
Die Spar- und Leihkasse Thun hatte für den Notfall nicht genügend Eigenkapital. Massenandrang vor der Filiale im Jahr 1991, kurz bevor die Bank wegen Überschuldung geschlossen wurde. (Bild: Keystone)
Nach fast jeder Bankenkrise macht die Frage die Runde: Wie hoch ist die «optimale» Eigenkapitalquote einer Bank?[1] So führte die Krise der 1930er-Jahre zu hohen Verlusten bei den Schweizer Grossbanken, was unter anderem auch der Bankenregulierung auf nationaler Ebene zum Durchbruch verhalf, welche Eigenkapitalvorschriften beinhaltete. Nach weiteren Finanzkrisen in den 1970er- und 1980er-Jahren[2] kam es 1988 erstmals zu einer Vereinheitlichung der Eigenmittelvorschriften für Banken auf internationaler Ebene (Basel I). Und die Finanzkrise 2007/08 führte schliesslich zur Erkenntnis, dass insbesondere internationale Grossbanken über zu wenig Kapital verfügten – mit entsprechenden Regulierungsfolgen im Basel-III-Regelwerk.
Oft hört man, dass Banken früher über mehr Kapital (im Verhältnis zur Bilanzsumme) verfügt hätten.[3] Die nachfolgende Analyse zeigt allerdings, dass dies in der Schweiz nur auf bestimmte Bankengruppen zutrifft und dass Eigenmittel teilweise auch durch andere Garantiearten substituiert werden können.
Eigenkapital: Verluste absorbieren und Vertrauen schaffen
Zu den sogenannten harten Eigenmitteln von Banken gehören das einbezahlte Kapital der Eigner (Aktionäre, Genossenschafter), Gewinnvorträge sowie Reserven, welche durch den Rückbehalt von Gewinnen über die Zeit aufgebaut werden. Die Eigenmittel erfüllen zwei zentrale Funktionen: Erstens können sie unerwartete Verluste über einen bestimmten Zeitraum abfedern, was theoretisch das Risiko einer Insolvenz reduzieren kann. Zweitens wirken Eigenmittel vertrauensbildend. Das heisst, sie reduzieren die Wahrscheinlichkeit von Bank-Runs, weil die Bankkunden davon ausgehen können, dass im Falle von Verlusten genügend Eigenmittel bei der Bank vorhanden sind.
Allerdings: Für die zweite Funktion braucht eine Bank nicht zwingend Eigenmittel. Ebenso können Garantien der Eigner, implizite und explizite Staatsgarantien, Einlagensicherungen, eine restriktive Regulierung und Überwachung der Banken oder ein vorsichtiges Bankmanagement vertrauensbildend wirken. Bei der Regulierung von Eigenmitteln sollte somit nicht allein die Mindestquote für Eigenmittel, sondern das gesamte regulatorische Umfeld hinterfragt werden. In Bezug auf vertrauensbildende Massnahmen in Form von Garantien stellt sich zudem die Frage, wer die Verlustrisiken aus den Garantien tragen soll: die Bankeigner oder die Öffentlichkeit?
Banken mit expliziten Garantien – ein Rückblick
Die Geschichte der Schweizer Banken liefert Beispiele für verschieden hohe Eigenmittelquoten[4] sowie weiteren Regulierungen und Ausgestaltungen von vertrauensbildenden Massnahmen. So verfügten etwa die genossenschaftlich organisierten Raiffeisenbanken bis zu den 2000er-Jahren über die tiefsten Eigenmittelquoten aller Bankengruppen (siehe Abbildung). Das einbezahlte Genossenschaftskapital betrug meist weniger als 5 Prozent der Bilanzsumme. Doch die Raiffeisenbanken nutzten zusätzliche Garantieelemente. Bis 1989 hafteten die Genossenschafter unbegrenzt solidarisch. Danach wurde die Solidarhaft durch eine auf 8000 Franken begrenzte Nachschusspflicht ersetzt. Ein Jahr vor der Abschaffung dieser Nachschusspflicht im Jahr 2014 machten diese nicht einbezahlten Eigenmittel in der Summe 14,6 Milliarden Franken aus und übertrafen damit die einbezahlten Eigenmittel von 11,2 Milliarden Franken deutlich.[5]
Insbesondere in der Gründungsphase von Genossenschaftsbanken im 19. Jahrhundert waren Garantien in Form von Solidarhaftungen und Nachschusspflichten wichtig. Sie ermöglichten es, eine Bank mit nur wenig Kapital zu gründen, welches in den Folgejahren dann hauptsächlich über die Bildung von Reserven aufgebaut wurde. Gleichzeitig konnten den Sparerinnen und Sparern Sicherheiten geboten werden.
Neben Garantien durch Private wie bei den Raiffeisenbanken gibt es auch heute noch zahlreiche Banken, welche mit expliziten staatlichen Garantien arbeiten. Von den 24 Kantonalbanken verfügen 21 über Staatsgarantien.[6] Im 19. Jahrhundert gab es auch zahlreiche Regionalbanken und Sparkassen mit Gemeindegarantien – heute sind diese verschwunden.
Eigenkapitalanteil nach Bankengruppen (1875–2023)
INTERAKTIVE GRAFIK
Grossbanken und implizite Staatsgarantien sind nichts Neues
Im Gegensatz zu den Kantonalbanken, gewissen Sparkassen oder Raiffeisenbanken verfügten die Grossbanken nie über staatliche Garantien oder substanzielle Garantien ihrer Eigner, welche tiefere Eigenmittelquoten rechtfertigen könnten. Bis 1945 hatten die Grossbanken denn auch die höchsten Eigenmittelquoten aller Bankengruppen. Die Geschäftsleitungen der Grossbanken begründeten die hohe Kapitalausstattung in der Regel damit, dass den risikoreichen Geschäftsmodellen ein substanzielles verlustabsorbierendes Kapital gegenüberstehen soll.
