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«Guter Journalismus basiert auf solidem Handwerk»

Die «Süddeutsche Zeitung» finanziere sich bereits seit drei Jahren allein durch ihre Leserschaft, sagt Chefredaktorin Judith Wittwer. Die Nachfrage nach unabhängigem Journalismus nehme zu. Gedruckte Zeitungen werde es noch lange geben.
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SZ-Chefredaktorin Judith Wittwer im Innovationshub Kraftwerk in Zürich: «Nimmt man Digital und Print zusammen, hatte die SZ noch nie so viele Abonnentinnen und Abonnenten wie jetzt.» (Bild: Keystone / Gaëtan Bally)
Frau Wittwer, die «Süddeutsche Zeitung», kurz die SZ, hat ihren Sitz in München. Warum sind Sie heute in Zürich?

Ich bin privat und beruflich immer wieder in der Schweiz. Hier habe ich meine Wurzeln und treffe Familie und Freunde. Hier ist auch unser Kooperationspartner, der Zürcher «Tages-Anzeiger», zu Hause.

Seit 2017 besteht diese Kooperation zwischen der SZ und dem «Tages-Anzeiger». Wie eng sind die Bande?

Die Bande sind nach wie vor sehr stark, in manchen Bereichen sind sie zuletzt sogar noch stärker geworden. So haben wir in diesem Sommer und passend zu den Olympischen Spielen gemeinsam einen mehrteiligen Podcast über Flo-Jo, die schnellste Frau der Welt, veröffentlicht, der sehr viele Hörerinnen und Hörer begeistern konnte. Unsere Korrespondentinnen und Korrespondenten schreiben auch für den «Tagi», und die «Tagi»-Korrespondenten schreiben für die SZ. Wir tauschen uns über Themen aus und reden über die Publizistik. Wir reden aber auch über die digitale Transformation. Da ist über die Jahre eine vielfältige und vertrauensvolle Zusammenarbeit entstanden.

Es ist also keine Einbahnstrasse von München nach Zürich?

Nein, aber klar, die Grössenverhältnisse sind eindeutig: Die SZ ist die grosse Schwester.

Die Art und Weise, wie Menschen Nachrichten konsumieren, hat sich verändert. Mit den sozialen Medien wie X, Tiktok und Instagram existieren heutzutage parallele Informationswelten. Wer konsumiert heute noch professionelle Medien?

Sehr viele Menschen, bei der SZ werden es sogar immer mehr. Nimmt man Digital und Print zusammen, hatte die SZ noch nie so viele Abonnentinnen und Abonnenten wie jetzt. Das Interesse an den klassischen Medien lässt also nicht nach, im Gegenteil. Die Nachfrage nach sorgfältig recherchiertem und unabhängigem Journalismus nimmt zu und damit auch die Bereitschaft, dafür Geld auszugeben und ein digitales Abo abzuschliessen.

Es wird immer anspruchsvoller, junge Leserinnen und Leser für klassische Medien zu begeistern.

Die «SZ online» hat eine Paywall. Wie bringen Sie die Lesenden dazu, für Journalismus zu zahlen?

Mit unserem SZ-Journalismus: den exklusiven Recherchen und den grossen Reportagen, den einordnenden Hintergründen und den klaren Kommentaren. Wer die SZ liest, liest gerne und möchte mehr wissen als andere. Und er möchte durchaus auch unterhalten werden.

Aboeinnahmen sind das eine, die Werbeeinnahmen das andere. Globale Intermediäre wie Google oder Facebook kassieren einen grossen Teil des Werbekuchens. Vor allem die Presse sieht sich mit anhaltend sinkenden Einnahmen konfrontiert. Wie finanziert sich die SZ?

Der SZ gelingt es seit drei Jahren, sich aus den Erlösen aus dem Lesermarkt, also vor allem über unsere Print- und Digital-Abos, zu finanzieren. Das ist journalistisch und ökonomisch grossartig, vor allem auch, weil wir Medien uns bis vor wenigen Jahren überhaupt nicht sicher sein konnten, ob sich unabhängiger Journalismus so refinanzieren lässt. Bis 2030 streben wir gleichzeitig an, uns komplett aus den Digitalerlösen, die aus Abos und Onlinewerbung stammen, zu finanzieren.

Ist die Printausgabe somit ein Auslaufmodell?

Überhaupt nicht. Gedruckte Zeitungen wird es noch lange geben. Sie gehören für viele Menschen zum Leben. Das freut uns. Wenn wir uns perspektivisch vollständig aus digitalen Erlösen finanzieren können, macht uns das nochmals unabhängiger.

Ist es auch für Schweizer Medien realistisch, dass sie sich unabhängig vom Werbemarkt und von den Printabos finanzieren können? Oder fehlt ihnen hierfür die Grösse?

Diese Frage müssen Sie den Schweizer Medienhäusern stellen.

Ist die junge Leserschaft bereit, für Journalismus zu zahlen?

Wer für ein Netflix- oder ein Spotify-Abo Geld ausgeben kann, kann auch Geld für unabhängigen Journalismus ausgeben. Tatsächlich wird es aber immer anspruchsvoller, junge Leserinnen und Leser für klassische Medien zu begeistern. Das zeigt auch der Digital News Report des renommierten Reuters Institute in Oxford. Und natürlich hilft es auch nicht, wenn in immer weniger Familien morgens eine Zeitung auf dem Frühstückstisch liegt.

SZ-Chefredaktorin Judith Wittwer: «Bis 2030 streben wir an, uns komplett aus den Digitalerlösen, die aus Abos und Onlinewerbung stammen, zu finanzieren.» (Bild: Keystone / Gaëtan Bally)
Bei Ihnen liegt bestimmt eine Zeitung auf dem Esstisch, oder?

