Statt intakte Landschaften zu verbauen, sollte dort gebaut werden, wo schon Gebäude stehen. (Bild: Keystone)
In der Debatte um die Wohnungsknappheit scheint eine der Schuldigen klar zu sein: die Raumplanung, genauer gesagt das Raumplanungsgesetz (RPG). Es schränke – so lautet zuweilen die Kritik – das Bauen zu stark ein. Um diese Kritik einzuordnen, lohnt es sich, zurückzublenden.
Vor ziemlich genau zehn Jahren, am 1. Mai 2014, trat die erste Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG1) in Kraft. Ihr Ziel ist es, die Zersiedelung in der Schweiz zu stoppen. Mehr Bauland einzuzonen und grüne Wiesen zu überbauen, gehört seither der Vergangenheit an. Die neue Politik lautet, die Siedlungen in der Schweiz nach innen zu entwickeln. Mit anderen Worten: Statt intakte Landschaften zu verbauen, soll dort gebaut werden, wo schon Gebäude stehen und die Verkehrserschliessung bereits vorhanden ist.
Das ist nicht zuletzt ein ökonomischer Ansatz. Einerseits ist der Raum in der Schweiz eine knappe und darum sehr wertvolle Ressource; wir sollten sie so effizient wie möglich nutzen. Andererseits trägt unsere unverbaute natürliche Landschaft wesentlich zur Attraktivität des Landes bei.
Die Zersiedelung wird gebremst
Mit der Einführung des RPG1 trat ein Bauzonenmoratorium in Kraft: Solange die Kantone ihren Richtplan nicht an das RPG1 angepasst und der Bundesrat diese Anpassung genehmigt hatte, durften sie ihre Bauzonenfläche nicht vergrössern. Mit dem Richtplan legt der jeweilige Kanton fest, wie er sich räumlich entwickeln will. Der letzte revidierte Richtplan – derjenige des Kantons Tessin – wurde im Herbst 2022 vom Bundesrat genehmigt. Nun ist es an den Gemeinden, ihre Nutzungspläne gemäss RPG1 zu überarbeiten und lebenswerten Wohnraum durch Innenentwicklung zu ermöglichen.
Dass die Innenentwicklung angesichts der Wohnungsknappheit bei einigen Ökonomen auf Kritik stösst, ist nicht erstaunlich. Um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, scheint es auf den ersten Blick einfacher zu sein, im grossen Stil neu einzuzonen und auf dem freien Feld die Bagger auffahren zu lassen.
Aber erstens ist es nicht die Aufgabe der Raumplanung, kurzfristig und einseitig auf einzelne Bedürfnisse zu reagieren. Und zweitens ist erkennbar, dass das RPG1 greift.
Die jüngsten Zahlen der Bauzonenstatistik des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE) zeigen, dass der Trend zur weiteren Zersiedelung gebremst wird – auch dank des Bauzonenmoratoriums. Die Gesamtfläche der Bauzonen ist stabil geblieben, obwohl die Bevölkerungszahl in derselben Zeitspanne zugenommen hat. Die Bauzonenfläche pro Kopf ist dementsprechend von 2012 bis 2022 von 309 auf 282 Quadratmeter gesunken (siehe Abbildung).
Die Bauzonenfläche pro Kopf ist in der Schweiz von 2012 bis 2022 gesunken
INTERAKTIVE GRAFIK
Quelle: Bauzonenstatistik ARE / Die Volkswirtschaft
Das Potenzial ist riesig
Natürlich ist die Innenentwicklung anspruchsvoll. Denn wer in bestehendem Siedlungsgebiet bauen will, muss mit Hindernissen rechnen: mehr Verkehr, weniger Aussicht und ein verändertes Quartierbild. Solche Gründe werden in Nachbarschaftsversammlungen oder in Einsprachen gegen Bauvorhaben oft genannt. Grenzabstände oder andere Vorschriften machen bauliche Verdichtungen zusätzlich kompliziert. Möglicherweise sind einige unserer Baugesetze noch von vorgestern, das heisst: noch zu stark auf den Neubau auf der grünen Wiese angelegt.
