
Drei Bankenchefs geordnet nach zunehmender Grösse ihrer Bank (v. l. n. r.): Antonio Circelli, Caisse d’Épargne de Nyon, André Wegmann, Bank Avera, Ewald Burgener, Valiant. (Bild: zvg)
Antonio Circelli (CEO Caisse d’Epargne Nyon): Die Caisse d’Épargne de Nyon (CEN) ist eine kundennahe Bank. Seit unserer Gründung 1828 haben wir das Leistungs- und Serviceangebot laufend erweitert. Die Hauptaufgabe ist dabei aber gleich geblieben: Wir fördern und unterstützen das Sparen der lokalen Privat- und Geschäftskunden und finanzieren Immobilienprojekte hauptsächlich in der Stadt und im Bezirk Nyon. Wir entwickeln uns weiter und bleiben trotzdem unserem Motto treu: «Mit Stolz regional».
André Wegmann (Bank Avera): Wir wurden vor rund 200 Jahren von der gemeinnützigen Gesellschaft des Bezirks Hinwil mit dem Ziel gegründet, die Bevölkerung bei ihren finanziellen Angelegenheiten gut und umsichtig zu begleiten. Dieser Aufgabe – natürlich unter anderen Voraussetzungen – sind wir heute noch verpflichtet. Unser Eigenkapital haben wir in den letzten 200 Jahren aus eigener Kraft erarbeitet. Unsere Unabhängigkeit ist die Basis für eine weiterhin nachhaltige Geschäftsführung. Dank diesem nachhaltigen Geschäftsmodell haben wir uns von einer kleinen Sparkasse zu einer breit aufgestellten und finanziell unabhängigen Universalbank entwickelt, die im Retail-, Privatbanking und im Firmenkundengeschäft tätig ist. Es ist also durchaus gewinnbringend, ein erfolgreiches Geschäftsmodell weiterzuentwickeln, anstatt in Geschäftsfelder zu expandieren, die viel Risiko mit sich bringen.
Ewald Burgener (Valiant): Dank der Expansionsstrategie der letzten Jahre, primär für die Romandie, die Ostschweiz und den Raum Zürich, sind wir eine schweizweit tätige Finanzdienstleisterin für Privatkunden und KMU. Wir bieten ein umfassendes Angebot in allen Finanzfragen, also auch in den Bereichen Vermögensaufbau und Vorsorge. Zentrales Element unseres Angebots ist die Einfachheit, die sich im Angebot, in der Preisgestaltung und in der Kontaktaufnahme mit uns zeigen soll. Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor sind die lokale Verankerung mit den über 80 Geschäftsstellen sowie die Nähe zu unseren Kundinnen und Kunden.
Zweifellos ist das Liquiditätsmanagement die grösste Herausforderung.
– Antonio Circelli, Caisse d’Épargne Nyon
Circelli: Zweifellos ist das Liquiditätsmanagement die grösste Herausforderung. Denn Spareinlagen sind aus Renditesicht keine attraktive Anlagealternative mehr, und sinkende Zinsen animieren manche Menschen, stattdessen in Aktien und Derivate zu investieren. Zudem dürfte künftig die Cybersicherheit für alle Finanzakteure eine zentrale Rolle spielen. Denn die Digitalisierung der Bankprodukte und -dienstleistungen schreitet voran, und Kundenaufträge müssen sofort ausgeführt werden. Gleichzeitig müssen die Banken die Datensicherheit gewährleisten und geltende Vorschriften – wie etwa Sanktionen und Massnahmen zur Geldwäschereibekämpfung – einhalten.
Wegmann: Als regional tätige Bank zeichnet uns der persönliche Kontakt zu unseren Kundinnen und Kunden aus. Diese Nähe trotz Digitalisierung beizubehalten, ist eine Herausforderung. Neue Technologien und die Pandemie haben das Kundenverhalten verändert. Andererseits ist der Umgang mit den erhöhten regulatorischen Anforderungen anspruchsvoll. Grundsätzlich betrachten wir diese als sinnvoll und nötig. Aber: Der Komplexitätsgrad und die Regulierungstiefe sind auf das zugrunde liegende Bankgeschäft anzupassen. Sprich, weitreichende und einschneidende Regulierungen braucht es vor allem für komplexe Bankgeschäfte, bei denen der Wettbewerb nicht spielt und die üblicherweise nicht von Regionalbanken erbracht werden.
Burgener: Wir sehen derzeit drei grosse Herausforderungen. Erstens unser Angebot weiterzuentwickeln, um auch bei zunehmender Digitalisierung weiterhin unserem Anspruch der Einfachheit gerecht zu werden. Zweitens Erträge in Richtung Vermögensaufbau und Vorsorge sowie Dienstleistungen für KMU zu diversifizieren. Drittens die Effizienz zu steigern und Prozesse zu optimieren, um die notwendige Rentabilität zu erzielen.
