Mit Suchmaschinendaten die Zukunft vorhersagen
Je häufiger etwas gegoogelt wird, desto grösser ist das Interesse daran – zum Beispiel am Jungfrau Marathon auf der Kleinen Scheidegg BE. (Bild: Keystone)
Trends vorherzusagen, beschäftigt die Wissenschaft schon lange. Insbesondere das Internet stellt dabei eine wichtige Datenquelle dar. Im Netz sammeln sich durch das Nutzerverhalten Echtzeitdaten an. Diese können mit anerkannten wissenschaftlichen Methoden analysiert und interpretiert werden. Daraus ergeben sich Schlussfolgerungen – nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für die Gegenwart und die Zukunft.[1]
Beispielsweise gehen Onlinekäufen häufig Internetrecherchen voraus, aus denen sich potenzielles zukünftiges Kaufverhalten ablesen lässt. Ähnlich wie bei Kaufentscheidungen informieren sich Menschen auch bei Gesundheitsproblemen zunächst im Internet über ihre Symptome und mögliche Medikamente. Suchen viele im Netz nach ähnlichen Gesundheitsinformationen, können daraus zum Beispiel Rückschlüsse gezogen werden, ob eine breite Bevölkerungsgruppe an einer bestimmten Krankheit, zum Beispiel an der Grippe, leidet. Ebenso kann anhand der Häufigkeit von Suchbegriffen das Interesse an Aktien, Sportereignissen, Urlaubszielen etc. gemessen werden.
Generell lässt sich also aus diesen Daten ablesen, wofür sich die Bevölkerung gerade interessiert, worüber sie sich Sorgen macht oder was sie vorhat. Das weckt nicht nur das Interesse der Wissenschaft, sondern auch verschiedenster Unternehmen und Institutionen wie Medien, Konjunkturinstitute, Banken, Marketingunternehmen, Sicherheitsbehörden.
Google Trends als Datenquelle
Google stellt seit Januar 2004 Zeitreihen über die getätigten Suchanfragen in anonymisierter Form und in Echtzeit allen Interessierten kostenlos zur Verfügung.[2] Diese können nach Region und Zeitperiode abgefragt werden. Je nach Länge der ausgewählten Zeitspanne werden die Daten normiert und auf Tages-, Wochen- oder Monatsbasis zur Verfügung gestellt. Die normierten Daten werden schliesslich als Indexzahlen so ausgewiesen, dass die Werte zwischen 0 und 100 liegen.[3]
Zur Veranschaulichung wurde bei Google Trends der Suchbegriff «Geschenk» in drei Sprachen eingegeben (siehe Abbildung). Jeweils im Dezember steigt die Anzahl Suchanfragen wegen der anstehenden Weihnachtsfeiertage sprunghaft an. Aber auch im Februar vor dem Valentinstag und im Mai vor dem Muttertag wird erwartungsgemäss öfter nach diesem Wort gesucht.
Vor Weihnachten wird «Geschenk» in der Schweiz besonders oft gegoogelt
INTERAKTIVE GRAFIK
Quelle: Google Trends / Die Volkswirtschaft
Google Trends wird rege genutzt
Die Echtzeitdaten von Google Trends stehen im Vergleich zu traditionellen Erhebungen ohne Kosten und jederzeit zur Verfügung. Die Anwendungsbereiche reichen daher von Medizin über Politik bis hin zu Finanzen, Tourismus und Marketing.
