Die öffentliche Arbeitsvermittlung wird modernisiert
Boxenstopp für die öffentliche Arbeitsmarktvermittlung – nach knapp 30 Jahren Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV). Im Bild: Ein Formel-1-Mechaniker. (Bild: Keystone)
Die Schweiz war in den frühen 1990er-Jahren aufgrund einer langen wirtschaftlichen Rezession mit einer bis da noch nie gesehenen Arbeitslosigkeit konfrontiert. Zwischen Februar 1990 und Februar 1994 stieg die Arbeitslosenquote von 0,5 auf 5,2 Prozent. Gleichzeitig erhöhte sich der Anteil der Langzeitarbeitslosen, das heisst der Personen, die mehr als ein Jahr arbeitslos sind, auf über 30 Prozent. Die sich rasch verschlechternde Situation auf dem Arbeitsmarkt machte damals deutlich, dass die bisherige öffentliche Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenberatung, die vielerorts ohne Fachpersonen auskommen musste, nicht mehr genügten.
Radikale Neuorganisation mit RAV
In einem für Schweizer Verhältnisse wohl einzigartig grossen Sprung wurde 1995 die öffentliche Arbeitsvermittlung stark umgebaut, regionalisiert und professionalisiert.[1] Das revidierte Arbeitslosenversicherungsgesetz von 1995 verpflichtete die Kantone, anstelle der rund 3500 Gemeindearbeitsämter schweizweit 120 Regionale Arbeitsvermittlungszentren (RAV) einzuführen. Im neuen Arbeitslosenversicherungsgesetz wurden zudem die Ziele der Verhütung und der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit sowie der raschen und dauerhaften Wiedereingliederung von Stellensuchenden verankert.
Gleichzeitig gewann der Leitgedanke der «Aktivierung» an Bedeutung. Im Sinne einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik wurden neben den regelmässigen Beratungsgesprächen die sogenannten arbeitsmarktlichen Massnahmen (zum Beispiel Kurse, Praktika, Programme zur vorübergehenden Beschäftigung) stark ausgebaut. Finanziert werden die Leistungen der RAV und die arbeitsmarktlichen Massnahmen seither über den Fonds der Arbeitslosenversicherung, in den nebst den Lohnbeiträgen von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden auch Bundes- und Kantonsmittel fliessen. Während die Kantone für den Betrieb der RAV zuständig sind, führt der Bund deren Aufsicht und Steuerung.
Die öffentliche Arbeitsvermittlung hat einen klaren Fokus auf die Arbeitgebenden und die Stellensuchenden. Zu Letzteren gehören gemäss Arbeitsvermittlungsgesetz auch Stellensuchende, die keinen Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung haben. Vereinfacht gesagt, lassen sich die Leistungen in vier Wörtern zusammenfassen: Vermittlung, Beratung, Unterstützung und Kontrolle. Die RAV vermitteln Stellensuchende auf offene Stellen und sind für Arbeitgebende die regional verankerte Ansprechpartnerin bei der Besetzung der offenen Stellen. Sie beraten Stellensuchende und unterstützen sie mittels arbeitsmarktlicher Massnahmen bei ihrer Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Und schliesslich kontrollieren sie bei den Stellensuchenden, die Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung haben, die Einhaltung ihrer Mitwirkungspflichten.
Neue Ansprüche und Trends
Das alles klingt einfach. Doch Konjunkturzyklen, der sich wandelnde Arbeitsmarkt sowie veränderte Kundenbedürfnisse machen die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben höchst anspruchsvoll. Seit der Gründung der RAV vor knapp 30 Jahren hat sich einiges bewegt, und die Aufgaben der RAV werden aufgrund gesellschaftlicher Ansprüche und politischer Aufträge immer vielschichtiger. Angesichts der zunehmenden Heterogenität der Stellensuchenden und der je nach Bildungs- und Erwerbsbiografie unterschiedlichen Kundenbedürfnisse ist die interinstitutionelle Zusammenarbeit heute unabdingbar. Die öffentliche Arbeitsvermittlung kooperiert deshalb eng mit den Institutionen aus den Bereichen Soziales, Gesundheit, Bildung und Migration.
Auch die Vermittlung hat seit 2018 mit der Umsetzung der Stellenmeldepflicht für Berufsarten mit hoher Arbeitslosigkeit an Relevanz gewonnen. Weiter ist die öffentliche Arbeitsvermittlung auch unmittelbar betroffen von grossen Trends: der digitalen Transformation, dem Bedarf an lebenslangem Lernen, der demografischen Entwicklung und der Migration.