Caisse d’Épargne Nyon. (Bild: zvg)
Circelli: Eine 8 erscheint uns angemessen. Die Umsetzung der Vorschriften wird von Jahr zu Jahr komplexer. Als Kleinbank der Kategorie 5 kommen wir zwar in den Genuss bestimmter Entlastungen. Die Ressourcen, die wir dafür aufwenden, dürfen aber gleichzeitig keinesfalls unser Kerngeschäft – die Zufriedenheit unserer Kunden – beeinträchtigen.
Wegmann: Die immer weiter zunehmende Regulierung hat auch kundenseitige Konsequenzen. Zum Beispiel müssen sie uns heute mehr und regelmässiger Informationen zur Verfügung stellen und sich mit entsprechenden Anträgen auseinandersetzen. Das ist für unsere Kundinnen und Kunden teils schwer verständlich und teils auch umständlich. Zudem steigen die Regulierungskosten der Banken, was früher oder später auch auf die Kundinnen und Kunden überwälzt werden muss. Unter Berücksichtigung dieser Umstände würde ich einen Skalenwert von 6 wählen.
Burgener: 8 auf einer Skala bis 10. Die Schweizer Banken sind bereits heute stark reguliert – meines Erachtens mehr als hinreichend. Und es sieht nicht nach einer Lockerung aus, im Gegenteil. Entsprechend steigen sowohl die Komplexität als auch in einem noch grösseren Mass die Kosten laufend an. Sowohl kurzfristige neue Regulierungen als auch zu einschränkende oder unterschiedlich interpretierbare Vorgaben erschweren den Umgang mit Regulierungen zusätzlich.
Die immer weiter zunehmende Regulierung hat auch kundenseitige Konsequenzen.
– André Wegmann, Bank Avera
Circelli: Die CEN ist dem Kleinbankenregime unterstellt. Wir müssen also nur die vereinfachte Leverage Ratio berechnen. Diese kann zwar schneller ermittelt werden als früher, sie führt für die Bank aber zu einem ungünstigeren Ergebnis, weil sie die Gewichtungen der einzelnen Bilanzpositionen nicht berücksichtigt.
Wegmann: Eigenkapital und Liquidität sind für Banken wie Essen und Trinken für den Menschen: Es braucht beides, um überleben zu können. Um das Eigenkapital zu bewirtschaften, bedarf es eher einer langfristigen Perspektive, während das Liquiditätsmanagement tagtäglich sichergestellt werden muss. Ob die Liquidität oder das Eigenkapital herausfordernder ist, hängt vom makroökonomischen Umfeld, der spezifischen Situation der individuellen Bank sowie ihrem Instrumentarium ab.
Burgener: Die Beschaffung von Liquidität gestaltet sich aktuell für viele Banken anspruchsvoller, da die Notenbanken diese zur Inflationsbekämpfung erheblich reduzieren. Dies erhöht die Refinanzierungskosten der Banken. Valiant verfügt jedoch über diverse Refinanzierungsinstrumente, mit denen wir flexibel auf die Marktsituationen reagieren können. Zudem stellt die Schweizerische Nationalbank für alle Schweizer Banken höhere Anforderungen an die Liquidität. Dies verursacht ebenfalls Zusatzkosten und belastet die Liquiditätsquote.
Die Bank Avera mit Sitz in Wetzikon ZH. (Bild: zvg)
Circelli: Wir begrüssen dieses Programm, dank dem alle Bankinstitute, einschliesslich kleiner Banken, rasch Zugang zu neuer Liquidität erhalten können. Wir werden aber auch in Zukunft Anleihen bei der Pfandbriefbank aufnehmen, da wir keinen unmittelbaren Refinanzierungsbedarf haben.
Wegmann: Ja, wir werden teilnehmen. Wir erachten die LGHS als sinnvolles Instrument, um Banken in einer Krisensituation zu unterstützen.
Burgener: Wir werden an diesem Programm teilnehmen. Aktuell arbeiten wir daran, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen. Es ist geplant, dass wir gegen Ende dieses Jahres einen ersten Funktionstest des LGHS-Programms durchführen werden. Wir sind positiv gestimmt, im ersten Quartal 2025 alle Anforderungen der SNB zu erfüllen.
Die Schweizer Banken sind bereits heute stark reguliert – meines Erachtens mehr als hinreichend.
– Ewald Burgener, Valiant
Circelli: Unsere Haupteinnahmequelle ist und bleibt die Zinsmarge. Wir beabsichtigen nicht, weitere Dienstleistungen anzubieten, abgesehen vom Bereich Finanzierung und Sparen. Wir bieten keine Anlageberatung an und verfügen auch nicht über eigene Anlagefonds. Daher rechnen wir nicht mit alternativen Einkünften aus Gebühren und anderen Kommissionen.
