Belastet die Klimapolitik die öffentlichen Finanzen?
Wegbrechende Staatseinnahmen: Mit zunehmender Anzahl Elektrofahrzeuge fallen Mineralölsteuer und kantonale Motorfahrzeugsteuern weg. (Bild: Keystone)
Neben der Alterung der Bevölkerung ist der Klimawandel eine der grössten langfristigen Herausforderungen für die Schweiz. Mit dem Klima- und Innovationsgesetz hat sich die Schweiz verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu werden.
Zentrale Fragen sind: Wie werden sich die Klimaschutzmassnahmen langfristig auf die öffentlichen Finanzen auswirken? Und welche Einnahmen und Ausgaben sind vom Klimaschutz betroffen?
Diesen Fragen gehen die Langfristperspektiven 2024 des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) nach. Basierend auf einer Pilotstudie des Beratungsunternehmens Ecoplan werden darin die Auswirkungen der Klimaschutzmassnahmen auf die öffentlichen Haushalte analysiert.[1] Die Studie betritt methodisches Neuland, da es international noch keine etablierte Vorgehensweise für eine solche Analyse gibt.[2]
Die Klimaschutzmassnahmen sollen insbesondere dazu beitragen, das Pariser Abkommen einzuhalten und künftige klimabedingte Schäden zu reduzieren. Die Kosten des Klimawandels selbst, und damit auch die durch die Klimapolitik vermiedenen Klimaschäden, konnten jedoch aufgrund noch zu grosser Unsicherheiten und fehlender Datengrundlagen nicht berücksichtigt werden. Die Studie fokussiert also rein auf die Kosten der Klimapolitik.
Grossteil der öffentlichen Finanzen vom Klimaschutz betroffen
Die unterstellten Klimaschutzmassnahmen wirken sich auf die Einnahmen und Ausgaben von Bund, Kantonen, Gemeinden und Sozialversicherungen direkt und indirekt aus. Direkte Auswirkungen sind etwa wegfallende Einnahmen aus der Mineralölsteuer sowie zunehmende öffentliche Ausgaben für das Gebäudeprogramm von Bund und Kantonen. Da Klimaschutzmassnahmen zudem das Wirtschafts- und Lohnwachstum leicht dämpfen, haben sie auch indirekte Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte.[3] Indirekt reduzieren sie beispielsweise das Wachstum der Einnahmen aus der direkten Bundessteuer und der Mehrwertsteuer oder Bundesbeiträge an die Sozialwerke.
Im Jahr 2021 waren rund 71 Prozent der ordentlichen Einnahmen und 75 Prozent der ordentlichen Staatsausgaben direkt oder indirekt vom Klimaschutz betroffen. Besonders exponiert ist der Bund, unter anderem wegen der hohen Einkünfte aus der Mineralölsteuer, der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) und der CO2-Abgabe.
Um zu untersuchen, wie sich die Klimaschutzmassnahmen langfristig auswirken, werden die Einnahmen und Ausgaben aller Staatsebenen und der Sozialversicherungen anhand verschiedener Politikszenarien bis ins Jahr 2060 projiziert. Die Politikszenarien beinhalten eine unterschiedliche Gewichtung von Lenkungsabgaben, Emissionsstandards und Subventionen (siehe Kasten). Sie wurden so konzipiert, dass sie das Netto-null-Ziel bis 2050 erreichen. Um die Zusatzbelastung aufzuzeigen, die durch diese Ausweitung der Klimaschutzmassnahmen entsteht, wird die Entwicklung der öffentlichen Finanzen in jedem Politikszenario mit derjenigen in einem Referenzszenario verglichen. Im Referenzszenario werden die bestehenden Massnahmen per Ende 2018 fortgeschrieben und nicht weiter verschärft. Das Netto-null-Ziel wird im Referenzszenario folglich nicht erreicht.
Die Fortschreibung der öffentlichen Einnahmen und Ausgaben bis ins Jahr 2060 erfolgt mithilfe eines eigens dafür entwickelten «Budget-Impact»-Modells, welches auf den Ergebnissen von Energiesystemmodellen (ESM) und eines allgemeinen Gleichgewichtsmodells (CGE) aus den Energieperspektiven 2050+ aufbaut.[4]
Öffentliche Einnahmen wachsen langsamer
Gemäss den Projektionen wird das Netto-null-Ziel das Einnahmen- und Ausgabenwachstum der öffentlichen Haushalte abschwächen. Im Vergleich zum Referenzszenario liegen die Bundeseinnahmen 2060 rund 2 Milliarden Franken (zu Preisen von 2021) tiefer (siehe Abbildung 1). Insbesondere die Einnahmen aus der Mineralölsteuer sinken bis 2050 auf null, weil – anders als im Referenzszenario – ab dann keine fossilen Treibstoffe im Verkehrssektor mehr eingesetzt werden. In der vorliegenden Analyse ist dieser Rückgang für die Gesamteinnahmen aber nicht entscheidend, denn die Einnahmeneinbussen aus der Mineralölsteuer können durch die im Jahr 2030 per Annahme eingeführten Ersatzabgaben auf Elektrofahrzeugen kompensiert werden.