Doch dieses Argument verschwand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich. Einerseits wurden 1934 mit dem Bankengesetz (bzw. 1935 mit der Bankenverordnung)[7] Mindestkapitalquoten eingeführt. Während die Grossbanken vor der Einführung von Mindestkapitalquoten in ihren Jahresberichten die Risiken der Bank und das dafür aus ihrer Sicht notwendige Kapital regelmässig besprochen hatten, verschwanden solche Abwägungen fortan. Die Grossbanken wiesen lediglich noch mit einem Satz darauf hin, dass man die regulatorischen Anforderungen erfülle.
Andererseits änderten sich die Geschäftsmodelle der Grossbanken. Insbesondere das starke Wachstum und die Internationalisierung der Grossbanken führten ab den späten 1950er-Jahren dazu, dass diese erfolgreich für Lockerungen bei der Eigenmittelregulierung lobbyierten, meist mit dem Verweis auf internationale Mitbewerber mit tieferen Eigenmittelanforderungen. Ab dem Jahr 2000 waren die Grossbanken schliesslich die Bankengruppe mit der tiefsten Eigenmittelquote. Gleichzeitig musste wohl allen klar gewesen sein, dass diverse Schweizer Grossbanken über implizite Staatsgarantien verfügten – spätestens seit der ab 1931 versuchten Rettung der Comptoir d’Escompte de Genève und der Rettung der Schweizerischen Volksbank im Jahr 1933 durch den Bund.
Kleine Banken mit hohen Eigenmittelquoten – und ganz ohne Garantien
Dass Grossbanken über grosse Eigenmittelquoten verfügen, ist ein Relikt der Vergangenheit. Heute verfügen vor allem kleine Banken über meist hohe Eigenmittel. So liegt die durchschnittliche Bilanzsumme der 15 Schweizer Retailbanken mit den höchsten Leverage Ratios lediglich bei 1,7 Milliarden Franken, und sie beschäftigen im Durchschnitt 50 Mitarbeitende. Zudem halten Kleinbanken, welche in der tiefsten Aufsichtskategorie eingeordnet sind, verglichen mit den regulatorischen Vorgaben am meisten Kapital. Im Schnitt übertreffen diese die Vorgaben um das 1,6-Fache.[8] Dafür arbeiten die Kleinbanken heute ganz ohne staatliche Garantien.
Für die einzig noch verbleibende Grossbank, die UBS, besteht hingegen weiterhin eine implizite Staatsgarantie, für welche die Öffentlichkeit im Notfall geradestehen muss. Will man dies verhindern, braucht es mehr Eigenkapital, ein enorm konservatives Geschäftsmodell oder kreativere Ansätze wie erweiterte Garantien der Aktionäre (z. B. Haftung der Aktionäre für ein Mehrfaches des einbezahlten Nominalbetrags).
- Die nachfolgenden Analysen stammen als Auszug aus Amrein (2024). []
- Bank Herstatt, lateinamerikanische Schuldenkrise, Bankenkrisen in den USA. []
- Siehe Admati und Hellwig (2014). []
- Die Eigenmittelquote ist nicht ganz mit der heutigen Leverage Ratio nach Basel III vergleichbar, welche die Eigenmittel ins Verhältnis zum Gesamtmanagement setzt, das unter anderem auch Ausserbilanzpositionen umfasst. []
- Raiffeisen (2013). Jahres- und Finanzbericht 2013. S. 54. []
- Ausnahmen sind: die Waadtländische Kantonalbank (BCV), die Berner Kantonalbank (BEKB) und die Genfer Kantonalbank (BCGE). []
- Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen von 1934. Verordnung über die Banken und Sparkassen von 1935. []
- Siehe Dietrich et al. (2023). []
Literaturverzeichnis
- Admati, A. und M. Hellwig (2014). The Bankers’ New Clothes: What’s Wrong with Banking and What to Do about It. Princeton: Princeton University Press.
- Amrein, S. (2024). Capital in Banking. The Role of Capital in Banking in the 19th and 20th Century: The United Kingdom, the United States and Switzerland. Cambridge: Cambridge University Press.
- Dietrich, A. et al. (2023). IFZ Retail Banking-Studie 2023. Rotkreuz: Verlag IFZ – Hochschule Luzern.
- Jöhr, A. (1915). Die Schweizerischen Notenbanken: 1826–1913. Zürich: Orell Füssli; Jahresberichte der Grossbanken.
- SNB (2015). Die Banken in der Schweiz, Ausgaben 1906–2014.
- SNB (2024). Datenportal der Schweizerischen Nationalbank.
Bibliographie
- Admati, A. und M. Hellwig (2014). The Bankers’ New Clothes: What’s Wrong with Banking and What to Do about It. Princeton: Princeton University Press.
- Amrein, S. (2024). Capital in Banking. The Role of Capital in Banking in the 19th and 20th Century: The United Kingdom, the United States and Switzerland. Cambridge: Cambridge University Press.
- Dietrich, A. et al. (2023). IFZ Retail Banking-Studie 2023. Rotkreuz: Verlag IFZ – Hochschule Luzern.
- Jöhr, A. (1915). Die Schweizerischen Notenbanken: 1826–1913. Zürich: Orell Füssli; Jahresberichte der Grossbanken.
- SNB (2015). Die Banken in der Schweiz, Ausgaben 1906–2014.
- SNB (2024). Datenportal der Schweizerischen Nationalbank.
Zitiervorschlag: Amrein, Simon (2024). Implizite Garantien für Grossbanken – keine Garantien für Kleinbanken. Die Volkswirtschaft, 08. Oktober.