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Referenzzinssatz: Sinn oder Unsinn?

Mieten an den Referenzzinssatz zu koppeln, kann sprunghafte Anstiege zur Folge haben. Warum die Inflation als Messgrösse vielleicht die bessere Alternative wäre.
Der Referenzzinssatz steigt und steigt – insgesamt konnten Vermieter bisher die Bestandesmieten um bis zu 10 Prozent erhöhen. (Bild: Keystone)

Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Starke Preisschwankungen beeinflussen aber das Haushaltsbudget der Mieter, weshalb die regulatorische Stabilisierung der Mieten gesellschaftlich erwünscht ist. In der Schweiz haben Vermieter, solange keine wertvermehrenden Investitionen getätigt werden, drei Möglichkeiten, die Mieten in bestehenden Mietverhältnissen anzupassen: erstens eine allgemeine Kostensteigerung von in der Regel 0,5 Prozent bis 1 Prozent pro Jahr, zweitens eine Überwälzung von 40 Prozent der Teuerung oder drittens eine Anpassung aufgrund einer Änderung im Referenzzinssatz, an den die Bestandsmiete gebunden ist.[1]

Mietersparnisse von bis zu 19 Prozent im Bestand

Der Referenzzinssatz ist der volumengewichtete Durchschnittszinssatz für inländische Hypotheken und wird auf das nächste Viertelprozent gerundet. Ein Anstieg des Referenzzinssatzes um einen Viertelpunkt erlaubt in der Regel eine Erhöhung der Miete um 3 Prozent.[2] Umgekehrt können Mieter bei einer Herabsetzung des Referenzzinssatzes eine Mietpreisreduktion einfordern. Damit orientiert sich die Mietzinsregulierung in der Schweiz stark an den Kosten der Vermieter und den vorherrschenden Kapitalmarktbedingungen. Das jetzige System ermöglicht Vermietern damit auch, durch den steigenden Referenzzinssatz Mietanpassungen vorzunehmen und damit Bewertungsverluste aufgrund steigender Diskontierungsätze zu begrenzen.

Der Referenzzinssatz ist seit seiner Einführung im Jahr 2008 von 3,5 Prozent bis zur letzten Senkung Anfang 2020 auf 1,25 Prozent gesunken. Eine im September 2008 abgeschlossene Miete hätte sich also bis Juni 2020 um 19 Prozent reduziert, wenn die Mietreduktionen über den Referenzzinssatz eingefordert worden und Inflation und Kostensteigerungen – Annahme 0,5 Prozent pro Jahr – konsequent auf Mieter überwälzt worden wären (siehe Abbildung 1). Auch wenn bei Weitem nicht alle Preissenkungen eingefordert wurden, sind die Mieten in bestehenden Verhältnissen kaum gestiegen – selbst wenn eine Altersentwertung berücksichtigt wird.[3] Real sind die Mietzinse in bestehenden Verhältnissen also gesunken. Hauptgrund dafür war der Leitzins, der nach der Finanzkrise 2008 über Jahre stark gefallen ist und damit für einen Referenzzinssatzrückgang sorgte.

Mit der Zinswende im Jahr 2022 änderte sich dieser Trend, und es wurden mit etwas Verzögerung Referenzzinserhöhungen ausgelöst (siehe Abbildung 2). Dies erlaubte Vermietern, die Miete in bestehenden Verhältnissen um bis zu 10 Prozent gegenüber dem Tiefstand von 2020 zu erhöhen. Diese Belastung trifft Mieterhaushalte unterschiedlich: Langzeitmieter profitieren trotz Erhöhung mit einer insgesamt tieferen Miete als 2008 bei Einforderung aller möglichen Mietreduktionen. Neumieter, die nach 2020 Verträge auf dem historischen Tiefstand des Referenzzinssatzes zu hohen Marktmieten abgeschlossen haben, müssen die Anstiege von hohem Niveau aus voll tragen. Neumieter bezahlen meist die Rechnung für die realen Mietreduktionen von Bestandesmietern.

Abb. 1: Die Mietzinse an den Referenzzinssatz zu koppeln, kann sprunghafte Anstiege zur Folge haben

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Anmerkung: Annahme vollständiger Weitergabe der möglichen Mietanpassungen bzw. bei Weitergabe nur bei Erreichen des Referenzzinssatzes von 2,5% und 1,5% respektive des letzten Anstiegs auf 1,75%. Die Altersentwertung wurde in dieser Abbildung nicht berücksichtigt.
Quelle: Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) / Eigene Berechnungen / Die Volkswirtschaft

Abb. 2: Der Referenzinssatz ist 2023 erstmalig angestiegen

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Quelle: Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) / Die Volkswirtschaft

Preisregulierung hat auch negative Effekte

Die ökonomische Forschung zeigt, dass die Stabilisierung von Mietzinsen je nach Ausgestaltung nebst der Umverteilung von Neumietern zu Langzeitmietern weitere negative Effekte hat. Sie kann zu einem kleineren Wohnungsangebot, einem Rückgang der Wohnungswechsel (Lock-in-Effekt) und weniger Sanierungen führen.[4] Moderne Regulierungsformen schwächen diese Effekte durch die Möglichkeit einer Mietzinsanpassung bei Mieterwechsel ab, oft bleiben aber erhebliche Nebenwirkungen.[5] Die Balance aus Stabilität und Minimierung negativer Auswirkungen ist eine grosse Herausforderung.

