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Vom BIP zum revidierten BIP

Die Wirtschaft wächst in einem Jahr mehr, in einem anderen weniger. Wie hoch diese Schwankung genau ist, wird ein erstes Mal zu Beginn des Folgejahres berechnet und später revidiert. Wirklich definitiv ist das BIP aber nie.
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Saisonale Schwankungen im BIP werden herausgerechnet. Dadurch entwickelt es sich glatter. (Bild: Keystone)

Die Schweizer Wirtschaft wachse, heisst es quartalsweise in den Medien.[1] Ab und an – zuletzt im 2. Quartal 2023 – schrumpft die Schweizer Wirtschaft auch. Das misst man anhand der Veränderung des Bruttoinlandprodukts (BIP). Wie das BIP entsteht, ist eine Wissenschaft für sich, die wir in diesem Artikel etwas näher beleuchten.

Berechnen lässt sich das BIP auf drei verschiedene Arten (siehe Abbildung 1). Der sogenannte Produktionsansatz misst die marktwirtschaftliche Wertschöpfung einer Region. Sprich: Er berechnet den Wert der produzierten Güter und Dienstleistungen innerhalb eines Jahres und zieht jenen der Vorleistungen davon ab. Der Verwendungsansatz betrachtet, wie die Wertschöpfung verwendet wird – etwa für Konsum oder Investitionen. Der Verteilungsansatz schliesslich misst, wie der geschaffene Wert innerhalb der Volkswirtschaft verteilt wird, beispielsweise in Form von Löhnen. So unterschiedlich die Ansätze sind: Am Schluss müssen sie alle auf dasselbe Resultat kommen.

Abb. 1: Das Bruttoinlandprodukt wird auf drei unterschiedliche Arten berechnet

Quelle: BFS (Zahlen von 2023) / Die Volkswirtschaft

Wer berechnet das BIP?

In der Schweiz sind zwei Institutionen für die Berechnung zuständig: das Bundesamt für Statistik (BFS) für die Jahreszahlen und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) für die Quartalszahlen. Zeitgleich mit dem BIP im vierten Quartal publiziert das Seco Ende Februar jeweils auch eine erste BIP-Zahl für das gesamte Vorjahr. Jedes Jahr im August publiziert das BFS seine erste BIP-Berechnung für das Vorjahr. Dann integriert das Seco wiederum die aktualisierten Jahreszahlen in seine Berechnungen. Zusätzlich bereinigt das Seco das BIP um Saison-, Kalender- und Sportevent-Effekte: Saisonale Schwankungen wie das Sommerhoch der Bauindustrie oder die steigenden Konsumausgaben gegen Jahresende finden jedes Jahr zur gleichen Jahreszeit statt. Kalendereffekte entstehen aufgrund der Anzahl Arbeitstage innerhalb eines Jahres. Wenn zum Beispiel Weihnachten auf ein Wochenende fällt, gibt es in dem Jahr mehr Arbeitstage als in anderen Jahren. Sportevent-Effekte entstehen dadurch, dass die grossen internationalen Sportevents wie Olympische Spiele oder Fussballweltmeisterschaften typischerweise nur in geraden Kalenderjahren stattfinden. Diese Effekte erhöhen das BIP in einem bestimmten Quartal (Saisoneffekte) respektive Jahr (Kalender- und Sportevent-Effekte) und werden im bereinigten BIP rausgerechnet. Es entwickelt sich daher glatter.

Die berechneten Zahlen sind jedoch nicht in Stein gemeisselt. Der Grund ist, dass gewisse statistische Informationen für die erste, aber auch für die zweite Berechnung des BIP noch nicht vollständig verfügbar sind. Ein Beispiel hierfür ist die Wertschöpfungsstatistik. Diese erhebt Unternehmenstätigkeiten in der Schweiz anhand der Buchhaltungsergebnisse der Unternehmen. Allerdings: Während die erste BIP-Zahl für das Vorjahr bereits Ende Februar publiziert wird, müssen Unternehmen ihren Jahresabschluss bei den Steuerbehörden erst 90 Tage (Grossunternehmen) beziehungsweise 180 Tage (KMU) nach Abschluss des Geschäftsjahres abgeben. Entsprechend gibt es auch bei der Statistikerhebung eine gewisse Verzögerung. Und wenn die Daten beim BFS eintreffen, müssen sie noch ausgewertet und hochgerechnet werden. Für das BIP heisst das: Die finalen Ergebnisse der Wertschöpfungsstatistik für das Jahr 2023 können erst in die BIP-Berechnung einfliessen, die im September 2025 publiziert wird. Vorher werden für die Berechnungen jene Informationen verwendet, die bereits verfügbar sind, beispielsweise die Industrieumsätze (Produktions-, Auftrags- und Umsatzstatistik der Industrie, Indpau-Statistik) oder die Exporte (Daten des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit [BAZG]).