Wenn sich diese Rahmenbedingungen verändern, muss sich auch die öffentliche Arbeitsvermittlung anpassen. Die Aufsichtskommission der Arbeitslosenversicherung hat deshalb das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) beauftragt, gemeinsam mit den Kantonen und den Sozialpartnern ein Zielbild für die öffentliche Arbeitsvermittlung zu entwickeln. Im letzten Jahr hat das Seco deshalb mit rund 80 Fachpersonen die «Strategie öffentliche Arbeitsvermittlung 2030» erarbeitet. Damit wurden erstmals strategische Leitplanken entwickelt, die für die gesamte öffentliche Arbeitsvermittlung der Schweiz verbindlich sind und damit eine essenzielle Grundlage bilden, um die Leistungen der RAV gezielt weiterzuentwickeln.
Arbeitsvermittlung der Zukunft
Die zwölf Ziele der Strategie sind in drei Wirkungsbereiche gegliedert. Sinngemäss lauten diese: «arbeitsmarktnah sein», «professionell beraten» und «konsequent digitalisieren». Die strategischen Ziele sind nicht nur innerhalb, sondern auch über die Wirkungsbereiche hinweg miteinander verbunden (siehe Abbildung). So zum Beispiel die Ziele Arbeitsmarktnähe und Digitalisierung: Um arbeitsmarktnah und wirksam vermitteln zu können, soll eine breit und intensiv genutzte Stellenplattform etabliert werden, die auch ein automatisiertes Stellenmatching anbietet.
Strategische Ziele und Wirkungsbereiche
Die Tätigkeiten der RAV werden sich mit der neuen Strategie nicht völlig verändern, aber sich noch stärker an den Bedürfnissen der Kunden ausrichten. Zum Beispiel soll es künftig in allen Kantonen möglich sein, Beratungsgespräche nicht nur vor Ort, sondern auch mittels Videokonferenz durchzuführen. Zudem soll – je nach Resultat der entsprechenden Pilotprojekte – der flächendeckende Einsatz von Jobcoaches umgesetzt werden. Diese verfügen über vielfältige Kontakte zu lokalen Arbeitgebenden und unterstützen die Stellensuchenden mit vergleichsweise tiefer Arbeitsmarktfähigkeit bei der nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt.
Allgemein sollen die persönliche Beratung der Stellensuchenden und der Einsatz von arbeitsmarktlichen Massnahmen stärker ins Zentrum gerückt, weiter professionalisiert und noch individueller am Bedarf ausgerichtet werden. Dazu werden zum Beispiel schweizweit einheitliche Basis- und Weiterbildungen für die Mitarbeitenden der RAV entwickelt sowie Orientierungshilfen zur stärkeren Individualisierung der Beratungsfrequenz und -intensität erarbeitet.
Die Umsetzung der Strategie soll insgesamt kostenneutral erfolgen. Mehrkosten für die Entwicklung und den Betrieb von digitalen Services werden durch Effizienzsteigerungen kompensiert. Deshalb sollen Prozesse harmonisiert und Dienstleistungen digitalisiert sowie teilweise automatisiert werden. Die dadurch freigesetzten Ressourcen fliessen konsequent in die persönlichen Kundenkontakte.
Bei der Umsetzung der Strategie arbeitet das Seco mit den Kantonen und den Sozialpartnern zusammen. Zusätzlich wird der Dialog mit den verschiedenen Stakeholdern wie den privaten Personaldienstleistern und den verschiedenen Partnern der interinstitutionellen Zusammenarbeit geführt. Die Massnahmen auf nationaler, interkantonaler oder kantonaler Ebene reichen vom niederschwelligen Erfahrungsaustausch bis zu grossen Organisationsentwicklungs- und IT-Projekten. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden: Der wichtigste Erfolgsfaktor für eine wirksame Arbeitsvermittlung bleibt auch in Zukunft der alltägliche Kontakt zwischen den Mitarbeitenden der RAV und ihren Kunden.
- Siehe Verband Schweizerischer Arbeitsämter (2004). 100 Jahre Verband Schweizerischer Arbeitsämter (VSAA), Bern. []
Zitiervorschlag: Röthlisberger, Simon; Rudin, Melania (2024). Die öffentliche Arbeitsvermittlung wird modernisiert. Die Volkswirtschaft, 10. Juli.