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Erwerbstätige möchten weniger und flexibler arbeiten

Die Schweizer Erwerbsbevölkerung wünscht sich mehr Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung. Ein Drittel möchte das Arbeitspensum reduzieren. Das zeigt eine Studie von Swissstaffing und GFS-Zürich.
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Der Wunsch nach flexibler Arbeitszeit ist gross, auch im Baugewerbe. Doch dort lässt sich die Arbeit naturgemäss nicht frei einteilen. (Bild: Keystone)

In der Schweiz herrscht ein Arbeitskräftemangel, der sich aufgrund der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahren weiter zuspitzen wird.[1] Die Tatsache, dass Arbeitskräfte knapper werden, verleiht den Arbeitnehmenden mehr Einfluss im Arbeitsmarkt: Ihre Bedürfnisse rücken in den Fokus. Welche Bedürfnisse haben sie in Bezug auf flexible Arbeit, und welche davon sind bereits heute erfüllt? In einer repräsentativen Studie haben der Schweizer Verband der Personaldienstleister Swissstaffing und das Markt- und Sozialforschungsinstitut GFS-Zürich 1230 Personen im erwerbsfähigen Alter befragt (siehe Kasten).

Kluft zwischen Wunsch und Realität

Ein zentrales Bedürfnis von Erwerbstätigen ist die flexible Arbeitszeitgestaltung: Fast 80 Prozent wünschen sich Gleitzeit und eine flexible Aufteilung der Arbeitszeit über den Tag oder über die Woche. Für zwei Drittel ist Teilzeitarbeit wichtig. Rund die Hälfte hat das Bedürfnis nach Homeoffice respektive ortsunabhängigem Arbeiten. Der Soll-Ist-Vergleich zeigt: Wunsch und Realität liegen bei der freien Arbeitszeitgestaltung auseinander. Während mehr als drei Viertel der Erwerbstätigen flexible Arbeitszeiteinteilung für wichtig halten, hat nur gut die Hälfte die Möglichkeit dazu.

Besonders gross ist die Kluft in Branchen, in denen flexible Arbeitszeitgestaltung naturgemäss kaum möglich ist, wie im Bau, bei Transport/Logistik, im Gesundheits- und Sozialwesen, im Detailhandel und in der Gastronomie. Bei Teilzeitarbeit und Homeoffice gibt es indessen branchenübergreifend keine Lücke: Wer so arbeiten möchte, kann das in der Regel auch (siehe Abbildung 1). Einzige Ausnahme bildet der Detailhandel. Hier würden viele gerne im Homeoffice arbeiten, können es aber nicht.

Abb. 1: Fast 80 Prozent der Befragten möchten die Arbeitszeit frei einteilen, aber nur 54 Prozent können dies aktuell tun (2024)

INTERAKTIVE GRAFIK
Anmerkung: Basis bilden erwerbstätige Befragte (n=1074).
Quelle: Swissstaffing (2024) / Die Volkswirtschaft

Mehr Chance als Gefahr

Die überwiegende Mehrheit der Schweizer Erwerbsbevölkerung bewertet flexibles Arbeiten positiv (siehe Abbildung 2). 79 Prozent sehen darin die Chance, Beruf und Familie besser zu vereinen sowie Autonomie und Eigenverantwortung zu fördern. Zwei Drittel sehen flexible Arbeit als Möglichkeit, die Produktivität zu steigern. Nur eine Minderheit ist skeptisch. Ständige Erreichbarkeit, Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen Beruf- und Privatleben sowie Kommunikationsschwierigkeiten im Team sind ihre Bedenken. Erwerbstätige, die bereits zeitlich und örtlich flexibel arbeiten können, stehen flexibler Arbeit positiver gegenüber als solche, die keine flexiblen Arbeitsmöglichkeiten haben.

Zur Entschärfung des Arbeitskräftemangels streben Politik und Wirtschaft die volle Ausschöpfung des inländischen Erwerbspotenzials an. Unter anderem sollen Teilzeitarbeitende ihr Erwerbspensum aufstocken. Doch wie zielführend ist dieser Ansatz? Das durchschnittliche Arbeitspensum von Erwerbstätigen ist in der Schweiz mit 79 Prozent bereits hoch. Männer arbeiten im Mittel 86 Prozent, Frauen 72 Prozent. Die Umfrage zeigt: Eine Aufstockung des Beschäftigungsgrads verspricht nur bedingt Erfolg.

