Suche

Abo

Gemeinsam gegen die Wohnungsknappheit

Die Schweiz hat zu wenig Wohnraum – das liegt nicht nur an der hohen Nachfrage, sondern auch an der rückläufigen Bautätigkeit. Der Aktionsplan «Wohnungsknappheit» zeigt auf, was dagegen unternommen werden kann.

Gemeinsam gegen die Wohnungsknappheit

Es wird immer weniger gebaut: Die Teuerung von Baumaterialien, der Fachkräftemangel und zu wenig Bauland sind Gründe dafür. (Bild: Keystone)

Die Begriffe Wohnungsmangel und Wohnungspreise tauchten im vergangenen Jahr regelmässig in den Schlagzeilen auf. In den Wahlbefragungen der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) vom Oktober 2023 landeten die Wohnungspreise immerhin auf Platz neun der wichtigsten politischen Herausforderungen.[1]

Leerwohnungsziffer regional unterschiedlich

Tatsächlich zeigt sich bereits seit geraumer Zeit, dass sich die Schweiz in Richtung einer Wohnungsknappheit bewegt. Innerhalb weniger Jahre hat sich die Befürchtung, dass zu viele Wohnungen gebaut würden, ins Gegenteil verkehrt. Zwischen 2020 und 2023 sank die Leerwohnungsziffer von 1,72 auf 1,15 Prozent – einen so starken Rückgang gab es seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Zahl der auf dem Markt angebotenen Mietwohnungen hat sich innerhalb von drei Jahren halbiert. In diesem Jahr dürfte die Leerwohnungsziffer unter die 1-Prozent-Marke fallen. Üblicherweise spricht man dann auf gesamtschweizerischer Ebene von Wohnungsnot.

Aus historischer Perspektive mag das noch nicht dramatisch aussehen – denn vor rund zehn Jahren lag die Leerwohnungsziffer bereits unterhalb der 1-Prozent-Marke, und Ende der 1980er-Jahre betrug sie gar weniger als 0,5 Prozent. Aber bereits heute ist der Wohnungsmarkt in manchen Regionen sehr angespannt. Vor allem in Städten liegen die Leerstände schon länger deutlich unter 0,5 Prozent. Neu ist, dass auch touristisch geprägte Bergregionen sehr tiefe Leerwohnungsziffern ausweisen, namentlich in Graubünden, im Wallis und im Berner Oberland (siehe Abbildung 1). Und vor allem sehen die Perspektiven nicht vielversprechend aus. Die Zahl der Baubewilligungen im Neubau ging zwischen 2016 und 2023 um rund 30 Prozent zurück, und eine Trendwende ist bislang nicht absehbar: 2023 wurden weniger als 40’000 Baubewilligungen für neue Wohnungen ausgestellt.

Abb. 1: Auch in Tourismusgemeinden ist die Leerwohnungsziffer auf einem Tiefststand

INTERAKTIVE GRAFIK
Quelle: Wüest Partner / Bundesamt für Statistik / Die Volkswirtschaft

Hohe Nachfrage und rückläufige Bautätigkeit

Damit wird deutlich, dass das Wohnungsangebot mit der Nachfrage nach Wohnraum nicht Schritt halten kann. Das Haushaltswachstum wird wesentlich durch die Zuwanderung und die Verkleinerung der Haushaltsgrösse angetrieben. Bei beiden Faktoren spielt die Demografie eine wichtige Rolle: In den kommenden Jahren gehen die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge in Pension – um sie auf dem Arbeitsmarkt zu ersetzen, braucht es auch ein gewisses Mass an Zuwanderung. Und mit einer älter werdenden Gesellschaft, der Tendenz zur Individualisierung und dem allgemeinen Wohlstand wird die durchschnittliche Haushaltsgrösse weiter sinken. Bereits jetzt sind gut zwei Drittel der knapp vier Millionen Haushalte in der Schweiz Ein- und Zweipersonenhaushalte. Die verschiedenen Faktoren führen dazu, dass derzeit pro Jahr gut 50’000 neue Haushalte gegründet werden.

Dem gegenüber steht die rückläufige Bautätigkeit. Während 2018 noch 53’000 neue Wohnungen auf den Markt kamen, waren es fünf Jahre später noch rund 43’000 Einheiten – und aufgrund der Entwicklung der Baubewilligungen werden es in den nächsten Jahren eher weniger sein (siehe Abbildung 2).

Die Gründe für die rückläufige Bautätigkeit sind vielfältig. Unter anderem bremsen die Verteuerung von Baumaterialien, die Zinssteigerungen der letzten Jahre – welche Anlagealternativen zu Immobilien attraktiver machen –, der Fachkräftemangel sowie die Verknappung des Baulands den Wohnungsbau. Dabei spielen wohl auch die Umsetzung des Raumplanungsgesetzes (insbesondere die erste Revision) und in den Tourismusgemeinden die Umsetzung und Wirkungsweise des Zweitwohnungsgesetzes eine Rolle.

Die Folgen dieser Entwicklung zeigen sich unter anderem in steigenden Mieten. So weisen die Indizes der Angebotsmieten seit Anfang 2022 nach oben. Und fehlender Wohnraum kann an manchen Orten die Wirtschaftsentwicklung einschränken oder verdrängt finanziell schwächere Haushalte.

