
Eine Fintech-Erfolgsgeschichte: Die Schweizer Bezahl-App Twint. (Bild: Keystone)
Der Zusammenbruch von Lehman Brothers brachte nicht nur die Finanzindustrie ins Wanken, sondern drängte auch eine Generation junger Talente in die Arbeitslosigkeit. Der Verlust des Vertrauens in die Banken und die massenhafte berufliche Umorientierung von Finanz- und Techspezialisten bereiteten den Boden für kreative Disruption und markierten gleichzeitig die Geburtsstunde von «Fintech»; zahllose Jungunternehmen begannen, die angeschlagenen Banken mit moderner Technologie direkt zu konkurrenzieren. Einige von ihnen mit Erfolg: Fintechs wie Stripe, Klarna, Revolut, Robinhood oder die Schweizer Neobanking-App Neon dürften heute den meisten ein Begriff sein.
Das Spektrum reicht dabei von reinen Zahlungslösungen über Vermögensverwaltung und Kreditplattformen bis hin zur Bankeninfrastruktur. Die Swiss Fintech Map[1] zählt in diesen vier Bereichen heute über 400 aktive Schweizer Jungunternehmen, die zum grossen Teil das traditionelle Geschäftsmodell von Banken angreifen.
Die «jungen Wilden» und ihre Schwierigkeiten
Die Erwartungen der Investoren an die sogenannten jungen Wilden stiegen nach frühen Erfolgsgeschichten schier ins Unermessliche. Zwischen 2010 und 2020 explodierten die Investitionen in den Fintech-Sektor von knapp 10 auf über 200 Milliarden US-Dollar weltweit.[2] In diesem Fintech-Hype schien es vielen realistisch, dass Neobanken traditionelle Finanzinstitute schon bald obsolet machen könnten.
Einige Jahre später zeigt sich jedoch, dass diese Annahmen überzogen waren. In den USA gelang es den ersten digitalen Vermögensverwaltern beispielsweise erst nach über 15 Jahren, profitabel zu werden. Und auch in Europa erreichten die ersten Neobanken erst kürzlich die Profitabilitätsschwelle. Tatsächlich schreiben viele Fintechs bis heute keine schwarzen Zahlen.
Dafür gibt es mindestens zwei Ursachen: Einerseits erwies sich die Loyalität (oder Wechselfaulheit) der Kundschaft gegenüber ihrer Hausbank als überraschend gross, was die Werbekosten von Fintechs in die Höhe treibt. Andererseits hat man sich auch auf der Ertragsseite teilweise verkalkuliert: Durch die Kundenloyalität gelingt der Vertrieb von Fintech-Lösungen in vielen Fällen nur über einen radikalen Preiskampf. Beide Effekte drücken die Marge und verzögern die Profitabilität.
Mit Open Banking zum offenen Datenaustausch
Trotz dieser strukturellen Herausforderungen haben Fintechs einen eindrücklichen Mehrwert erbracht. Seit der Finanzkrise haben sie die Einfachheit und die Nutzerfreundlichkeit von Finanzdienstleistungen direkt oder indirekt – als Katalysatoren und Wettbewerber von Banken – revolutioniert. Ein kurzer Vergleich von klassischen E-Banking- und Neobanking-Apps genügt, um festzustellen, dass dazwischen Welten liegen. Und genau darin liegt eine der Hauptqualitäten von Fintechs. Sie verstehen es, Finanzdienstleistungen einfacher, verständlicher und zugänglicher zu machen – und verbessern damit die finanzielle Inklusion der breiten Gesellschaft.
Um davon zu profitieren, musste man bis vor Kurzem allerdings die Hausbank verlassen oder zumindest zusätzliche Kundenbeziehungen eingehen – beides keine besonders attraktiven Optionen. Die Zukunft sieht anders aus: Open Banking erlaubt es, Fintech-Lösungen mit der bestehenden Hausbank zu nutzen. Damit das funktioniert, müssen Informationen wie der Kontostand oder Transaktionsdaten zwischen Bank und Fintech ausgetauscht werden. Die dazu benötigte Infrastruktur bildet die 2020 von der Finanzinfrastrukturbetreiberin SIX entwickelte Plattform B-Link, die es Kunden auf Wunsch ermöglicht, ihre Bankdaten nahtlos mit Drittanbietern zu teilen. Durch Open Banking werden Bankdaten so erstmals anderen autorisierten Marktteilnehmern zugänglich gemacht.
