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Was hätten Sie mit 360 Franken mehr im Monat gemacht?

Linda Rosenkranz, Generalsekretärin Mieterinnen- und Mieterverband Schweiz, Bern

Standpunkt

Die Mieten explodieren – um satte 24,8 Prozent sind sie in nur 19 Jahren gestiegen. Das hat unterschiedliche Gründe. Inflation, Energiekrise und der Anstieg des Referenzzinssatzes sind ein paar davon – allerdings betreffen sie nur die letzten beiden Jahre. Die wahre Treiberin ist die Immobilienwirtschaft. Sie setzt die Volkswirtschaft unter Druck, indem sie zulasten unserer Kaufkraft die Mieten erhöht. Und das massiv.

Aber von vorne: 2008 war das Jahr der Finanzkrise, die Auswirkungen auf die Zinspolitik hatte. Wegen rekordtiefer Zinsen bis 2022 wurden Anlagen in Immobilien plötzlich attraktiver als andere Wertanlagen. 2005 – also nur drei Jahre zuvor – wurde ausserdem die Lex Koller, also das Bundesgesetz über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland, aufgeweicht. Diese Aufweichung erlaubt es ausländischen Anlegern, ihr Geld – sehr viel Geld – indirekt in Schweizer Immobilien zu parkieren. Dieses sehr viele Geld floss aber nicht zu Herrn und Frau Gisler, die fünf Mietwohnungen in einem Mehrfamilienhaus vermieten, sondern in die Kassen börsenkotierter Immobilienunternehmen und ihrer Fonds.

Jeder Mieterwechsel bietet die Möglichkeit, den Mietzins zu erhöhen. Deshalb explodieren die Angebotsmieten.

Diese wiederum haben das Geld in möglichst rentable Immobilien gesteckt. Und rentabel sind die meisten Immobilien in der Schweiz – solange wir ein hohes Volkseinkommen haben und der Staat in die Infrastruktur investiert. Und sie sind noch rentabler, solange sich niemand um die gesetzlich limitierte Höhe der Renditen kümmert: 7,6 Prozent Rendite wurde 2023 durchschnittlich mit Mietwohnungen erzielt. Das hat noch mehr Geld angelockt – mit eindrücklichen Folgen, wie das Bundesamt für Statistik zeigt: Immer weniger Wohnungen werden von Privaten vermietet, immer mehr Mietwohnungen gehören institutionellen Anlegern, die für höhere Bilanzwerte ihrer Immobilien übersetzte Renditen verlangen. Und das, obschon die zulässige Rendite mietrechtlich klar festgelegt ist. Aktuell liegt sie – abhängig vom Referenzzins – bei 3,75 Prozent. Das heisst: Die Vermieterinnen haben auf Kosten der Mieter doppelt so viel verdient wie gesetzlich erlaubt. Dieser Unterschied zwischen mietrechtlicher und realer Rendite lässt sich beziffern: Mehr als 10 Milliarden Schweizer Franken zu viel haben Mieter im Jahr 2023 bezahlt – umgerechnet 360 Franken monatlich pro Miethaushalt.

Aktuell mieten in der Schweiz 2,4 Millionen Menschen, jährlich ziehen 10 Prozent von ihnen um. Das macht 240’000 neue Mietverträge pro Jahr. Jeder Mieterwechsel bietet die Möglichkeit, den Mietzins zu erhöhen. Deshalb explodieren die Angebotsmieten. Und das ist der eigentliche volkswirtschaftliche Super-GAU: Die Immobilienwirtschaft saugt Kaufkraft und Sparquote der Mietenden ab. Wofür hätten Sie das Geld ausgegeben? Für mehr oder bessere Lebensmittel? Für das Ferienlager ihrer Kinder? Für eine Weiterbildung? Oder hätten Sie es in Ihre Säule 3a investiert und damit Steuern gespart? Ich finde, es ist mehr als nur eine Überlegung wert, wem wir unser erarbeitetes Geld geben.

Zitiervorschlag: Linda Rosenkranz (2024). Standpunkt: Was hätten Sie mit 360 Franken mehr im Monat gemacht. Die Volkswirtschaft, 07. Mai.