Léman Express: Begleitmassnahmen in Verzug
Neue Radwege sind ein Teil der Begleitmassnahmen zum Léman Express, um den Langsamverkehr in der Grossregion Genf zu fördern. (Bild: Keystone)
Im Dezember 2019 wurde eines der grössten grenzüberschreitenden Regionalzug-Netzwerke Europas eröffnet: der Léman Express (LEX) im Grossraum Genf.[1] Es umfasst 6 Linien, die Genf mit Frankreich und dem Kanton Waadt verbinden, sowie 20 Bahnhöfe in den französischen Departementen Ain und Haute-Savoie (19 im Kanton Genf und 3 im Kanton Waadt).[2]
Viel Geld floss in den LEX: 1,6 Milliarden Franken für die 14 Kilometer auf Schweizer Boden, dazu über 200 Millionen Euro für die 2 Kilometer in Frankreich. Er steht für grenzüberschreitende Zusammenarbeit und den Willen, gemeinsam eine Lösung für die Herausforderungen der Mobilität im Grossraum Genf zu finden. Dank des LEX hat sich das öffentliche Nahverkehrsangebot deutlich verbessert: 2017 betrug der grenzüberschreitende Pendlerverkehr in den Kanton Genf rund 632’000 Fahrten pro Tag, davon 86 Prozent mit dem Auto.[3] Mittlerweile, nach vier Jahren, benutzen täglich 80’000 Personen den LEX – das übersteigt die Erwartungen deutlich.
Damit der LEX noch häufiger genutzt wird, verabschiedete die Versammlung des Groupement Local de Coopération Transfrontalière (GLCT) im November 2019 eine grenzüberschreitende Roadmap mit verschiedenen Begleitmassnahmen. Zum Beispiel Buslinien zu den Bahnhöfen des LEX schaffen, Zubringerstrecken in Form von Velowegen und Grünrouten einrichten, Parkplätze für Fahrräder und motorisierte Zweiräder an den Bahnhöfen und von Park-and-Ride(P+R)-Parkplätzen erstellen. Zusätzlich waren Shared-Mobility-Angebote[4] vorgesehen sowie Mobilitätskonzepte der Arbeitgebenden, gemäss denen Mitarbeitende von Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen ihre Autokilometer reduzieren sollten. Alles in allem umfassen diese Begleitmassnahmen ein Budget von über einer Milliarde Franken. Einige davon werden durch die Agglomerationsprogramme[5] des Bundes unterstützt.
Erstes grenzüberschreitendes Audit
2022 führten die Obersten Rechnungskontrollbehörden (ORKB)[6], die auf dem LEX-Gebiet tätig sind, ein gemeinsames Audit durch. Damit wollten sie zwei Ziele erreichen. Erstens sicherstellen, dass die Begleitmassnahmen zum LEX tatsächlich innerhalb der vorgesehenen Fristen umgesetzt werden. Zweitens den motorisierten Individualverkehr auf den öffentlichen Verkehr umlagern und den Langsamverkehr, sprich die Verkehrswende fördern.
Im Rahmen des Audits wurden 145 Begleitmassnahmen zum LEX analysiert, davon 98 Massnahmen im Kanton Genf, 2 im Kanton Waadt und 45 in Frankreich. Ebenso Bestandteil der Analyse war die Umsetzung der Shared-Mobility-Angebote und der Mobilitätskonzepte der Arbeitgebenden. Um die Bedürfnisse der Nutzenden und Nichtnutzenden des LEX besser zu verstehen, haben sich die ORKB an einer Umfrage zur Mobilität beteiligt, die im Herbst 2022 von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) bei über 10’000 Anwohnenden der grenzüberschreitenden Genferseeregion durchgeführt wurde.[7]
Das Audit zeigt, dass bereits zahlreiche Massnahmen umgesetzt wurden und die steigende Anzahl Nutzende vielversprechend ist. So wurden beispielsweise im Kanton Genf 571 Veloverleihstationen eingerichtet, 218 Fahrzeuge für das Carsharing zur Verfügung gestellt und bei einem Autobahn-Grenzübergang eine separate Spur für Fahrgemeinschaften geschaffen. Die Mobilitätskonzepte der Arbeitgebenden, ein bedeutender Hebel, um den öffentlichen Verkehr zu fördern, wurden im Kanton Genf hingegen vernachlässigt.
Das Audit ergab auch, dass einzelne Begleitmassnahmen zum LEX nur schleppend umgesetzt werden. Im Oktober 2023 war über die Hälfte der analysierten Massnahmen entweder verspätet oder wieder abgeschafft worden (siehe Abbildung 1). Die durchschnittliche Verspätung beträgt 41 Monate auf Genfer Gebiet und 34 Monate auf französischem Territorium.
Abb. 1: Die Hälfte der Begleitmassnahmen zum Léman Express verzögert sich
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Quelle: Rechnungshof des Kantons Genf (2023b) / Die Volkswirtschaft
Die Erwartungen der (Nicht-)Nutzenden
Eine statistische Analyse[8] zeigt, welche Faktoren für die Verzögerung der Massnahmen verantwortlich sind. Planungsschwierigkeiten wie beispielsweise das Missachten von kantonalen Vorgaben bei der Einrichtung von P+R verzögerten um durchschnittlich 12 Monate. 38 Monate sind es bei Einsprachen der Gemeinden gegen die auf ihrem Gebiet geplanten Massnahmen, zum Beispiel erforderliche bauliche Massnahmen für eine neue Buslinienführung auf der Gemeindestrasse. Auffallend: Vom Bund mitfinanzierte Massnahmen haben im Schnitt 11 Monate weniger Verspätung.
