Suche

Abo

Pessimistische Unternehmen

Geopolitische Spannungen und die sinkende Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen lassen nicht auf rosigere Perspektiven hoffen. Die jüngste Umfrage zu den Produktionserwartungen zeigt, dass sich die Unternehmenserwartungen sogar verschlechtert haben.
Schriftgrösse
100%

Düstere Zukunftsaussichten: Die Produktionserwartungen deutscher Unternehmen haben sich erneut verschlechtert. (Bild: Keystone)

Die deutsche Wirtschaft befindet sich mittlerweile im sechsten Jahr ohne eine erkennbare ökonomische Weiterentwicklung. Die bereits im Jahr 2019 einsetzende Konjunkturschwäche, die Covid-19-Pandemie und die geopolitischen Verwerfungen lassen die wirtschaftlichen Aktivitäten auf dem Niveau der letzten Jahre verharren. Zwar hat sich die schlechte konjunkturelle Entwicklung Anfang 2024 nicht weiter fortgesetzt. Die makroökonomischen Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft und viele andere Volkswirtschaften haben sich gleichwohl nicht wesentlich verändert.[1]

Unveränderte Rahmenbedingungen

Die geopolitische Weltlage bleibt angespannt: Der russische Krieg in der Ukraine hält unvermindert an, und die Aussichten auf ein baldiges Ende haben sich eher verringert. Ebenso ist die Lage im Nahen Osten aufgrund der Auseinandersetzungen zwischen dem Iran und Israel kritisch. Damit bleiben die Energieversorgung, die Energiepreise und die globale Logistik ein konjunkturelles Risiko. Auch zu China haben sich in Europa respektive Nordamerika keine echten Annäherungen ergeben, und die geopolitische Blockbildung setzt sich weiter fort. So prägen und begrenzen auch weiterhin vielfältige geoökonomische Faktoren die unternehmerischen Aktionsräume.[2] Dazu kommen die Unwägbarkeiten des Wahlausgangs in den USA im November 2024.

Im Kontext des schwachen weltwirtschaftlichen Rahmens hat sich bislang nichts an der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen gebessert. Während sich einerseits die Energiekosten wieder deutlich beruhigt haben, sorgen steigende Arbeitskosten und die schwache Produktivität für verhältnismässig hohe und ansteigende Lohnstückkosten.[3] Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen am Standort Deutschland wird zudem von den hohen Steuern beeinträchtigt – was wiederum Investitionen und Innovationen und deren positive Effekte auf die Produktivität behindert.

Verunsicherung bezüglich Fiskalpolitik

Obwohl sich die Inflationsraten weiter normalisieren, haben die grossen Notenbanken ihre Geldpolitik noch nicht gelockert. Gründe dafür sind die Anzeichen und Gefahren von Zweitrundeneffekten – beispielsweise erkennbar an den hohen Lohnabschlüssen in Teilen der deutschen Dienstleistungswirtschaft. Damit bleiben auch die über einen längeren Zeitraum wirksamen konjunkturellen Bremseffekte der schnellen und starken Zinserhöhungen bestehen.

Nicht zuletzt besteht in Deutschland eine anhaltende Verunsicherung hinsichtlich der Fiskalpolitik und vor allem der staatlichen Investitionstätigkeit. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die geplante Haushaltsfinanzierung abgelehnt, und dies stellt in Teilen die weitere Finanzierung von staatlichen Investitionsprogrammen infrage. Die wenig angebotsorientierte Grundausrichtung der Wirtschaftspolitik, konkret etwa die hohen Steuern oder die hohen Kosten der Regulierungen, stellt ein zentrales Investitionshemmnis für den Standort dar. Durch die nicht ausreichenden staatlichen Investitionen, auch infolge von begrenzten Finanzierungsspielräumen, entfallen die Komplementäreffekte zu den privatwirtschaftlichen Transformationsanstrengungen bezüglich Klimawandel und technischen Fortschritts.

Negative Unternehmenserwartungen

Vor dem Hintergrund dieses im Wesentlichen unveränderten konjunkturellen Rahmens ist es nicht überraschend, dass sich auch die Konjunkturaussichten der Unternehmen bislang nicht in eine positive Richtung verändert haben. Die Konjunkturumfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) vom Frühjahr 2024 zeigt keine Verbesserung der Wirtschaftserwartungen der Unternehmen in Deutschland.[4] Vielmehr haben sich die Geschäfts- und Produktionserwartungen für das Jahr 2024 seit der Herbstumfrage 2023 nochmals leicht verschlechtert. Von den knapp 2100 Unternehmen, die vom IW befragt wurden, gehen nur 23 Prozent von einer höheren Geschäftstätigkeit in 2024 im Vergleich zum Vorjahr aus. Dagegen erwarten 37 Prozent einen Rückgang. Damit liegt der Saldo aus positiven und negativen Geschäftserwartungen weiterhin deutlich im negativen Bereich.

