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Volksabstimmung: Barometer des Vertrauens

Die Ergebnisse von Referenden und Volksinitiativen in den letzten 50 Jahren bestätigen: Die Schweizer Bevölkerung vertraut ihren politischen Institutionen. Gewisse negative Ereignisse könnten dieses Vertrauen jedoch untergraben.
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Der Bundesrat gewann in den letzten fünfzig Jahren über siebzig Prozent aller Volksabstimmungen. (Bild: Keystone / Bundeskanzlei / Sina Guntern)

Die Schweiz ist bis zu einem gewissen Grad ein Sonderfall, wenn es um das Vertrauen in die politischen Institutionen geht. Gemäss Meinungsumfragen ist das Vertrauen der Schweizer Bevölkerung gegenüber Regierung, Parlament und auch den Regierungsparteien nach wie vor recht hoch, im internationalen Vergleich sogar sehr hoch.[1] Auf dem europäischen Kontinent können nur Skandinavien und die Niederlande mithalten. Aktuellere Meinungsumfragen zeigen allerdings, dass das Misstrauen gegenüber den Bundesbehörden in den letzten Jahren zugenommen hat.[2] Grund dafür sind vor allem die Kontroversen um den Umgang mit der Covid-19-Pandemie, insbesondere der Impfpflicht.

Wie misst man Vertrauen?

Um zu messen, inwiefern die Bevölkerung hinter den Bundesbehörden steht, gibt es in der Schweiz dank der direkten Demokratie objektivere Indikatoren als das Vertrauensgefühl: Volksabstimmungen, also Referenden und Volksinitiativen.[3] Denn mit einem Ja zu einer Vorlage über eine Verfassungsänderung oder eine Gesetzesrevision oder einem Nein zu einer Volksinitiative signalisiert das Volk seine Unterstützung für den Bundesrat und das Parlament.

Die Abbildung zeigt, wie erfolgreich die Bundesbehörden bei Volksabstimmungen in den letzten 50 Jahren waren, insgesamt und einzeln für die drei direktdemokratischen Instrumente obligatorisches Referendum, fakultatives Referendum und Volksinitiative. Die Erfolgsquote entspricht dem Verhältnis zwischen der Anzahl der Volksabstimmungen, die zu einem Entscheid entsprechend der Abstimmungsempfehlung von Bundesrat und Parlament geführt haben, und der Gesamtzahl der Volksabstimmungen während eines bestimmten Zeitraums. In diesem Fall sind es zwei aufeinanderfolgende Legislaturperioden, also acht Jahre.

Der Bundesrat gewinnt über 70 Prozent der Volksabstimmungen (1971–2024)

INTERAKTIVE GRAFIK
Quelle: Swissvotes.ch / Berechnungen des Autors / Die Volkswirtschaft

Grosses Medienecho

Insgesamt lag die durchschnittliche Erfolgsquote des Bundesrats für die drei Instrumente seit Anfang der 1970er-Jahre kontinuierlich bei über 70 Prozent. Mit anderen Worten: Der Bundesrat (und die Mehrheit des Parlaments) gewann bei mehr als 7 von 10 Volksabstimmungen.

Besonders hoch war die Erfolgsquote bei Volksinitiativen.[4] Über den gesamten Zeitraum hinweg wurden mehr als 9 von 10 Initiativen im Sinne der Bundesbehörden abgelehnt. In den letzten 20 Jahren mussten die Bundesbehörden jedoch häufiger Niederlagen hinnehmen, insbesondere in den Jahren 2003–2011, in denen mehrere Initiativen der SVP angenommen wurden. Ebenfalls in diesem Zeitraum gestalteten sich auch Abstimmungen über obligatorische Referenden etwas schwieriger, danach stieg die Erfolgsquote jedoch wieder. Insgesamt folgte das Volk dem Bundesrat in fast 8 von 10 Volksabstimmungen.

Bei den fakultativen Referenden verlor der Bundesrat Anfang der 1970er-Jahre fast jede zweite Volksabstimmung. Danach stieg die Erfolgsquote jedoch schrittweise bis auf 80 Prozent. In den letzten 15 Jahren ist sie wieder leicht zurückgegangen. Über den gesamten Zeitraum hinweg liegt die Erfolgsquote auch für dieses Instrument bei fast 70 Prozent.

Die Resultate zeigen: Abgesehen von einzelnen Zeiträumen – wie zwischen 2003 und 2011 – gibt es keinen Abwärtstrend. Die Bevölkerung unterstützt die Bundesbehörden bei direktdemokratischen Abstimmungen. Aber gerade weil sie relativ selten sind, sorgen Abstimmungsniederlagen von Bundesrat und Parlament für ein grosses Echo in den Medien, was fälschlicherweise den Eindruck erwecken kann, dass sie häufig vorkommen.