Beim aktuellen Schweizer System kommt als zusätzlicher Nachteil dessen Komplexität mit den drei Komponenten und dem hohen administrativen Aufwand dazu.[6] Eine geldpolitische Schwäche ist die Kopplung der Mieten an die Hypothekarzinsen, da eine Zinserhöhung zur Inflationsbekämpfung eine Erhöhung der Mieten bewirkt und damit einen Teil der Inflationsbekämpfung zunichtemacht.

Auch kann die hohe positive Korrelation der drei Komponenten Zins-, Kosten- und Preisentwicklung zu plötzlichen starken Anpassungen und Umverteilungen führen. Bei diesen Umverteilungen gibt es jeweils Gewinner und Verlierer mit viel Unmut und dem Risiko investitionsfeindlicher Initiativen: nicht nur zwischen Vermietern und Mietern, sondern auch zwischen jenen Mietern, die auf neue Wohnungen angewiesen sind, und jenen, die von alten Mietverträgen profitieren. Vielen Mietern in neueren Wohnungen, die zuletzt von hohem Niveau ausgehend zusätzlich bis zu 10 Prozent Mietsteigerungen akzeptieren mussten, nützt die Argumentation, dass andere Mieter zuvor bis zu 19 Prozent gespart haben, wenig.

Insgesamt ist die Planungsunsicherheit für alle Parteien vergleichsweise hoch. Im Gegensatz zum Zinssatz gibt es bei der Inflation immer das klar definierte Ziel der Preisstabilität. Das dafür erforderliche Zinsniveau hingegen, an das der Referenzzinssatz gekoppelt ist, kann über die Zeit stark schwanken. Wäre die alleinige Indexierung an die Zielgrösse der Inflation für die Schweiz also die bessere Alternative?

Sollen Mieten an die Inflation gekoppelt werden?

Ein Blick ins Ausland zeigt, dass die Indexierung der Miete an die allgemeine Teuerung, respektive den Landesindex der Konsumentenpreise (LIK), am weitesten verbreitet ist. Auch in der Schweiz wurde diese Lösung mehrmals diskutiert, 2008 stand sie vor dem Durchbruch. Sie ist jedoch an der Uneinigkeit darüber gescheitert, ob 100 Prozent der Inflation überwälzt werden können oder nur 80 oder 90 Prozent. Ein Vorteil gegenüber der heutigen Lösung wären die starke Vereinfachung und der kleinere administrative Aufwand. Zudem würde eine Indexmiete die Inflationsbekämpfung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) bei geringerem Effekt auf das reale Wirtschaftswachstum erleichtern.[7]

Bei wachsenden Reallöhnen sinkt die Mietbelastung ausserdem in langfristig bestehenden Mietverhältnissen. Bei einer Indexierung an den LIK sollten die Komponenten Wohnen und Energie zur Vermeidung einer Rückkoppelung, wie in der Vernehmlassung 2008 von Kantonen angeregt, allerdings ausgeschlossen werden. In den letzten Jahren hätte diese Indexierung die Erhöhung der Mieten gebremst (siehe Abbildung 1 «LIK» und «LIK ohne Wohnen und Energie»).

Der LIK ohne die Miet- und Energiekomponente ist heute auf dem gleichen Stand wie im Jahr 2008. Auch mit der Koppelung an diesen Index hätten Mieter seit 2008 leichte Mietreduktionen einfordern können, müssten heute aber weniger drastische Erhöhungen in Kauf nehmen, die Lücke zwischen Bestandsmieten und Neumieten wäre kleiner, die Emotionen gemässigter und die Planungssicherheit höher.

In Ausnahmesituationen mit sehr hoher Inflation bzw. Deflation oder sinkenden Reallöhnen über längere Zeit könnte ein Gremium die Überwälzung der Teuerung auf die Mieter aushandeln. Bereits in der Vernehmlassung zur Indexierung der Mieten 2008 war geplant, dass der Bundesrat den Überwälzungssatz bei hoher Teuerung reduzieren kann. Eine effizientere technische Lösung wäre ein rollender mehrjähriger Durchschnitt der Inflation, der plötzliche Inflationsschübe über mehrere Jahre verteilt und Mieten dadurch glättet.

Sowohl Mieter als auch Vermieter benötigen ein verbindliches, klares, faires, stabiles und kalkulierbares System zur Schätzung zukünftiger Mietzinsentwicklungen im Bestand. Das gegenwärtige System ist verbindlich – kann jedoch sprunghaft sein, ist kaum prognostizierbar und innerhalb der Mieterschaft auch nicht fair. Die Indexierung an den LIK ohne Komponente Wohnen und Energie ist deshalb erneut eine prüfenswerte Alternative. Die vom Bundesrat beauftragte wissenschaftliche Überprüfung des Anpassungsmechanismus bietet jetzt die Chance, diese Zusammenhänge im Sinne einer fairen Verteilung und einer zukünftigen Planungssicherheit für alle involvierten Parteien vertieft zu beleuchten.

  1. Der Bundesrat plant, als mietzinsdämpfende Massnahme die Überwälzung der Inflation auf 28 Prozent zu beschränken und nur noch effektive anstatt pauschale Kostensteigerungen zu erlauben. []
  2. Unter der Annahme, dass der vertragliche Referenzzinssatz auf dem Wert vor dem Anstieg basiert. []
  3. Siehe Lennartz und Lareida (2024). []
  4. Siehe Kholodilin (2024). []
  5. Siehe Arnott (1995). []
  6. Siehe BWO (2008). []
  7. Siehe Stalder (2003). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Leonard Fister, Christian Kraft, Daniel Steffen (2024). Referenzzinssatz: Sinn oder Unsinn. Die Volkswirtschaft, 02. Mai.