Abb. 2: Die Anzahl Baubewilligungen nimmt ab

INTERAKTIVE GRAFIK
Quelle: Docu-media / UBS / Die Volkswirtschaft

Aktionsplan «Wohnungsknappheit» bietet Lösungen

Was lässt sich dagegen tun? Im Mai 2023 lud Bundesrat Guy Parmelin Vertreterinnen der Kantone, der Städte und Gemeinden sowie der Immobilien- und Baubranche und der Zivilgesellschaft zu einem runden Tisch «Wohnungsknappheit» ein. Die Teilnehmer waren sich weitgehend einig, dass Handlungsbedarf besteht und vor allem auf der Angebotsseite angesetzt werden muss.[2] Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO) erarbeitete daraufhin einen Aktionsplan, der am zweiten runden Tisch im Februar 2024 vorgestellt wurde.[3] Mit seinen über 30 empfohlenen Massnahmen bietet der Aktionsplan einen Orientierungsrahmen für die Aktivitäten der verschiedenen Akteure in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen. Die verschiedenen Massnahmen gliedern sich in drei Themenbereiche: Innenentwicklung erleichtern und umsetzen, Planungs- und Bewilligungsverfahren stärken und beschleunigen sowie genügend preisgünstigen und bedarfsgerechten Wohnraum zur Verfügung stellen.

Hinter dem ersten Themenbereich steht die Erkenntnis, dass die vom Raumplanungsgesetz vorgegebene Siedlungsentwicklung nach innen noch stärker als bisher unterstützt werden soll. Dabei sollen Kantone, Städte und Gemeinden prüfen, ob die Durchmischung von Arbeits- und Wohnzonen erleichtert werden kann und ob an geeigneten Orten eine höhere Ausnützung möglich ist. Auch sollen Anreize und gegebenenfalls Vorgaben die Mobilisierung von Bauland unterstützen, sodass eingezontes Bauland tatsächlich bebaut wird. Und vielleicht benötigen Gemeinden bei der Erarbeitung von Strategien zur räumlichen Entwicklung mehr Unterstützung.

Beim zweiten Themenbereich geht es darum, Planungs- und Baubewilligungsverfahren zu klären und zu beschleunigen. Konkret ist ein Leitfaden geplant, der die korrekte Durchführung der Interessenabwägung in Bewilligungsprojekten erleichtern soll. Mehrere Massnahmen zielen darauf ab, offensichtlich missbräuchliche Einsprachen zu reduzieren und die Planungs- und Bewilligungsverfahren effizienter zu gestalten. Dabei geht es auch um ein neues Konzept einer Baubewilligung mit zwei Phasen.

Weil die Herausforderung der Wohnungsknappheit nicht nur quantitativ gelöst werden kann, liegt der Fokus des dritten Themenbereichs auf der Bereitstellung von genügend preisgünstigem und bedarfsgerechtem Wohnraum. So sollen die Rahmenbedingungen für die Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus verbessert werden. Weiter soll ein Bericht über altersgerechtes Wohnen aufzeigen, welches Wohnraumangebot eine älter werdende Gesellschaft benötigt. Für Tourismusgebiete sind Massnahmen für den Umgang mit temporär genutztem Wohnraum und für den Erhalt von bezahlbaren Erstwohnungen vorgesehen. Zudem wird empfohlen, einen bestimmten Anteil an preisgünstigen Wohnungen vorzusehen, wenn bei einem Grundstück eine höhere Ausnützung erlaubt wird.

Eine Anleitung zur Zusammenarbeit

Das Ziel dieser Massnahmen ist es, das Wohnangebot zu erhöhen und gleichzeitig mehr qualitativ hochwertigen, preisgünstigen und bedarfsgerechten Wohnraum zu schaffen. Die Aufgabe, genügend Wohnraum zu bezahlbaren Bedingungen am richtigen Ort bereitzustellen, ist allerdings komplex und kann nur gelingen, wenn alle Akteure ihre Aufgabe und ihre Verantwortung wahrnehmen. Insofern ist der Aktionsplan «Wohnungsknappheit» eine Anleitung zur Zusammenarbeit – zwischen den verschiedenen Staatsebenen, aber auch zwischen staatlichen und privaten Akteuren.

Um den Fortschritt der Arbeiten im Sinne des Aktionsplans zu beurteilen, wird das BWO einmal pro Jahr bei den zuständigen Partnern eine entsprechende Umfrage durchführen und die Resultate anschliessend publizieren. Je nach Umsetzungsstand der Massnahmen und der allgemeinen Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt wird über die weiteren Schritte sowie über ein erneutes Treffen der beteiligten Organisationen entschieden.

  1. Siehe Sotomo (2023). SRG SSR Wahltagsbefragung 2023. Ergebnisse und Einordnungen, 25. Oktober 2023. []
  2. Siehe Medienmitteilung «Runder Tisch zur Wohnungsknappheit», 12. Mai 2023. []
  3. Siehe Medienmitteilung «Aktionsplan gegen die Wohnungsknappheit», 13. Februar 2024. []

Zitiervorschlag: Martin Tschirren (2024). Gemeinsam gegen die Wohnungsknappheit. Die Volkswirtschaft, 07. Mai.