieferer Bautätigkeit. Dieser Trend hält seit fünf Jahren an. Auch von den bewilligten Projekten werden nicht alle gebaut, weil zum Teil die Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben ist. Überhöhte Forderungen nach gemeinnützigem Wohnraum werden den Wohnungsbau weiter bremsen. Ein funktionierender Wohnungsmarkt braucht eine Ausgewogenheit zwischen Angebot und Nachfrage. Dies erreichen wir nicht durch mehr Regulierung.

Apropos Regulierung: Wie ist die Situation in Genf?

In Genf werden Altbauten oft nicht saniert, da wertvermehrende Investitionen nicht auf die Mieten überwälzt werden können. Dies führt nicht nur zu einem allgemeinen Sanierungsstau und vielen nicht mehr zeitgemässen Wohnungen, es verhindert auch sinnvolle energetische Sanierungen, auf die wir für die Erreichung der Klimaziele – netto null bis 2050 – angewiesen sind.

Beim Neubau von Wohnungen sieht es besonders in Deutschland düster aus. Wie unterscheidet sich der deutsche vom schweizerischen Markt?

Der Immobilienmarkt in der Schweiz ist beständiger und kennt weniger Überhitzung und darauffolgende starke Korrekturen. In Deutschland hingegen sind die Immobilienpreise stark gestiegen und nun stark eingebrochen. Das liegt nicht zuletzt an den unterschiedlichen Finanzierungsvorgaben.

In Deutschland sind die Immobilienpreise stark gestiegen und nun stark eingebrochen.

Wie meinen Sie das?

In Deutschland ist oder war es möglich, mit nur 20 Prozent Eigenkapital Projekte zu entwickeln. In der Schweiz braucht man beispielsweise für den Landkauf 50 Prozent Eigenkapital. Als die Finanzierungs- und Baukosten gestiegen sind, sind viele Projektentwickler – nicht nur die österreichische Signa – in Deutschland in Konkurs gegangen. Diese Entwickler haben grosse Areale und Grundstücke mit zu viel Fremdkapital erworben, waren zu wenig gut kapitalisiert und konnten wegen der seit Ende 2022 stark gestiegenen Finanzierungskosten die Kredite nicht mehr bedienen. Die Nachfrage nach Wohnraum ist in Deutschland ebenfalls intakt, und es werden zu wenige Wohnungen gebaut. Die Bundesregierung spricht von 400’000 Wohnungen als jährliches Neubauziel, welches seit Jahren nicht erreicht wird. Diese Marktlage bietet für Firmen wie uns auch Chancen.

Inwiefern?

Durch den Zusammenbruch des Markts in Deutschland und die gefallenen Landpreise eröffnet sich für uns die Möglichkeit, wieder Bauland zu erwerben. In der Schweiz ist die Lage nicht vergleichbar. Hier bleibt das Preisniveau stabil, oder die Landpreise steigen moderat weiter. Mit standardisierten Immobilienprodukten und industriell gefertigten Systembauweisen wollen wir unter anderem preisgünstige Wohnungsangebote schaffen.

Ist diese Bauweise nachhaltig?

Ja, Vorfertigung, zum Beispiel mit Elementen oder Modulen in Holzbauweise, ist in der Regel dank höherer Materialeffizienz, weniger Abfällen und trennbarer Systeme definitiv nachhaltiger.

Welche Aspekte des nachhaltigen Wohnungsbaus erhalten bei Ihnen besonderes Gewicht?

Das Bauwesen hat einen starken Einfluss auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt. In der Schweiz erzeugt die Baubranche 30 Prozent der landesweiten Treibhausgasemissionen. Deshalb haben wir bei Implenia seit 15 Jahren eine klare Nachhaltigkeitsstrategie, die das Ziel des Pariser Klimaabkommens berücksichtigt. Das beginnt schon bei der Standortwahl: Das Grundstück, auf dem wir bauen, muss geeignet sein, die Ziele unserer Dekarbonisierungsstrategie zu erreichen. Projekte in Ortschaften, die mit dem öffentlichen Verkehr erreichbar sind, generieren zum Beispiel weniger Autoverkehr. Auch möchten wir eine vielseitige Nutzungsdurchmischung erreichen, dazu gehört auch preisgünstiges Wohnen.

Wie wichtig sind Labels?

Mit oder ohne Label erhält jedes unserer Entwicklungsprojekte für Betriebs- und Erstellungsemissionen ein CO2-Budget. In Winterthur etwa verbauen wir sehr viel Holz, um die anvisierte CO2-Bilanz zu erreichen. Die natürliche Beschaffenheit von Holz ermöglicht einen umweltfreundlichen Lebenszyklus des Bauwerks und bindet CO2 während der gesamten Lebenszeit. So können auf Ebene der Erstellungsemissionen bis zu 50 Prozent weniger Treibhausgasemissionen im Vergleich zur Massivbauweise erzielt werden. Gerade in der Lokstadt wollten wir mehr machen, als gesetzlich vorgeschrieben ist. Das ist unser Beitrag zur Nachhaltigkeit.

Die Herstellung von Zement ist sehr CO2-intensiv. Welche Ersatzprodukte neben Holz gibt es?

Um Erstellungsemissionen zu senken, ist die gesamte Branche angehalten, CO2-intensive Materialien wie Zement, Stahl, Gips oder Kunststoffe durch alternative Materialien zu ersetzen. Gerade historische Materialien wie Lehm oder schnell nachwachsende Rohstoffe wie Hanf oder Gräser für Dämmungen finden den Weg in die Baumaterialpalette zurück. Spannend sind auch innovative Produkte aus rezyklierten Materialien oder karbonisierte mineralische Produkte. Wir arbeiten unter anderem mit der Forschung der Empa in Dübendorf zusammen – da werden zum Beispiel verschiedene Baumaterialien erforscht, die CO2 langfristig binden. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass sich Normen parallel zu den Materialinnovationen weiterentwickeln, sodass diese schnell den Weg in die Praxis finden.

Zitiervorschlag: Nicole Tesar, Monika Lüthi (2024). «Beim verdichteten Bauen bestehen Fehlanreize». Die Volkswirtschaft, 06. Mai.

Adrian Wyss

Der 48-jährige Adrian Wyss ist seit fünf Jahren Head Division Real Estate bei Implenia, für rund 120 Mitarbeitende verantwortlich und Mitglied der Gruppenleitung. Das Schweizer Bau- und Immobiliendienstleistungsunternehmen Implenia hat den Sitz in Glattpark (Opfikon) ZH. Seit 18 Jahren ist der Architekt in verschiedenen Funktionen bei der Implenia-Gruppe tätig. Unter anderem war er Leiter Ausführung beim Bau der Pädagogischen Hochschule und der UBS in der Europaallee in Zürich. Implenia entstand 2006 aus der Fusion der Batigroup mit Sitz in Basel mit Zschokke mit Sitz in Genf. Implenia beschäftigt europaweit über 9000 Mitarbeitende. In der Schweiz und in Deutschland ist das Unternehmen in der Entwicklung sowie im Hoch- und Tiefbau tätig. In Österreich, Frankreich, Schweden, Norwegen und Italien ist die Gruppe im Tunnelbau und in damit verbundenen Infrastrukturprojekten aktiv.