Wegmann: Das ist ein wichtiges Ziel. Wir diversifizieren unsere Erträge dahin gehend, dass wir weitere sinnvolle Dienstleistungen auf- und ausbauen. Dazu gehören beispielsweise die private Vorsorge und der damit verbundene Vermögensaufbau bei Privatpersonen. Auch die Pensionsplanung, die Risikovorsorge und der Immobilienverkauf sind Geschäftsfelder, wo wir Potenzial sehen und neue Services anbieten. Das Finanzieren von Wohneigentum und von Unternehmen und damit die Erträge aus dem Zinsdifferenzgeschäft werden allerdings eine Hauptkomponente bleiben.
Burgener: Die Ertragsdiversifikation ist eine strategische Stossrichtung unserer Strategie «Valiant 2029». Durch den verstärkten Fokus auf das KMU-Geschäft sowie den Vermögensaufbau und die Vorsorge für die Privatkundschaft sollen unsere Erträge breiter abgestützt und damit die Abhängigkeit vom Zinsgeschäft etwas verringert werden.
Die Valiant-Bank in Bern. (Bild: zvg)
Circelli: Unsere Kundschaft und unsere Mitarbeitenden legen grossen Wert auf zwischenmenschliche Kontakte. Wir bedienen unsere Kunden am Schalter, unterstützen sie bei Bedarf telefonisch und bieten ihnen eine regelmässige Korrespondenz per E-Mail. Unsere Kundschaft schätzt die geringe Personalfluktuation. Der Aufbau eines langfristigen, konstruktiven Dialogs kommt den Geschäftsbeziehungen zugute und stärkt das Vertrauen, das unsere Kunden uns täglich entgegenbringen. Selbstverständlich bieten wir seit vielen Jahren auch digitale Dienstleistungen an, um allen Kunden den Zugang zu unseren Produkten zu ermöglichen.
Wegmann: Obwohl sich das Kundenverhalten verändert hat, sind wir überzeugt, dass unsere Kundinnen und Kunden bei anspruchsvolleren Finanzthemen und wichtigen Lebensereignissen den persönlichen Kontakt bevorzugen. Insofern wird sich unser Geschäftsmodell aufgrund der Digitalisierung nicht grundlegend verändern. Gleichzeitig müssen wir digitale Möglichkeiten nutzen, um für unsere Kundinnen und Kunden das Alltagsgeschäft einfach, zeitgemäss und angenehm zu gestalten. Wir haben darum unsere Kundenschnittstelle weiter digitalisiert und im letzten Jahr Projekte umgesetzt. Beispielsweise ist es dank der digitalen Selbstidentifizierung nicht mehr nötig, eine Filiale aufzusuchen, um ein Konto zu eröffnen. Auch bankintern hilft uns die Digitalisierung, Prozesse und Abläufe zu verbessern und Kosten zu minimieren.
Burgener: Die Digitalisierung spielt eine zentrale Rolle. Einerseits nehmen die Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden in Bezug auf digitale Dienstleistungen laufend zu, andererseits bietet die Digitalisierung auch grosse Möglichkeiten, um die Effizienz zu steigern. Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit den Themen digitales Anlegen und Vorsorgen oder mit der digitalen Marktbearbeitung.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
Zitiervorschlag: Interview mit Antonio Circelli, Caisse d’Épargne de Nyon, André Wegmann, Bank Avera, Ewald Burgener, Valiant (2024). Kleinbanken: Wie schwierig ist der Umgang mit der Regulierung? Die Volkswirtschaft, 07. Oktober.
Antonio Circelli ist seit 2007 Leiter der Caisse d’Épargne de Nyon (CEN) und seit 2023 Vorsitzender der Geschäftsleitung. Zuvor hatte er verschiedene Positionen bei der Credit Suisse und der Anker-Bank inne. Die CEN wurde 1828 gegründet und zählt aktuell 15 Mitarbeitende. Sie ist hauptsächlich im Bezirk Nyon sowie im Kanton Waadt und im Genferseebecken tätig. Die CEN fällt unter die Aufsichtskategorie 5 der Finanzmarktaufsichtsbehörde Finma.
André Wegmann ist seit April 2023 Vorsitzender der Geschäftsleitung der Bank Avera. Der Betriebsökonom hat zuvor in verschiedenen leitenden Funktionen für eine Grossbank gearbeitet. Die Bank Avera ist mit rund 157 Mitarbeitenden und 12 Geschäftsstellen die grösste Regionalbank im Kanton Zürich. Sie gehört der Finma-Aufsichtskategorie 4 an.
Ewald Burgener ist seit Mai 2019 als CEO von Valiant tätig. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bern und ist eidgenössisch diplomierter Wirtschaftsprüfer. Valiant ist eine unabhängige Schweizer Finanzdienstleisterin und beschäftigt rund 1100 Mitarbeitende in 15 Kantonen vom Genfer- bis zum Bodensee. Valiant gehört der Finma-Aufsichtskategorie 3 an.