Für das Marketing ist die Häufigkeit eines verwendeten Suchbegriffs zum Beispiel ein Indikator für dessen Beliebtheit. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse helfen, Webseiten inhaltlich so zu gestalten, dass sie in den Suchergebnissen möglichst weit oben erscheinen. Auf diese Weise können Unternehmen ihre Sichtbarkeit im Internet erhöhen und sich gegenüber Mitbewerbern besser positionieren.[4]
Im Finanzbereich stellen Forscher fest, dass ein Anstieg des Interesses an Aktien in der Google-Suchmaschine mit Kurssteigerungen in den folgenden zwei Wochen einhergeht.[5] Andere zeigen anhand einer Analyse der Veränderungen des Google-Suchvolumens für finanzbezogene Suchbegriffe, dass bestimmte Muster als Frühwarnzeichen für Veränderungen auf dem Aktienmarkt interpretiert werden können.[6] Im Tourismus zeigt sich, dass mit Google-Suchdaten zu Museen und Galerien relativ schnell Schätzungen über die Besucherzahlen erstellt werden können.[7]
Auch in der medizinischen Forschung werden Suchanfragedaten genutzt.[8] Dabei wird unter anderem geschlussfolgert, dass die Analyse von Echtzeitdaten Hinweise auf aktuelle beziehungsweise bevorstehende saisonale Krankheiten sowie Epidemien geben kann. Mehrere Forschungsarbeiten in diesem Bereich haben sich jüngst mit der Überwachung der Corona-Pandemie auf der Grundlage von Google Trends befasst.[9]
Schätzung des Bruttoinlandprodukts
Es ist auch möglich, Daten über die Entwicklung einer Volkswirtschaft in Echtzeit zu gewinnen.[10] Dies wurde insbesondere während des Lockdowns im Frühjahr 2020 und darauffolgend in Bezug auf die Wirkung der ergriffenen Massnahmen in der Corona-Pandemie relevant. Die Lieferung regulärer Daten für die Schätzung des Bruttoinlandprodukts (BIP) erfolgt nämlich mit Verzögerung. Vor deren Publikation sind für bestimmte Wirtschaftsbereiche nur wenige Informationen über die aktuelle Situation verfügbar.
Befindet sich die Wirtschaft in einer besonderen Situation wie während der Pandemie, ist es umso wichtiger, zeitnahe Informationen über die Wirtschaftslage zu erhalten, um das Ausmass der möglichen wirtschaftlichen Folgen der Krise abschätzen zu können und entsprechende Massnahmen zu ergreifen. In der Literatur finden sich mittlerweile verschiedene Arbeiten, die sich mit der Schätzung des BIP in Echtzeit beschäftigen und Google Trends als Datenbasis verwenden.[11]
Kein Allheilmittel, aber wertvoll
Seit Google die Daten zu Suchabfragen veröffentlicht, haben Wissenschaftlerinnen und Praktiker aus den unterschiedlichsten Bereichen Ideen entwickelt, wie sie genutzt werden können. Wer jedoch Datenanalysen auf Basis von Google Trends durchführt, muss sich zwangsläufig mit der Frage auseinandersetzen, was bei der Nutzung zu beachten ist und inwieweit sie dem Analysezweck dient. Dabei kann auf bereits in der Literatur vorhandene Forschungsergebnisse zurückgegriffen werden.[12]
So wurde zum Beispiel festgestellt, dass für die gleiche Datenabfrage (d. h. gleicher Suchbegriff, gleiches Gebiet und gleicher Zeitraum) zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Zeitreihen entstehen können. Ausserdem sind nicht alle, die «Corona» googeln, auch mit dem Coronavirus infiziert. Trotz der Schwächen und Kritikpunkte in der Anwendung besteht in Literatur und Praxis Konsens darüber, dass Google Trends für eine Vielzahl von Fragestellungen ein nützliches und ergänzendes Instrument darstellt.
- Siehe zum Beispiel D’Amuri und Marcucci (2017), Yu et al. (2019), Penna und Huang (2009), Ferrrara und Simoni (2019), Narita und Yin (2018), Vosen und Schmidt (2011) und Vosen und Schmidt (2012). []
- Siehe Google Trends. []
- Für die Erläuterungen in diesem Abschnitt siehe insbesondere D’Amuri und Marcucci (2017) und Nagao, Takeda und Tanaka (2019). []
- Sogenanntes Search Engine Optimization (SEO). Siehe dazu auch Almukhtar, Mahmoodd und Kareem (2021). []
- Siehe Da, Engelberg und Gao (2011). []
- Siehe Preis, Moat und Stanley (2013). []
- Siehe Botta, Preis und Moat (2020). []
- Für einen Überblick über verschiedene Studien in der Medizin siehe Mavragani, Ochoa und Tsagarakis (2018). []
- Siehe Mavragani und Gkillas (2020). []
- Siehe zum Beispiel Vosen und Schmidt (2011) oder Ferrrara und Simoni (2019). []
- Siehe Bantis, Clements und Urquhart (2023), Woloszko (2020), Kohns und Bhattacharjee (2023). []
- Für Ausführungen dazu siehe zum Beispiel Cebrián und Domenech (2023), Eichenauer et al. (2022), Arora, McKee und Stucker (2019) oder Lobe (2022). []
Literaturverzeichnis
- Almukhtar, F., Mahmoodd, N. und S. Kareem (2021). Search Engine Optimization: A Review. Applied Computer Science, 17(1), pp. 70–80.