BIP-Wachstum nach Revision nahezu unverändert

Ende August 2024 war es wieder so weit: Das Bundesamt für Statistik (BFS) lieferte neue BIP-Zahlen für das Jahr 2023 und revidierte Zahlen für die Jahre 2021 und 2022. Dabei wurde das bisher berechnete Wachstum des realen, nicht Sportevent-bereinigten BIP für das Jahr 2023 bestätigt: Es betrug 0,7 Prozent. Das Seco revidierte demgegenüber das saison-, kalender- und Sportevent-bereinigte BIP-Wachstum um 0,1 Prozentpunkte auf 1,2 Prozent nach unten. Darin widerspiegeln sich neue Daten im Zusammenhang mit den internationalen Sportevents beziehungsweise den Sportorganisationen, deren geschätzter Umsatz im Jahr 2023 tiefer ausfiel als bisher veranschlagt.

Auch die vom Seco berechneten Quartalszahlen wurden revidiert: Das vierteljährliche Sportevent-bereinigte BIP kommt im 1. Quartal 2024 rund 0,4 Prozent über dem Niveau gemäss den Daten vor der Revision zu liegen. Insbesondere hat sich die Wirtschaft vom Corona-bedingten Einbruch im zweiten Halbjahr 2021 etwas zügiger erholt als bislang veranschlagt. Das schwächere Wachstum in den Jahren 2022 und 2023 hingegen bestätigt sich. Ab Mitte 2023 erlebte die Schweizer Wirtschaft drei Quartale mit unterdurchschnittlichen Wachstumsraten.

Typischerweise liegen die ersten Schätzungen schon ziemlich nah an den späteren Berechnungen. Allerdings wurden – wie in vielen anderen Ländern – die Zahlen während und unmittelbar nach der Corona-Pandemie stärker revidiert als in früheren Jahren (siehe Abbildung 2). Gewisse Daten konnten nicht mit der gewohnten Präzision erhoben werden, zum Beispiel weil die betreffenden Betriebe temporär geschlossen waren. In anderen Fällen mussten die Daten aufgrund der aussergewöhnlichen Situation besonders bearbeitet werden. So wurde die offizielle Beschäftigung für die anstehenden Berechnungen um den Arbeitsausfall aufgrund Kurzarbeit korrigiert.[2]

Abb. 2: BIP-Wachstum infolge der Corona-Krise nach oben revidiert

INTERAKTIVE GRAFIK

Quelle: Seco / Die Volkswirtschaft

Anmerkung: Es handelt sich um das reale, saison- und Sportevent-bereinigte BIP.

Grundlegende Revision des BIP

Nach drei ordentlichen Revisionen gelten die BIP-Zahlen erst mal als definitiv. Aber das Schweizer BIP wird – wie international üblich – zwei Mal pro Jahrzehnt einer grundlegenden Revision unterzogen.[3] Dann werden neue Quellen in die Berechnungen integriert oder die Konzepte der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, zu der auch das BIP gehört, angepasst. Beispielsweise wurden 2014 die Investitionen in Forschung und Entwicklung in die Berechnung der Investitionen integriert.[4]

Solche Anpassungen sind nötig, um der sich stetig weiterentwickelnden Wirtschaftsstruktur gerecht zu werden. Sie bewirken typischerweise aber Revisionen der gesamten Zeitreihe des BIP von 1980 bis zum aktuellen Rand. Streng genommen sind die BIP-Zahlen also nie definitiv fixiert. Die nächste Revision dieser Art wird 2025 stattfinden.

  1. Dieser Artikel basiert auf dem Exkurs «Jahresrevision der VGR – BIP-Wachstum 2023: +0,7 %, saison- und Sportevent-bereinigt +1,2 %» in den «Konjunkturtendenzen» Herbst 2024 (siehe Kasten). []
  2. Siehe Eurostat[]
  3. Siehe Revisionen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. []
  4. Siehe Medienmitteilung vom 30. September 2014. []

Zitiervorschlag: Kemeny, Felicitas; Wegmüller, Philipp (2024). Vom BIP zum revidierten BIP. Die Volkswirtschaft, 20. September.

«Konjunkturtendenzen» Herbst 2024

Wirtschaftslage Schweiz – Im 2. Quartal 2024 wuchs die Schweizer Wirtschaft mit 0,5% leicht überdurchschnittlich. Das Wachstum im 2. Quartal steht im Zeichen der chemisch-pharmazeutischen Industrie.

Exkurs – Jahresrevision BIP – Ende August hat das Bundesamt für Statistik (BFS) neue Jahreszahlen zur jährlichen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) der Schweiz vorgelegt. Dabei wurde das bisher berechnete Wachstum des realen, nicht Sportevent-bereinigten BIP für das Jahr 2023 bestätigt.

Konjunkturprognose – Die Expertengruppe Konjunkturprognosen des Bundes rechnet für 2024 weiterhin mit einem deutlich unterdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum in der Schweiz (1,2%; unverändert). Für das kommende Jahr ist eine gewisse Normalisierung des Konjunkturgangs zu erwarten (1,6%, Prognose vom Juni bei 1,7%).

Weltwirtschaft – Die Weltwirtschaft wuchs im 2. Quartal 2024 etwas schneller als noch zu Jahresbeginn. Die Heterogenität zwischen den einzelnen Ländern war hoch. In vielen Ländern hat sich die Inflation seit Ende 2023 dem geldpolitischen Zielbereich angenähert. Entsprechend haben viele Zentralbanken über den Sommer die Zinswende eingeleitet.