Die Produktionserwartungen der vom IW befragten Unternehmen fielen zudem nur während der globalen Finanzmarktkrise von 2008/2009 wesentlich schlechter aus als derzeit (siehe Abbildung). Dabei muss einschränkend darauf hingewiesen werden, dass im Frühjahr 2020 infolge des Ausbruchs der Covid-19-Pandemie und der hohen Verunsicherungen keine standardmässige Auswertung der IW-Konjunkturumfrage erfolgte.

Die Produktionserwartungen in Deutschland haben sich in den letzten beiden Jahren verschlechtert

INTERAKTIVE GRAFIK
Anmerkung: Gewichtete Ergebnisse der IW-Konjunkturumfrage. Frühjahrsumfrage (F): Erwartungen für das laufende Jahr; Herbstumfrage (H): Erwartungen für das kommende Jahr. Für Frühjahr 2020 liegen keine vergleichbaren Ergebnisse vor.
Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft / Die Volkswirtschaft

Deutsche Wirtschaftspolitik ist gefordert

Die Unternehmensbefragung des IW signalisiert, dass sich die konjunkturelle Gangart in Deutschland im Jahr 2024 nicht nennenswert beschleunigen dürfte. Es kann eher davon ausgegangen werden, dass die Wirtschaftsleistung nicht über das Niveau des Jahres 2019 hinauskommt. Diese verhaltenen Konjunkturperspektiven reflektieren zum einen die oben aufgeführten und im Wesentlichen bislang nicht verbesserten Rahmenbedingungen. Zum anderen weisen die konjunkturellen Bedingungen für die nahe Zukunft keine fundamentale Entspannung auf.

Es ist durchaus plausibel, dass sich vieles zum Besseren wendet und damit auch eine schnellere und vor allem kräftigere Erholung auf globaler Ebene sowie in Deutschland eingeläutet wird. Jedoch hängt dies im Wesentlichen von den politischen Entwicklungen in vielen Ländern ab. Aber auch die deutsche Wirtschaftspolitik ist gefordert, um die Stagnationskrise zu überwinden. Dazu bedarf es eines kraftvollen angebotspolitischen Anschubs, mit dem die allgemeinen Standortbedingungen über wettbewerbsfähige Steuern und Energiekosten sowie geringere Regulierungen ernsthaft verbessert, aber auch die speziellen Investitionsbedingungen für die vielfältigen Transformationsaufgaben gestaltet werden.

  1. Siehe Bardt et al. (2024). []
  2. Siehe Grömling (2024a). []
  3. Lohnstückkosten sind die Lohnkosten pro gearbeiteter Stunde pro Arbeitnehmer im Verhältnis zur Arbeitsproduktivität. Hohe Lohnstückkosten deuten auf einen Nachteil bei der preislichen Wettbewerbsfähigkeit hin. []
  4. Siehe Grömling (2024b). []

Literaturverzeichnis
  • Bardt, H. et al (2024). Stagnation im sechsten Jahr – IW-Konjunkturprognose Frühjahr 2024, IW-Report, Nr. 24, Köln
  • Grömling, M. (2024a). Herausforderungen der Industrie am Standort Deutschland. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.). Politik und Zeitgeschichte, 74. Jg., Heft 4-5/2024, S. 25–34
  • Grömling, M. (2024b). Unternehmen sehen keine Erholung in 2024 – IW-Konjunkturumfrage Frühjahr 2024. IW-Report, Nr. 20, Köln

Bibliographie
  • Bardt, H. et al (2024). Stagnation im sechsten Jahr – IW-Konjunkturprognose Frühjahr 2024, IW-Report, Nr. 24, Köln
  • Grömling, M. (2024a). Herausforderungen der Industrie am Standort Deutschland. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.). Politik und Zeitgeschichte, 74. Jg., Heft 4-5/2024, S. 25–34
  • Grömling, M. (2024b). Unternehmen sehen keine Erholung in 2024 – IW-Konjunkturumfrage Frühjahr 2024. IW-Report, Nr. 20, Köln

Zitiervorschlag: Grömling, Michael (2024). Pessimistische Unternehmen. Die Volkswirtschaft, 16. Juli.