Die Einnahmen aus der CO2-Abgabe auf Brennstoffen steigen im Vergleich zum Referenzszenario zuerst an, was mit der unterstellten deutlich höheren CO2-Abgabe im Hinblick auf das Erreichen des Netto-null-Ziels zu tun hat. Ab 2040 sinken hingegen die Treibhausgasemissionen rascher als im Referenzszenario und damit auch die Einnahmen aus der CO2-Abgabe.
Auch die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer und der direkten Bundessteuer entwickeln sich gegenüber dem Referenzszenario negativ, da die Ausweitung der Klimaschutzmassnahmen das Wirtschaftswachstum dämpft.
Abb. 1: Einnahmen des Bundes im Vergleich zum Referenzszenario (2021–2060)
INTERAKTIVE GRAFIK
Auf der Ausgabenseite führen die Klimaschutzmassnahmen im Jahr 2060 zu rund 1 Milliarde Franken tieferen Bundesausgaben als im Referenzszenario (siehe Abbildung 2). Dabei wird angenommen, dass die Kosten des Umbaus des Energiesystems, um das Netto-null-Ziel zu erreichen, hauptsächlich der Privatsektor trägt, etwa durch die Erhöhung von Lenkungsabgaben oder die Verschärfung von Emissionsstandards. Das Ausgabenwachstum des Bundes sinkt, beispielsweise aufgrund geringerer Bundesbeiträge an die Sozialwerke. Es fliessen zudem weniger Transfers vom Bund an die Kantone, etwa aus den geringeren Einnahmen aus der Mineralölsteuer, der CO2-Abgabe und der direkten Bundessteuer.[5]
Auch bei den Kantonen, Gemeinden und Sozialversicherungen sind die indirekten Effekte entscheidend. Bei den Kantonen und Gemeinden ist das Wachstum der Steuereinnahmen und bei den Sozialversicherungen das Wachstum der Einnahmen aus den Lohnbeiträgen geringer. Diese Effekte sind wiederum auf das geringere Wirtschaftswachstum durch die Klimaschutzmassnahmen zurückzuführen.
Abb. 2: Ausgaben des Bundes im Vergleich zum Referenzszenario (2021–2060)
INTERAKTIVE GRAFIK
Der Druck auf die öffentlichen Finanzen wird zunehmen
Insgesamt führen die unterstellten Klimaschutzmassnahmen dazu, dass der Haushaltssaldo aus Einnahmen und Ausgaben aller Staatsebenen und der Sozialversicherungen 2060 um 3,4 bis 4,4 Milliarden Franken tiefer ausfällt als im Referenzszenario (preisbereinigt). Das entspricht rund 0,3 Prozent des BIP. Wird davon ausgegangen, dass die Fiskalregeln inklusive der Schuldenbremse des Bundes nicht wirken, würde dies dazu führen, dass 2060 die Schuldenquote des Gesamtstaats – also die Staatsschulden im Verhältnis zum BIP – je nach Politikszenario rund 8 bis 11 Prozentpunkte höher liegt als im Referenzszenario. Der Bund trägt dabei die grösste Last (siehe Abbildung 3).
Abb. 3: Entwicklung der Schuldenquote im Vergleich zum Referenzszenario (2021–2060)
INTERAKTIVE GRAFIK
Die Studie zeigt: Das Netto-null-Ziel belastet die öffentlichen Haushalte. Grund dafür sind vor allem die geringeren Einnahmen aufgrund des klimaschutzbedingt gedämpften Wirtschaftswachstums. Da über die Zeit auch die Einnahmen aus der Mineralölsteuer, der LSVA und den kantonalen Motorfahrzeugsteuern wegfallen, sind Ersatzabgaben – beispielsweise auf Elektrofahrzeuge – wichtig. Letztlich zeigt die Analyse in den weiteren Politikszenarien, dass der verstärkte Einsatz von Subventionen den Druck auf die öffentlichen Finanzen weiter erhöhen wird.
Allerdings bringt der Klimaschutz auch einen erheblichen Nutzen, der nicht vergessen werden darf. Denn er reduziert Klimaschäden mit ihren vielfältigen Auswirkungen, unter anderem auf Gesundheit, Biodiversität, Landwirtschaft, Infrastruktur und Produktion von Gütern und Dienstleistungen.
