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Fehlender Wohnraum – nicht nur in Städten

Christoph Niederberger, Direktor Schweizerischer Gemeindeverband, Bern

Standpunkt

Der Schweizerische Gemeindeverband mit seinen rund 1500 Mitgliedern aus allen Landesgegenden der Schweiz vertritt die Interessen der Gemeinden auf nationaler Ebene. Und dies in Themen, welche sie direkt betreffen – wie bei der Wohnungsknappheit: Tiefe Leerwohnungsziffern und knappe Landreserven sind für viele Gemeinden Realität. Im Vergleich zu vor zehn Jahren besteht der grosse Unterschied darin, dass es sich nicht mehr um ein rein urbanes Thema handelt. Auch die Agglomerationen, ländlichen Regionen und Tourismusgebiete sind betroffen.

So wies beispielsweise die Walliser Gemeinde Visp zum Zeitpunkt der Erhebung durch das Bundesamt für Statistik im Sommer 2023 eine Leerwohnungsziffer von 0,19 Prozent aus; im bündnerischen Ilanz/Glion lag sie gar bei 0,09 Prozent. Deutlich tiefer als in den für ihre Wohnungsknappheit berüchtigten Städten wie Zürich und Genf, deren Leerwohnungsziffer das Bundesamt für Statistik (BFS) zur selben Zeit mit 0,55 Prozent auswies.[1]

Was also können und sollen die Gemeinden gegen die Wohnungsknappheit tun? Zu dieser Frage sind sie im vergangenen Jahr, zusammen mit den Kantonen, Städten sowie den betroffenen Fachverbänden, von Bundesrat Guy Parmelin zu einem runden Tisch eingeladen worden. Diese Akteure haben die Problemlage diskutiert und den Aktionsplan «Wohnungsknappheit» verabschiedet. Eine der Grundvoraussetzungen für unsere Teilnahme war, dass der Bund die Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen den Staatsebenen achten und namentlich die Gemeindeautonomie respektieren würde. Bauen und Wohnen ist nämlich eines der kommunalsten Themen überhaupt.

Bauverfahren müssen effizienter werden.

Was die Massnahmen des behördlichen Aktionsplans betrifft, unterstützen wir aus Gemeindesicht etwa jene, die eine qualitätsvolle Innenentwicklung im Siedlungsgebiet fördern. Dazu gehören das Vorhaben, die Durchmischung von Arbeits- und Wohnzonen zu erleichtern, sowie alles, was die Bebauung von bereits vorhandenem Bauland unterstützt. Nicht zu vergessen ist der Teil Baukultur, der Gestaltung, Planung und Bau zusammenbringt.[2] Dazu gehört auch eine entwickelte kommunale Bauberatung, die es heute schon vielerorts gibt.

Mit Blick auf die aktuellen Bauverfahren – vom Raumplanungs- und Zweitwohnungsgesetz über kantonale und kommunale Bauvorschriften bis hin zu zahlreichen Rechtsmitteln – sind sich wohl alle einig, dass das System heute aufgrund der technischen, rechtlichen und politischen Komplexität an seine Grenzen stösst.

Bauverfahren müssen effizienter werden. Das heisst, dass insbesondere die Interessenabwägung als Methode zur Entscheidung und als Kernstück der Raumplanung gestärkt werden und die definitive, rechtskräftige Ermächtigung zur Ausführung eines Bauvorhabens im ganzen Prozess früher vorliegen sollte. Dazu gehört auch, dass sich alle Beteiligten fragen sollten, inwieweit offensichtlich missbräuchliche Einsprachen in Planungs- und Baubewilligungsverfahren reduziert werden können. Eine mögliche Lösung liegt darin, die Einsprachemöglichkeiten auf die Anfangsphase eines Bauvorhabens zu begrenzen, ohne dabei den Rechtsschutz infrage zu stellen.

Trotz allem konstruktiven Miteinander und neuartigen Lösungsansätzen bleibt ein ernüchterndes politisches Fazit: Das Problem des knappen Wohnraums wird auch nach dem runden Tisch bestehen bleiben. Denn über das politisch wirklich Schwierige wurde gar nicht erst gesprochen: Die rasante Zuwanderung, aber auch viel bestehendes Recht in den Bereichen Raumplanung, Zweitwohnungen, Denkmal-, Lärm- und Umweltschutz sowie unzählige Normen, Auflagen und Vorgaben sind heute ebenso wesentliche Treiber der Wohnungsknappheit wie die Verfahrenskomplexität in der Raumplanung. Irgendwann muss sich die Politik auch dieser Punkte ernsthaft annehmen, sonst tritt sie an Ort und Stelle.

  1. Siehe Leerwohnungszählung des BFS. []
  2. Siehe Konzept Baukultur sowie Baukultur Schweiz. []

Zitiervorschlag: Christoph Niederberger (2024). Standpunkt: Fehlender Wohnraum – nicht nur in Städten. Die Volkswirtschaft, 07. Mai.