Insgesamt geben nur 13 Prozent der Befragten an, ihr Pensum erhöhen zu wollen. Dabei gibt es einen klaren Gender-Gap – auch aufgrund der Unterschiede im Beschäftigungsgrad. So wollen nur 8 Prozent der Männer ihr Pensum erhöhen, aber 17 Prozent der Frauen. Selbst wenn man ausschliesslich Teilzeitarbeitende betrachtet, ziehen nur 24 Prozent eine Erhöhung ihres Pensums in Betracht (Männer 20%, Frauen 26%). Demgegenüber sind sich die Geschlechter bei der Reduktion des Arbeitspensums einig. Jede Dritte würde gerne weniger arbeiten (Männer 31%, Frauen 33%). Das Bedürfnis, das Erwerbspensum zu erhöhen oder zu reduzieren, unterscheidet sich je nach Branche stark. Am meisten Potenzial zur Erhöhung der Pensen besteht im Bildungswesen (26%) und im Detailhandel (18%). Umgekehrt möchten über die Hälfte der Beschäftigten im Bau (54%) und 41 Prozent in der Finanzindustrie weniger arbeiten.

Abb. 2: Knapp 80 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass flexible Arbeit die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben fördert

INTERAKTIVE GRAFIK
Anmerkung: Basis bilden Befragte im erwerbsfähigen Alter (n=1230)
Quelle: Swissstaffing (2024) / Die Volkswirtschaft

Nichterwerbstätige: Flexibilität als Voraussetzung für die Erwerbsaufnahme

Flexibilität ist eine mögliche Lösung, um das Erwerbspotenzial besser auszuschöpfen: Verfügen Erwerbstätige über Autonomie und Freiräume bei der Arbeitszeitgestaltung, können sie in einem höheren Pensum arbeiten.

Flexibilität ist ebenfalls ein Schlüssel, um Nichterwerbstätige in den Arbeitsmarkt zu reintegrieren. Nur 15 Prozent der Nichterwerbstätigen schliessen eine Rückkehr ins Erwerbsleben aus. Flexible Arbeitsmöglichkeiten sind wichtige Voraussetzungen für eine Rückkehr in die Arbeitswelt – neben einer Arbeit, die Sinn und Spass macht. Konkret wünschen sich die Befragten Flexibilität bei der Arbeitszeit (41%), beim Arbeitsvolumen (32%) und bei der Wahl des Arbeitsorts (26%).

Damit scheinen die Möglichkeiten, Nichterwerbstätige zurückzugewinnen, vielversprechender, als bestehende Erwerbstätige zur Erhöhung ihres Arbeitspensums zu bewegen.

Flexible Arbeit: Gegenwart und Zukunft

Flexible Arbeit ist ein Megatrend, der die Mitte der Gesellschaft längst erreicht hat. 1,3 Millionen Menschen arbeiten in der Schweiz ausserhalb einer klassischen, unbefristeten Vollzeitanstellung.[2] Die aktuelle Umfrage von GFS-Zürich im Auftrag von Swissstaffing zeigt: Das Bedürfnis nach flexibler Arbeit endet nicht bei der Form des Arbeitsverhältnisses. Flexibilität in Bezug auf Arbeitszeit und Arbeitsort sind auch zentrale Bedürfnisse von Erwerbstätigen in klassischen Arbeitsformen. Damit ist flexible Arbeit neben Digitalisierung und Bildung eine von drei tragenden Säulen, um die Schweiz wettbewerbsfähig zu halten und für den demografischen Wandel zu wappnen.

Für Unternehmen bedeutet dies: Wollen sie in Zukunft Mitarbeitende gewinnen oder halten, müssen sie sich als attraktive Arbeitgeber positionieren und flexibles Arbeiten ermöglichen. Branchen, die auf fixe Arbeitszeiten angewiesen sind, dürften in Zukunft Mühe haben, ihren Bedarf an Arbeitskräften zu decken. Das Abwanderungspotenzial ist real: Obwohl die Mehrheit der Erwerbstätigen mit ihrer Stelle zufrieden ist, wäre fast die Hälfte zumindest bei passender Gelegenheit zu einem Stellenwechsel bereit.

  1. Siehe Demografik (2023). []
  2. Siehe Swissstaffing (2022). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Baer, Ariane M.; Osterfeld, Marius (2024). Erwerbstätige möchten weniger und flexibler arbeiten. Die Volkswirtschaft, 05. September.

Die Studie: Befragung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter

Das Markt- und Sozialforschungsinstitut GFS-Zürich befragte im Auftrag des Schweizer Verbands für Personaldienstleister Swissstaffing 1230 Personen in der Schweiz im Alter von 18 bis 70 Jahren. Die Umfrage wurde online (70%) und telefonisch (30%) vom 21. September bis zum 11. November 2023 durchgeführt. Sie ist repräsentativ hinsichtlich Alter, Geschlecht und Sprachregion.