Selbstverständlich.

Erreicht die SZ die Jungen über die sozialen Medien?

Ja, unser Journalismus wird über alle Kanäle geplant und ausgespielt, das gilt auch für Social Media. Instagram hat für uns dabei in den letzten Jahren immens an Bedeutung gewonnen. Einige Leserinnen und Leser werden über Insta zu SZ-Abonnenten. Andere Leser erreichen wir über Facebook und Linkedin. Und bald werden wir auch auf Tiktok präsent sein, der bei einem jüngeren Publikum besonders beliebten Videosharing-App.

Stichwort Fake News: Wie verbreitet sind diese aus Ihrer Sicht?

Mit dem Aufstieg der sozialen Netzwerke haben die klassischen Medien ihre Gatekeeper-Funktion verloren. Heute kann jeder Präsidentschaftskandidat über die ihm wohlgesinnten Plattformen unwidersprochen weirdes Zeugs verbreiten. Natürlich spielen bei der Verbreitung von Fake News aber auch Social Bots oder Troll-Armeen eine grosse Rolle. So tauchten im Internet zum Beispiel schon Sites auf, die täuschend echt den «Spiegel» oder die SZ kopierten, nur waren sie mit prorussischen Inhalten gespickt. Der bayerische Verfassungsschutz lieferte kürzlich Beweise dafür, dass diese Fake-Websites von Russland aus betrieben wurden.

Sie beanspruchen das Etikett Qualitätsjournalismus für sich. Wie definieren Sie diesen?

Guter Journalismus basiert auf solidem Handwerk – von der unabhängigen Recherche mit der kritischen Distanz gegenüber allen Seiten bis hin zur sorgfältigen Textproduktion. Bei der SZ pflegen wir zudem eine besondere Lust an der Sprache. Ein Beispiel dafür ist unsere Glosse: «Das Streiflicht».

Die professionellen Medien gelten als vierte Gewalt im Staat und damit als Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Ist diese in Gefahr?

Wenn Fake-Websites deutscher Medien mit dem Ziel auftauchen, die offene Gesellschaft zu verunsichern und die liberale Demokratie zu destabilisieren, ist das eine beunruhigende Entwicklung. Umso wichtiger ist, dass wir unabhängigen Medien unsere Arbeit machen. Um es mit dem «Spiegel»-Gründer Rudolf Augstein zu sagen: schreiben, was ist.

Oft wird im Kleinen konkret, was im Grossen schiefläuft.

Ist der Lokaljournalismus zentral für eine funktionierende Demokratie?

Ja. Oft wird im Kleinen konkret, was im Grossen schiefläuft.

Die SZ ist an vorderster Front, wenn es um investigativen Journalismus geht, zum Beispiel bei den Panama Papers. Zahlt sich der enorme Aufwand kommerziell aus, oder geht es um Reputation wie den Pulitzer-Preis?

Was ans Licht muss, muss recherchiert und geschrieben werden. Wenn wir damit auch neue Leser und Preise gewinnen, freut uns das natürlich.

Was waren die zwei Haupterkenntnisse aus den Recherchen zu den Panama Papers?

Zur Transparenz: Die Recherche zu den Panama Papers wurde 2016, also vor meinem Start, bei der SZ veröffentlicht. Sie gab nicht nur Einblick in die Welt der Steuervermeidung. Sie zeigte auch, wie wichtig das systematische Auswerten von Daten im Journalismus ist und wie gut Journalisten in Netzwerken länderübergreifend zusammenarbeiten können.

Nutzt die SZ künstliche Intelligenz, also KI?

Künstliche Intelligenz ist auch für uns ein grosses Thema. Für die Europawahl haben wir zum Beispiel eine KI mit Hunderten Artikeln gefüttert. Der KI-Bot lieferte Antworten auf Leserfragen und bot damit besonders auch für jüngere Nutzer einen interaktiven Zugang zur Europawahl. Inzwischen entstehen im ganzen Haus KI-Ideen und konkrete Projekte.

Welche Stelle müsste man Ihnen anbieten, damit Sie wieder zurück in die Schweiz kämen?

Die SZ ist ein grossartiges Haus mit grossartigen Kolleginnen und Kollegen. Ich fühle mich sehr wohl in München.

Zitiervorschlag: Interview mit Judith Wittwer, Chefredaktorin der Süddeutschen Zeitung (2024). «Guter Journalismus basiert auf solidem Handwerk». Die Volkswirtschaft, 29. August.

Judith Wittwer

Judith Wittwer (47) leitet seit vier Jahren gemeinsam mit Wolfgang Krach die Redaktion der «Süddeutschen Zeitung» in München. Zuvor war sie Chefredaktorin des «Tages-Anzeigers». Wittwer studierte an der Universität St. Gallen (HSG) Internationale Beziehungen und absolvierte danach berufsbegleitend die Diplomausbildung an der Journalistenschule MAZ in Luzern. Für den «Tages-Anzeiger» war sie als Wirtschaftsredaktorin und Korrespondentin in Deutschland und nach einem Abstecher zur «Handelszeitung» später als Nachrichtenchefin tätig. Die Mutter von zwei Töchtern lebt mit ihrer Familie in München.

«Süddeutsche Zeitung»

Die «Süddeutsche Zeitung» ist die grösste überregionale Qualitäts-Tageszeitung Deutschlands und das Flaggschiff des Süddeutschen Verlags. Die Zeitung erreicht täglich 1,2 Millionen Leserinnen und Leser, etwa 400’000 Menschen haben die SZ gedruckt oder digital abonniert.

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