Doch trotz dieser Schwierigkeiten ist das Potenzial riesig, und die Anzahl guter Beispiele für eine gelungene Innenentwicklung nimmt laufend zu. Sie zeigen auch, welche Faktoren zum Erfolg geführt haben. Wer beispielsweise die betroffene Bevölkerung von Anfang an mit einbezieht und ihr nicht erst gegen Ende des Planungsprozesses alibimässig eine Anhörung einräumt, hat es einfacher. Bauen kann man nicht an den Menschen vorbei. Und wer zusätzlich schöne, nutzbare Freiräume wie Grünanlagen oder Spiel- und Begegnungsorte schafft oder Lärmprobleme löst, gewinnt doppelt.
Ein weiterer Vorteil der Innenentwicklung: Bauen verbraucht sehr viele Ressourcen. Statt Gebäude abzureissen, ist es oft weitaus effizienter, sie umzunutzen, zu renovieren, aufzustocken oder an sie anzubauen. Ausserdem kann man viele Baumaterialien wiederverwenden oder -verwerten. Das tun wir noch zu wenig.
Kreative Lösungen sind gefragt
Schwierige Bedingungen führen häufig zu innovativen Ideen und kreativen, mutigen Lösungen. Warum soll uns das nicht auch im Bereich des Wohnbaus gelingen? Architektinnen haben beispielsweise gezeigt, wie man bestehende Mehrfamilienhäuser um ein weiteres Stockwerk erweitern kann. Und in letzter Zeit wurde darüber diskutiert, wie leer stehende Bürogebäude in Wohnraum umgenutzt werden können. Wie wäre es zum Beispiel, wenn der Bund als Vorbild handeln und einen Teil seiner unternutzten Bürogebäude in Wohnungen umwandeln würde?
Ideen wie diese tragen dazu bei, die Innenentwicklung konsequent umzusetzen. Das ist ein zentraler Punkt des Aktionsplans, den der runde Tisch zur Wohnungsknappheit am 13. Februar 2024 verabschiedet hat. Ein weiterer Punkt, an dem die Raumentwicklung ansetzen kann: die Planungs- und Bewilligungsverfahren, wo immer möglich, beschleunigen. Wir sind derzeit daran, zu ermitteln, wie und wie stark Einsprachen und Beschwerden die Wohnbautätigkeit beeinflussen.
Die ganze Schweiz im Blick
Der verfassungsmässige Auftrag der Raumentwicklung ist, für eine zweckmässige und haushälterische Nutzung des Raums zu sorgen. Dafür nimmt das ARE eine gesamtheitliche Sicht ein. Der Platz zum Wohnen ist zwar ein zentrales Bedürfnis, aber wir als Gesellschaft brauchen auch Raum für die Wirtschaft, die Natur, den Verkehr, Erholung und Freizeit, die Energieversorgung und die Nahrungsmittelproduktion, um nur die wichtigsten Aspekte zu nennen.
Die ganzheitliche Sicht gilt auch für unseren Blick auf die Verschiedenartigkeit der Schweiz. Zwar leben drei Viertel der Menschen in der Schweiz in urbanem Gebiet. Und in den grossen Städten ist die Wohnungssituation zweifellos angespannt; wir gehen derzeit auch davon aus, dass diese Anspannung weiter zunehmen wird.
Doch zur Schweiz gehören auch Randgebiete von Agglomerationen, landwirtschaftlich oder industriell geprägte Regionen, Tourismusorte, Regionalzentren und wenig erschlossene Regionen in den Berggebieten. Sie alle haben ebenfalls Bedürfnisse an den Raum. Auch ihre Bevölkerung und ihre Unternehmen müssen eine Zukunftsperspektive haben. Die Raumentwicklung hat deshalb sicherzustellen, dass unser Land geordnet besiedelt wird. Die Innenentwicklung sorgt dafür. Die Raumentwicklung ist daher nicht Teil des Problems Wohnungsknappheit, sondern Teil der Lösung.
Zitiervorschlag: Lezzi, Maria (2024). Wohnungsknappheit: Die Raumentwicklung ist Teil der Lösung. Die Volkswirtschaft, 07. Mai.