Nutzende und Nichtnutzende des LEX fordern hauptsächlich verbesserte Zubringeroptionen für die LEX-Bahnhöfe: eine höhere Frequenz bestehender Buslinien, neue Velowege und -streifen sowie tiefere P+R-Gebühren (siehe Abbildung 2). Der Bau von Grünrouten und Velowegen, wie es von den Nutzenden und den Nichtnutzenden gewünscht wird, weist im Schnitt die grösste Verspätung auf.
Abb. 2: Diese Massnahmen würden die Nutzung des Léman Express erhöhen
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Anmerkung: Die Abbildung zeigt die Massnahmen, die für die LEX-Bahnhöfe genannt werden.
Quelle: EPFL und Rechnungshof des Kantons Genf (2023b) / Die Volkswirtschaft
Empfehlungen zur Beschleunigung der Verkehrswende
Aus dem Audit ergeben sich drei Empfehlungen, welche die Umsetzung der dringlichsten Massnahmen priorisieren und die Verkehrswende beschleunigen.[9] Erstens sollen die Planung und das Monitoring der Begleitmassnahmen zum LEX verbessert werden, um Verspätungen zu reduzieren und dadurch die Mitfinanzierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu garantieren. Dazu müssen die Kosten für die Massnahmen und die Zuständigkeiten der Bauherren, die mit der Umsetzung beauftragt sind, ermittelt werden. Zweitens sollen P+R-Parkplätze an der Peripherie des Grossraums Genf entwickelt und die P+R-Tarife vereinheitlicht werden, um die Verkehrswende zu fördern. Denn die bisher geltenden Tarife beim P+R setzen Anreize, mit dem eigenen Auto zu den LEX-Bahnhöfen zu fahren, wo das Parkieren weniger kostet oder sogar gratis ist. Und schliesslich soll auf dem Territorium des französischen Grenzgebiets rund um Genf eine einzige Behörde bestimmt werden, die die Mobilität mit den Genfer und Waadtländer Akteuren koordiniert.
Das grenzüberschreitende Audit der drei ORKB ist eine Premiere in Europa. Es zeigte, dass trotz der grossen institutionellen Unterschiede zwischen Genf, der Waadt und Frankreich überall vergleichbare Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Begleitmassnahmen zum LEX bestehen. Das Eisenbahnnetz des LEX und das Audit der drei ORKB haben Vorbildcharakter für die innovative grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Es liefert Erkenntnisse, die auf andere grenzüberschreitende Projekte in den Bereichen Raumplanung, Gesundheit, Steuerwesen, Beschäftigung, Umwelt usw. im Grossraum Genf oder in anderen Grenzregionen der Schweiz wie Basel, St. Gallen oder Tessin angewendet werden könnten.
- Zur grenzüberschreitenden Region des Grossraums Genf gehören die 117 Gemeinden des sogenannten Pôle Métropolitain im benachbarten Frankreich sowie die 45 Gemeinden des Kantons Genf und die 47 Gemeinden des Bezirks Nyon, also insgesamt über eine Million Menschen. []
- Siehe dazu den Plan des LEX auf der Website Lemanexpress.com. []
- Siehe RGR Ingénieurs conseils (2021). []
- Darunter versteht man den Fahrradverleih in Selbstbedienung und Mitfahrgemeinschaften. []
- Mit den Agglomerationsprogrammen kann man beim Bund für grössere Mobilitätsprojekte auf Schweizer Boden Mitfinanzierungsanträge stellen. []
- Dazu gehören der Rechnungshof des Kantons Genf, der regionale Rechnungshof Auvergne-Rhône-Alpes und der Rechnungshof des Kantons Waadt. []
- Siehe erste Ergebnisse des Lake Geneva Sustainability Monitoring Panel. []
- Die ORKB haben aufgrund der Daten, die bei den Bauherren der (nicht aufgegebenen) infrastrukturellen Massnahmen in allen drei Territorien erhoben wurden, eine ökonometrische Analyse durchgeführt. []
- Ausführliche Informationen sind im Audit-Bericht des Rechnungshofs des Kantons Genf, siehe Rechnungshof des Kantons Genf (2023a), sowie in der gemeinsamen Übersicht nachzulesen, die auf der Website zur Verfügung steht. []
Literaturverzeichnis
- Rechnungshof des Kantons Genf (2023a). Mesures d’accompagnement du Léman Express, Audit de performance – rapport 185, Genf.
- Rechnungshof des Kantons Genf (2023b). Mesures d’accompagnement du Léman Express dans l’agglomération du Grand Genève – Synthèse commune, Genf.
- RGR Ingénieurs conseils SA (2021). Monitoring multimodal transfrontalier – Rapport de synthèse – EO, Grand Genève.
Bibliographie
- Rechnungshof des Kantons Genf (2023a). Mesures d’accompagnement du Léman Express, Audit de performance – rapport 185, Genf.
- Rechnungshof des Kantons Genf (2023b). Mesures d’accompagnement du Léman Express dans l’agglomération du Grand Genève – Synthèse commune, Genf.
- RGR Ingénieurs conseils SA (2021). Monitoring multimodal transfrontalier – Rapport de synthèse – EO, Grand Genève.
Zitiervorschlag: Kaufmann, Vincent; Varone, Frédéric; Masood Dechevrens, Maria; Reix, Bruno; Gumy, Alexis (2024). Léman Express: Begleitmassnahmen in Verzug. Die Volkswirtschaft, 27. August.
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