- Arora, V. S., McKee, M. und D. Stucker (2019). Google Trends: Opportunities and Limitations in Health and Health Policy Research. Health Policy, 123(3), pp. 338–341.
- Bantis, E., Clements, M. P. und A. Urquhart (2023). Forecasting GDP Growth Rates in the United States and Brazil Using Google Trends. International Journal of Forecasting, 39, pp. 1909–1924.
- Botta, F., Preis, T. und H. S. Moat (2020). In Search of Art: Rapid Estimates of Gallery and Museum Visits Using Google Trends. EPJ Data Sci., 9(14).
- Cebrián, E. und J. Domenech (2023). Is Google Trends a Quality Data Source?. Applied Economics Letters, 30(6), pp. 811–815.
- D’Amuri, F. und J. Marcucci (2017). The Predictive Power of Google Searches in Forecasting US Unemployment. International Journal of Forecasting, 33, pp. 801–816.
- Da, Z., Engelberg, J. und P. Gao (2011). In Search of Attention. The Journal of Finance, October, 66(5), pp. 1461–1499.
- Eichenauer, V.Z. et al. (2022). Obtaining Consistent Time Series from Google Trends. Economic Inquiry, 60(2), 694–705.
- Ferrara, L. und A. Simoni (2019). When Are Google Data Useful to Nowcast GDP? An Approach via Pre-selection and Shrinkage, Banque de France Working Paper No. 717.
- Kohns, D. und A. Bhattacharjee (2023). Nowcasting Growth Using Google Trends Data: A Bayesian Structural Time Series Model. International Journal of Forecasting, 39(3), pp. 1384–1412.
- Lobe, A. (2022). Google Trends: Ein vielversprechendes Instrument für die Wissenschaft? Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 8. März.
- Mavragani, A. und K. Gkillas (2020). COVID‑19 Predictability in the United States Using Google Trends Time Series. Nature – Scientific Reports 10, 20693.
- Mavragani, A., Ochoa, G. und K. P. Tsagarakis (2018). Assessing the Methods, Tools, and Statistical Approaches in Google Trends Research: Systematic Review. Journal Of Medical Internet Research, 20(11).
- Nagao, S., Takeda, F. und R. Tanaka (2019). Nowcasting of the U.S. Unemployment Rate Using Google Trends. Finance Research Letters 30, pp. 103–109.
- Narita, F. und R. Yin (2018). In Search of Information: Use of Google Trends’ Data to Narrow Information Gaps for Low-income Developing Countries, IMF Working Paper 286.
- Penna, N. D. und H. Huang (2009). Constructing Consumer Sentiment Index for U.S. Using Google Searches. Departement of Economics University of Alberta, Working Paper No. 2009-26.
- Preis, T., Moat, H. und H. Stanley (2013). Quantifying Trading Behavior in Financial Markets Using Google Trends. Sci Rep 3, 1684.
- Vosen, S. und T. Schmidt (2011). Forecasting Private Consumption: Survey‐based Indicators vs. Google Trends. Journal of Forecasting, 30(6), pp. 565–578.
- Vosen, S. und T. Schmidt (2012). A Monthly Consumption Indicator for Germany Based on Internet Search Query Data. Applied Economic Letters, 19(7), pp. 683–687.
- Woloszko, N. (2020). Tracking Activity in Real Time with Google Trends. OECD Economics Department Working Papers No. 1634.
- Yu, L. et al. (2019). Online Big Data-driven Oil Consumption Forecasting with Google Trends. International Journal of Forecasting, Band 35, pp. 213–223.
Bibliographie
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Zitiervorschlag: Karagök, Yavuz (2024). Mit Suchmaschinendaten die Zukunft vorhersagen. Die Volkswirtschaft, 15. August.
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