Schwierigeres Umfeld für den Bundesrat

Diese positive Bilanz der Bundesbehörden ist umso bemerkenswerter, als seit einiger Zeit eine Konkordanz mit wechselnden Allianzen vorherrscht. Während Anfang der 2000er-Jahre noch fast 25 Prozent der Abstimmungen im Nationalrat einstimmig ausfielen, d. h. alle vier Regierungsparteien geschlossen stimmten, ist dies inzwischen wesentlich seltener der Fall: In der Legislaturperiode 2015–2019 waren es nur knapp über 10 Prozent.[5] Am häufigsten steht nun eine Regierungspartei einer Allianz von drei Parteien gegenüber. Dasselbe gilt bei Abstimmungskampagnen, wo der Bundesrat inzwischen fast immer mit der Opposition einer Regierungspartei konfrontiert ist – meist der SP oder der SVP, manchmal auch von beiden.[6] Dass er selbst in diesem Kontext noch immer so viele Abstimmungen gewinnt, zeigt, dass die Sichtweisen von Bundesbehörden und Bevölkerung auch heute weitgehend übereinstimmen.[7]Nach wie vor vertraut somit eine Mehrheit der Bevölkerung dem Bundesrat und jenen Regierungsparteien, die im Parlament Mehrheiten bilden.

Dennoch ist nicht garantiert, dass das Umfeld für die Bundesbehörden auch in Zukunft so freundlich bleibt. Denn für Zweifel und Irritation in der Bevölkerung sorgten in letzter Zeit mehrere negative Ereignisse. Zum Beispiel die Fehlberechnungen des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) zur langfristigen Finanzierung der AHV oder, noch gravierender, die Unfähigkeit der Politik, die steigenden Gesundheitskosten einzudämmen. Zudem kann auch der Mangel an Leadership und Konsens im Bundesrat bei Schlüsselgeschäften wie dem EU-Dossier das vorhandene Vertrauen untergraben. Das könnte ihn bei der nächsten eidgenössischen Abstimmung zu diesem Thema teuer zu stehen kommen.

  1. Siehe Bauer, Freitag und Sciarini (2019) und OECD (2024). []
  2. Siehe u. a. Zoonpoliticon.ch oder Credit Suisse Sorgenbarometer 2023[]
  3. Siehe Sciarini (2024), S. 149–153. []
  4. Siehe die Website der Bundeskanzlei für eine Liste der angenommenen Volksinitiativen. []
  5. Siehe Sciarini (2024), S. 300. []
  6. Siehe Sciarini (2024), S. 236. []
  7. Siehe Sciarini und Tresh (2022). []

Literaturverzeichnis
  • Bauer, P. C., Freitag, M. und P. Sciarini (2019). Political Trust in Switzerland: Again a Special Case? J. Jedwab & J. Kincaid (Hrsg.). Identities, Trust, and Cohesion in Federal Systems: Public Perspectives (pp. 115–145). Montreal/Kingston: McGill-Queen’s University Press.
  • OECD (2024). OECD Survey on Drivers of Trust in Public Institutions 2024 Results – Country Notes: Switzerland. 10 July.
  • Sciarini, P. und A. Tresch (2022). Votations Populaires. Papadopoulos, Y. et al. (Hrsg.). Handbuch der Schweizer Politik (S. 559–591). Zürich: NZZ Libro.
  • Sciarini, P. (2024). Politique suisse. Institutions, acteurs, processus. Lausanne: epfl press (2e édition).

Bibliographie
  • Bauer, P. C., Freitag, M. und P. Sciarini (2019). Political Trust in Switzerland: Again a Special Case? J. Jedwab & J. Kincaid (Hrsg.). Identities, Trust, and Cohesion in Federal Systems: Public Perspectives (pp. 115–145). Montreal/Kingston: McGill-Queen’s University Press.
  • OECD (2024). OECD Survey on Drivers of Trust in Public Institutions 2024 Results – Country Notes: Switzerland. 10 July.
  • Sciarini, P. und A. Tresch (2022). Votations Populaires. Papadopoulos, Y. et al. (Hrsg.). Handbuch der Schweizer Politik (S. 559–591). Zürich: NZZ Libro.
  • Sciarini, P. (2024). Politique suisse. Institutions, acteurs, processus. Lausanne: epfl press (2e édition).

Zitiervorschlag: Sciarini, Pascal (2024). Volksabstimmung: Barometer des Vertrauens. Die Volkswirtschaft, 05. November.