Isolda Agazzi, Verantwortliche Handelspolitik bei Alliance Sud, selbstständige Journalistin sowie Autorin der Website lignesdhorizon.net
Das Freihandelsabkommen mit Indien ist in einigen Bereichen fortschrittlich, in anderen veraltet. Wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) selbst sagt, wurde es seit 2014 grösstenteils nicht mehr aktualisiert. Eine Ausnahme ist die Verpflichtung der Efta-Staaten, innerhalb von 15 Jahren 100 Milliarden Dollar in Indien zu investieren und eine Million Arbeitsplätze zu schaffen.
Ohne diese Zusage hätte Delhi das Abkommen nicht unterzeichnet. Denn der Punkt ist Teil des «Make in India»-Programms, das ausländisches Kapital ins Land holen, neue Arbeitsplätze schaffen und den Technologietransfer fördern soll. Grundsätzlich sind solche Initiativen erfreulich, da sie zur nachhaltigen Entwicklung beitragen können. Dazu müssten sie aber an Kriterien geknüpft sein, was hier nicht der Fall ist. Die Investitionen unterliegen weder sozialen noch ökologischen Auflagen. Es besteht also die Gefahr, dass auch Unternehmen unterstützt werden, die beispielsweise Kohle abbauen.
Die entscheidende Frage lautet deshalb: Wie werden die Efta-Staaten und die Schweiz die Investitionsförderung umsetzen? Anreize werden sicher vom Investitionsschutzabkommen ausgehen, das derzeit vom Freihandelsabkommen losgelöst neu verhandelt wird. Indien hatte das alte 2017 gekündigt, weil es die darin enthaltenen Bestimmungen für unausgewogen hielt. Alliance Sud und die meisten NGOs plädieren für den Ausschluss des Investor-State Dispute Settlement (ISDS), das es ausländischen Unternehmen ermöglicht, gegen den Gaststaat zu klagen, wenn dieser etwa Umwelt- oder Gesundheitsschutzmassnahmen ergreift. Umgekehrt gilt diese Regelung jedoch nicht.
Leider hat die Efta die Chance verpasst, sich stärker für eine nachhaltige Entwicklung einzusetzen.
Positiv ist, dass Indien erstmals mit einem eigenen Kapitel Verpflichtungen zur nachhaltigen Entwicklung eingegangen ist. Den neuen Efta-Standards genügen sie allerdings nicht. So fehlt etwa der Artikel zum Expertengremium, an das sich beide Parteien bei Rechtsverletzungen oder gescheiterten bilateralen Verhandlungen wenden können.
Zudem gilt der Streitbeilegungsmechanismus zwar für andere Kapitel, nicht aber für das Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung. Ebenso wenig ist die Finanzierung von technischen Kooperationsprojekten vorgesehen, um das Kapitel umzusetzen – etwa zur Bekämpfung von Kinderarbeit, zum Brandschutz oder für bessere Arbeitsbedingungen in Exportbranchen wie der Textilindustrie. Damit die Nachhaltigkeitsbestimmungen nicht wirkungslos bleiben, enthalten die Abkommen der USA häufig eine solche Unterstützung. Auch die EU verfolgt einen weitaus ambitionierteren Ansatz: Sie fordert ein Expertengremium sowie Sanktionsmöglichkeiten, doch Indien wehrt sich vehement dagegen.
Fest steht: Die Efta hat ihre Ambitionen deutlich gesenkt, um das Abkommen möglichst schnell abzuschliessen. Leider hat sie so die Chance verpasst, sich stärker für eine nachhaltige Entwicklung einzusetzen.[1]
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Zitiervorschlag: Agazzi, Isolda (2024). Alter Wein in neuen Schläuchen. Die Volkswirtschaft, 10. September.