- Siehe Eidgenössisches Finanzdepartement (2024) und Ecoplan (2024). []
- Ähnlich wie in den Langfristperspektiven 2024 haben jüngste Arbeiten von internationalen Organisationen die volkswirtschaftlichen und teils budgetären Auswirkungen des Klimaschutzes erstmals analysiert (siehe NGFS, 2023; OECD, 2023; Internationaler Währungsfonds, 2024). []
- Siehe UVEK (2022b). []
- Siehe UVEK (2022a und 2022b). []
- Die Hälfte der Einnahmen aus der Mineralölsteuer fliesst in die Spezialfinanzierung Strassenverkehr (SFSV), aus der unter anderem die Hauptstrassenbeiträge an die Kantone finanziert werden. Zudem fliesst ein Teil der Bundeseinnahmen aus der CO2-Abgabe in das Gebäudeprogramm der Kantone. []
Literaturverzeichnis
- Ecoplan (2024). Langfristige Auswirkungen des Netto-Null-Ziels in der Klimapolitik auf die öffentlichen Finanzen Grundlagen für die «Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen der Schweiz», April 2024.
- Eidgenössisches Finanzdepartement (2024). Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 2024: Alterung und Netto-Null-Ziel, Bern, April 2024.
- Internationaler Währungsfonds (2024). Public Debt Dynamics During the Climate Transition, International Monetary Fund, Washington, DC, März 2024.
- Network for Greening the Financial System (2023). NGFS Scenarios for central banks and supervisors, NGFS, Juli 2023.
- OECD (2023). Long-term Scenarios: Incorporating the Energy Transition, OECD Economic Policy Papers, No. 33, OECD Publishing, Paris.
- UVEK (2022a). Energieperspektiven 2050+, Bern.
- UVEK (2022b). Energieperspektiven 2050+, Volkswirtschaftliche Auswirkungen: Analyse mit einem Mehrländer-Gleichgewichtsmodell – Annahmen, Szenarien, Ergebnisse, Bern.
Bibliographie
- Ecoplan (2024). Langfristige Auswirkungen des Netto-Null-Ziels in der Klimapolitik auf die öffentlichen Finanzen Grundlagen für die «Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen der Schweiz», April 2024.
- Eidgenössisches Finanzdepartement (2024). Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 2024: Alterung und Netto-Null-Ziel, Bern, April 2024.
- Internationaler Währungsfonds (2024). Public Debt Dynamics During the Climate Transition, International Monetary Fund, Washington, DC, März 2024.
- Network for Greening the Financial System (2023). NGFS Scenarios for central banks and supervisors, NGFS, Juli 2023.
- OECD (2023). Long-term Scenarios: Incorporating the Energy Transition, OECD Economic Policy Papers, No. 33, OECD Publishing, Paris.
- UVEK (2022a). Energieperspektiven 2050+, Bern.
- UVEK (2022b). Energieperspektiven 2050+, Volkswirtschaftliche Auswirkungen: Analyse mit einem Mehrländer-Gleichgewichtsmodell – Annahmen, Szenarien, Ergebnisse, Bern.
Zitiervorschlag: Lerch, Benjamin; Brändle, Thomas; Baur, Martin; Elbel, Roman (2024). Belastet die Klimapolitik die öffentlichen Finanzen? Die Volkswirtschaft, 25. Juni.
Um die Auswirkungen der Klimaschutzmassnahmen auf die öffentlichen Finanzen zu analysieren, wurde für die zugrunde liegende Studie ein «Budget-Impact»-Modell entwickelt. Dafür wurde auf den Ergebnissen der volkswirtschaftlichen (allgemeines Gleichgewichtsmodell) und technischen (Energiesystemmodelle) Analysen der Energieperspektiven 2050+ aufgebaut.
Im Fokus der Analyse steht ein Politikszenario, das die bestehenden energie- und klimapolitischen Instrumente für die Schweiz fortführt und sie ausweitet, um das Netto-null-Ziel bis 2050 zu erreichen (Politikszenario 1). Im Politikszenario unterliegen energieintensive Industrien dem Emissionshandelssystem. Die CO2-Abgabe auf fossilen Brennstoffen wird graduell angehoben und erreicht schliesslich 500 CHF/t CO2 im Jahr 2050. Fossile Treibstoffe unterstehen Emissionsstandards, die so konzipiert wurden, dass bis ins Jahr 2050 keine Emissionen im Verkehrssektor mehr entstehen. Es wird angenommen, dass der Rückgang der Einnahmen aus der Mineralölsteuer (inklusive Zuschlag), der LSVA und der Motorfahrzeugsteuer durch Ersatzabgaben auf Elektrofahrzeugen kompensiert werden kann. Für schwer abzubauende Emissionen, beispielsweise in der Landwirtschaft, der Kehrichtverbrennung und der Zementproduktion, wird die Nutzung von Carbon Capture and Storage (CCS) und Negativemissionstechnologien (NET) angenommen. Bei der Stromproduktion werden vorgegebene Minimalquoten für die Produktion aus erneuerbaren Energiequellen angenommen. Es wurden zusätzlich drei weitere Politikszenarien entwickelt, die entweder mehr Gewicht auf Lenkungsabgaben, Emissionsstandards oder Subventionen legen.