Ein Handelsschiff der britischen East-India-Company steuert um 1850 das indische Bombay (heute Mumbai) an. Länder handeln heute deutlich mehr miteinander, wenn sie früh damit begonnen haben. (Bild: Keystone)
Seit der ersten Globalisierungswelle im späten 19. Jahrhundert verbindet sich die Welt immer stärker über den Handel. Gerade kleine Länder wie die Schweiz profitieren davon. Die Globalisierung ist aber keine Einbahnstrasse – immer wieder gab es auch Rückschläge: So war etwa die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen eine Phase mit zunehmenden Handelsbarrieren. Und auch seit der Finanzkrise im Jahr 2007 hat die Wachstumsgeschwindigkeit des weltweiten Handelsvolumens deutlich nachgelassen. Die Corona-Krise hat zudem die Risiken von Lieferketten mit wenigen, weit entfernten Zulieferern aufgezeigt.
Der Freihandel ist immer wieder unter Druck – nicht erst seit Donald Trumps Präsidentschaft. Seit der 2001 lancierten und seither laufenden Doha-Runde sind keine substanziellen Handelsliberalisierungen im Rahmen der multilateralen Welthandelsorganisation (WTO) mehr geglückt. Entsprechend weichen viele Staaten auf das aus, was handelspolitisch einfacher möglich ist: regionale Freihandelsabkommen wie jüngst das Abkommen zwischen Indien und der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta), zu der neben Island, Liechtenstein und Norwegen auch die Schweiz gehört.
Die Vorteile des Handels
Doch wieso handeln wir überhaupt? Es gibt zwei zentrale Aspekte, weshalb Handel gerade für kleine Volkswirtschaften wie der Schweiz grosse Wohlstandsgewinne bringt. Erstens können wir unsere beschränkten Ressourcen dank des Handels auf das spezialisieren, wo wir relativ zu anderen Ländern am stärksten sind. Das ist die Grundidee der komparativen Vorteile.
Zweitens können wir dank Aussenhandel auch von weltweiten Innovationen profitieren. Wir müssen nicht selber jedes Produkt neu entwickeln und das Rad neu erfinden. Stattdessen können wir die Fixkosten der Forschung und Entwicklung weltweit teilen. Das führt zu tieferen Preisen. Zentrale Handelsvorteile sind also auch der Zugang zu Importen mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis.
Wichtig ist zudem, dass der Grossteil der Importe nicht Konsumgüter sind, sondern vor allem Vorprodukte, welche dann hierzulande weiterverarbeitet werden. Dies zeigt, wie wichtig die Vernetzung im Handelssystem für unsere eigene Produktivität ist.
Es geht nicht nur um Exporte
Aus all diesen Gründen ist es unratsam, die (gesamte) Produktion ins Inland zu verlagern und möglichst hohe Exportüberschüsse zu erzielen, wie dies etwa der ehemalige US-Präsident Donald Trump fordert. Vergleichbar wäre dieser Schritt mit einem 2-Verdiener-Haushalt, der auf jegliche Kinderkrippen, Putzhilfen und Handwerker verzichtet und die gesamten Arbeiten selbst ausführt, um Geld zu sparen. Dieser Schritt ist kontraproduktiv, wenn das Haushaltsmitglied dafür seine Arbeit aufgeben muss, bei der es mehr verdient, als es für Putzhilfe, Kinderkrippe und Handwerker ausgibt.
Das Beispiel zeigt, worum es bei den komparativen Vorteilen und beim Handel insgesamt geht: Es ist besser, die Güter im Inland herzustellen, wo wir (relativ zu anderen Ländern) effizienter produzieren und deswegen am meisten Wertschöpfung erzielen. Wer aber auf Importe verzichtet, muss alles selbst produzieren, egal wie unproduktiv er darin ist. Gerade in einer Welt, die immer unsicherer wird, ist die Lösung für ein kleines Land daher eher mehr als weniger Handel. Denn ein kleines Land wie die Schweiz kann unmöglich alles allein produzieren.
All dies bedeutet, dass die Schweiz ihre Handelswege offen halten muss – denn Handel mit vielen verschiedenen Partnern erlaubt es uns, zu diversifizieren, und macht uns so weniger verwundbar. In diesem Sinne wird auch das Freihandelsabkommen mit Indien dabei helfen, den Schweizer Aussenhandel weiter abzustützen. Aber trotz der vielen Liberalisierungsschritte der letzten Jahrzehnte ist die Handelsintegration der Schweiz nicht perfekt.
Früher Handel kann sich lohnen
Wenn der Handel also grosse Vorteile bieten kann, wie nutzt man ihn am besten aus? Eine Antwort liefert die umfangreiche wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema.[1] Wenig überraschend ist, dass das Handelsvolumen direkt von der Grösse der Handelspartner und der Transportkosten abhängt. So exportiert die Schweiz beispielsweise dreimal so viel nach Deutschland wie nach Frankreich oder Italien. Andererseits exportieren wir etwa gleich viel ins kleine Österreich wie ins grosse Japan.
Weniger offensichtlich sind zwei andere Muster: Erstens spielen Landesgrenzen immer noch eine wichtige Rolle, auch wenn die Zölle stark gesenkt wurden in den letzten Jahrzehnten und für viele Industrien und Handelspartner heute bei null liegen. So ist der Handel zwischen Kreuzlingen und Konstanz beispielsweise deutlich geringer, als er es wäre, wenn es keine Landesgrenze zwischen diesen beiden Regionen gäbe. Das heisst: Länder beschaffen selbst handelbare Güter weiterhin intensiv im Inland, was auf substanzielle nicht tarifäre Handelshemmnisse hindeutet.