Die Besonderheit des Schweizer Open Banking
Open Banking bildet durch standardisierte Schnittstellen also eine Brücke zwischen etablierten Banken und Fintechs. Wie diese neue Brücke die bestehenden Marktverhältnisse verändert, hängt von der Umsetzung ab. Während Banken in der EU mit der Payment Services Directive 2 (PSD2)[3] regulatorisch verpflichtet wurden, ihre Schnittstellen gegenüber Drittanbietern zu öffnen, verfolgt die Schweiz mit der B-Link-Plattform einen marktbasierten Ansatz; die Teilnahme ist freiwillig, und Banken haben die Möglichkeit, Drittparteien den Zugang zu verwehren. Schweizer Fintechs können also nur dann auf Bankdaten zugreifen, wenn sowohl der Kunde als auch die Bank dem zustimmt. Fintechs, die Open Banking nutzen möchten, müssen deshalb ein kooperatives Geschäftsmodell verfolgen, das die Kundenschnittstelle der Bank nicht direkt konkurrenziert und für beide Parteien einen strategischen oder finanziellen Mehrwert bietet.
Um Open Banking zum Durchbruch zu verhelfen, sind daher neue, symbiotische Geschäftsmodelle erforderlich. Dazu gehören unter anderem Software-as-a-Service-Modelle, die es Banken ermöglichen, innovative Dienstleistungen anzubieten, ohne sie selbst entwickeln oder betreiben zu müssen. Es finden eine Spezialisierung und eine Arbeitsteilung statt: Während Banken sich auf die Kundenschnittstelle konzentrieren, unterstützen Fintechs sie dabei mit benutzerfreundlichen Anwendungen, die den Bankkunden zur Verfügung gestellt werden.
Diese neue Kooperationsform bedeutet für beide Parteien einen Strukturwandel, weil aus Konkurrenten wertvolle Partner werden. Dabei entsteht eine Win-win-Situation: Fintechs können ihre Marketingkosten reduzieren und werden dadurch früher profitabel. Banken erlaubt das neue Kooperationsmodell, auf ihre Kernstärke zu fokussieren, die in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird: die Pflege der Kundenbeziehung.
Kleine Institute ganz vorn
Ob und allenfalls inwieweit es Banken und Fintechs gelingt, den Strukturwandel zu vollziehen und dabei erfolgreiche symbiotische Geschäftsmodelle zu entwickeln, wird sich in den nächsten Jahren zeigen; obwohl es erste Erfolgsbeispiele gibt – Open Banking steckt derzeit noch in den Kinderschuhen.
Interessanterweise zeigen vor allem kleinere Institute bereits heute Offenheit. Offenbar haben sie die strategische Bedeutung frühzeitig erkannt und beginnen zu handeln. Ziehen die Grossen nicht nach, könnte aus diesem Rückstand ein entscheidender Wettbewerbsnachteil entstehen.
- Die Swiss Fintech Map ist ein Gemeinschaftsprojekt von E-Foresight, Swisscom, der Hochschule Luzern und Clara. Sie dokumentiert die Entwicklung des Schweizer Fintech-Ökosystems. []
- Siehe Statista.com. []
- Siehe zum Beispiel die Deutsche Bundesbank. []
Zitiervorschlag: Plachel, Lukas; Schade, Jan-Philip (2024). Fintechs und Banken: Strukturwandel durch Open Banking. Die Volkswirtschaft, 08. Oktober.
Fintech: Technologieunternehmen, die Finanzdienstleistungen anbieten. In der Regel versteht man darunter Jungunternehmen, die versuchen, mit digitalen Geschäftsmodellen Finanzdienstleistungen zu revolutionieren. Ebenfalls zu den Fintechs gezählt werden aber auch etablierte Finanzinfrastruktur- oder Finanzsoftwareanbieter wie SIX oder Avaloq.
Neobank: Finanzunternehmen, die Bankgeschäfte über eine Mobile-App anbieten – also das traditionelle Bankgeschäft digitalisieren. Dabei muss es sich aus regulatorischer Perspektive nicht zwingend um eine Bank handeln. Einige Neobanken sind reine Softwareanbieter und weitgehend unreguliert.
Open Banking: Ein System, in dem personenbezogene Bankdaten unter Zustimmung des Kunden automatisch über Unternehmensgrenzen hinweg geteilt werden können. Dies ermöglicht neue Anwendungen und erhöht den Nutzerkomfort.
Software-as-a-Service: Software wird statt in einem Abomodell internetbasiert zur Verfügung gestellt. Dies ermöglicht es Kunden, Software nach Bedarf auszuleihen, anstatt sie wie früher üblich vollumfänglich zu kaufen.