Eine zweite interessante Beobachtung ist: Historische Handelshemmnisse gehen in der Regel mit geringeren Handelsströmen einher, selbst Jahrzehnte nach ihrer Beseitigung. Ein Beispiel dafür liefert der ehemalige Eiserne Vorhang zwischen Ost- und Westeuropa.
Eiserner Vorhang immer noch sichtbar
Gemessen an den Handelsströmen ist der Eiserne Vorhang immer noch präsent. Das zeigt unsere Studie[2]. Länder, die auf unterschiedlichen Seiten des Eisernen Vorhangs lagen, handeln auch heute – über 30 Jahre später – noch fast 50 Prozent weniger miteinander als Länder, die vor dem Mauerfall 1989 auf der gleichen Seite dieser geopolitischen Barriere lagen (siehe Abbildung 1).
Umgekehrt ist das Handelsvolumen von Ländern, die eine historische koloniale Verbindung hatten wie etwa Länder im britischen Commonwealth, heute rund 70 Prozent höher als zwischen Ländern, die keine gemeinsame koloniale Geschichte haben (siehe Abbildung 2).
Abb. 1: Eiserner Vorhang: Wer auf der gleichen Seite war, handelt mehr (1995–2015)
Abb. 2: Koloniale Geschichte: Wer länger verbunden ist, handelt mehr (1995–2015)
Die Wirkungen von Grenzen und Geschichte können also potenziell tiefgreifende Folgen haben. Kurz gesagt: Je später ein Handelsabkommen abgeschlossen wird, desto geringer sind die erwarteten Handelsvorteile bei ansonsten gleichen Bedingungen. Die Grundidee ist einfach: Wenn sich Länder im Laufe der Zeit schrittweise für den Handel öffnen, müssen Unternehmen, die beginnen, in ausländische Märkte zu exportieren, mit bereits etablierten Unternehmen aus dem Zielmarkt und möglicherweise aus Drittländern konkurrieren. Ausserdem müssen sie ihre Marke zuerst etablieren und viel Zeit und Geld in den Aufbau einer Distributionsinfrastruktur investieren.[3] Wie wirkungsmächtig diese Verzögerung ist, zeigen unsere Resultate.
Reduzieren sie den Handel, etwa weil sie die Produktion in den Heimmarkt zurückverlagern wollen, zerstören sie diese Vorabinvestitionen. Dies ist umso kostspieliger, je wichtiger die ausländischen Märkte für den Gesamtabsatz eines Landes sind.
Wer zu spät kommt…
Handel ist ein wichtiger Motor für langfristiges Wachstum und Wohlstand. Er ermöglicht es den Ländern, die Vorteile der Spezialisierung und der Ertragssteigerung zu nutzen, und den produktivsten Unternehmen, die globalen Märkte zu erreichen. Unsere Studie zeigt aber darüber hinaus, dass sich eine frühe Liberalisierung lohnen kann. Wer früh handelt, der kann die Handelsgewinne voll ausnutzen.
Natürlich ist es aufwendig und zeitintensiv, in einen ausländischen Markt einzutreten. Wer diesen Schritt aber früh macht, der hat einen Startvorteil. Das Diktum «Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben» gilt also auch im Aussenhandel. Im Umkehrschluss zeigt unsere Analyse ein zusätzliches Risiko eines vollen «Reshoring», also einer Rückverlagerung der Produktion, auf. Denn bei einer Rückverlagerung der Produktion ins Heimatland werden existierende Netzwerke und Wissen über Handelspartner zerstört, wodurch zukünftig der Zugang zu ausländischen Märkten erschwert wird.
- Siehe z. B. Eaton und Kortum (2002), Anderson und van Wincoop (2003), Arkolakis et al. (2012). []
- Siehe Egger et al (2023). []
- Ausserdem gleichen sich die technischen Vorschriften tendenziell zwischen Ländern an, je länger sie miteinander handeln. Dies senkt die Eintrittsbarrieren und fördert das Handelsvolumen zusätzlich. Bei einer Reduktion der Handelsbeziehungen sind diese Standards nicht verloren, sie werden mit der Zeit allerdings obsolet. []
Literaturverzeichnis
- Anderson, J. E. und van Wincoop, E. (2003). Gravity with Gravitas: A Solution to the Border Puzzle. In: American Economic Review, 93(1):170–192.
- Arkolakis, C., Costinot, A. und Rodríguez-Clare, A. (2012). New Trade Models, Same Old Gains? In: American Economic Review, 102(1):94–130.
- Eaton, J. und Kortum, S. (2002). Technology, Geography, and Trade. In: Econometrica, 70(5):1741–1779.
- Egger, P., Foellmi, R., Schetter, U. und Torun, D. (2023). Gravity with History: On Incumbency Effects in International Trade. CEPR Discussion Paper, Nr. 18421.
Bibliographie
- Anderson, J. E. und van Wincoop, E. (2003). Gravity with Gravitas: A Solution to the Border Puzzle. In: American Economic Review, 93(1):170–192.
- Arkolakis, C., Costinot, A. und Rodríguez-Clare, A. (2012). New Trade Models, Same Old Gains? In: American Economic Review, 102(1):94–130.
- Eaton, J. und Kortum, S. (2002). Technology, Geography, and Trade. In: Econometrica, 70(5):1741–1779.
- Egger, P., Foellmi, R., Schetter, U. und Torun, D. (2023). Gravity with History: On Incumbency Effects in International Trade. CEPR Discussion Paper, Nr. 18421.
Zitiervorschlag: Föllmi, Reto; Torun, David (2024). Wer früh zu handeln beginnt, der handelt mehr. Die Volkswirtschaft, 09. September.