Was führt dazu, dass die Bevölkerung den Staat anerkennt? Verlässliche, rechtsstaatliche Verfahren und hervorragende staatliche Leistungen. (Bild: Keystone)
In letzter Zeit haben die Medien über verschiedene Vorfälle behördlicher Fehlinformation berichtet, zuletzt etwa die vom Bundesamt für Statistik (BFS) zunächst falsch berechneten prozentualen Parteienstärken bei den Nationalratswahlen 2023. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) korrigierte 2024 die Zahlen zu den Finanzperspektiven der AHV. Der vermeintliche Wahlerfolg der FDP in der Stadt St. Gallen im September 2024 ist ein weiteres Beispiel. Diese Vorfälle mögen in letzter Zeit gehäuft auftreten, sie fügen sich aber ein in eine lange Reihe weiterer Fälle behördlicher Falschinformation: zum Beispiel die Aussagen zu den Auswirkungen der Unternehmenssteuerreform II oder zur Häufigkeit des Auftretens einer Heiratsstrafe, die 2008 respektive 2016 im Bundesbüchlein zur Information der Stimmbevölkerung verbreitet wurden. Deren Fehlerhaftigkeit wurde im Nachgang durch das Bundesgericht gerügt.
Wie Niklas Luhmann schon 1968 beschrieben hatte, spielt Vertrauen bei sozialen Interaktionen eine bedeutende Rolle.[1] Es reduziert die Komplexität von Handlungsentscheidungen, indem man darauf vertraut, dass sich das Gegenüber an bestimmte Regeln und Normen hält und allenfalls auch darauf verzichtet, sich einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen. Wie von Francis Fukuyama (1995) dargelegt, bildet Vertrauen auch einen wesentlichen Faktor für wirtschaftlichen Wohlstand. Blindes Vertrauen der Bevölkerung ist für eine Demokratie aber auch problematisch. Die partizipatorische Demokratietheorie betont deswegen auch: «A certain amount of rational distrust is necessary for political accountability in a participatory democracy.»[2]
Starkes gesellschaftliches und politisches Vertrauen in der Schweiz
Die Schweiz zeichnet sich – zusammen vornehmlich mit skandinavischen Staaten – durch ein im internationalen Vergleich starkes allgemeines gesellschaftliches Vertrauen aus. Abbildung 1 verdeutlicht, dass das Vertrauen in die politischen Institutionen massgeblich mit dem gesellschaftlichen Vertrauen zusammenhängt. Das Ausmass, in dem Personen das politische System und seine Agenten als vertrauenswürdig erachten, korreliert sehr stark mit dem Grad des bestehenden Vertrauens in andere Personen einer Gesellschaft.
Wie aus Abbildung 1 weiter hervorgeht, ist das Vertrauen in die politischen Institutionen in der Schweiz besonders stark, stärker als man dies allein aufgrund des gesellschaftlichen Vertrauens vermuten würde.[3] Die Vermutung liegt nahe, dass dies mit der Ausgestaltung des politischen Systems zusammenhängen könnte. Sind dafür die föderalistische Kleinteiligkeit der Schweiz, die zahlreichen Gelegenheiten zur politischen Mitwirkung namentlich mittels direktdemokratischer Instrumente, der verlässliche Rechtsstaat oder vielleicht auch die hervorragenden öffentlichen Dienstleistungen verantwortlich?
Das Vertrauen in die politischen Institutionen und die Legitimation des Staates stehen in einem engen Wechselverhältnis zueinander. Mit Legitimation wird dabei die Anerkennung einer Herrschaft als gut begründet und gerechtfertigt bezeichnet. Das Vertrauen in staatliche Institutionen kann als Voraussetzung für die Legitimation des Staates gesehen werden. Ebenso lässt sich argumentieren, dass die Legitimation staatlicher Institutionen die Grundlage für das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat bildet.
Abb. 1: Gesellschaftliches und politisches Vertrauen in europäischen Ländern ist positiv korreliert (2018)
INTERAKTIVE GRAFIK
Drei Legitimationstypen
Die politikwissenschaftliche Literatur unterscheidet drei Typen der Legitimation des Staates: die Input-orientierte Legitimation, die Prozess-orientierte Legitimation und die Output-orientierte Legitimation. Die Input-orientierte Legitimation beruht auf der Gewährleistung der demokratischen Mitwirkungsrechte und erhält in der Schweiz aufgrund ihrer direktdemokratischen Institutionen einen besonderen Stellenwert.
Die Prozess-orientierte Legitimation – auch Throughput-orientierte Legitimation – basiert massgeblich auf der Sicherung rechtsstaatlicher Verfahren bei politischen Entscheiden und bei der Politikimplementation. Dazu tragen rechtskonforme Verfahren und korruptionsfreie Vollzugsbehörden ebenso bei wie vertrauenswürdige Gerichte.
Und schliesslich drittens die Output-orientierte Legitimation, die der deutsche Politikwissenschaftler Fritz W. Scharpf angesichts der Demokratiedefizite der Europäischen Union in die Diskussion einbrachte[4]. Die Output-orientierte Legitimation ist etwa darin begründet, dass der Staat anerkannt wird, weil er von der Bevölkerung und der Wirtschaft geschätzte Angebote bereitstellt und gesellschaftliche Probleme löst. [5]
Daraus ergibt sich die Frage, inwiefern die drei Legitimationstypen für das in der Schweiz besonders starke Vertrauen in politische Institutionen verantwortlich sein können. Um dies zu klären, haben wir aufgrund von Befragungsdaten analysiert, wieweit das gesellschaftliche Vertrauen sowie die drei genannten Legitimationstypen mit dem politischen Vertrauen zusammenhängen. Dazu haben wir ein multivariates Regressionsmodell geschätzt. Der Beta-Koeffizient (β) zeigt die Stärke und die Richtung des Zusammenhangs einer unabhängigen Variable (z. B. die verschiedenen Legitimationstypen) mit der abhängigen Variable (politisches Vertrauen).
Abb. 2: Legitimationstypen sind massgeblich für das politische Vertrauen in der Schweiz (2020)
Politische Legitimation entscheidend
Abbildung 2 zeigt auf, wie stark die Zusammenhänge bei Schweizerinnen und Schweizern ausfallen: Während das allgemeine gesellschaftliche Vertrauen schon relevant ist, sind die drei Legitimationstypen von grösserer Bedeutung. Besonders stark zeigen sich dabei die Output- und die Throughput-orientierte Legitimation, etwas schwächer die Input-orientierte Legitimation.
Eine zusätzliche Analyse des gleichen Modells bei Personen ohne Schweizer Staatsbürgerschaft, die also selbst nicht an den demokratischen Entscheiden mitwirken können, bestätigt den Befund: Bei dieser Personengruppe spielt die Input-Legitimation keine signifikante Rolle, die beiden anderen Legitimationstypen hingegen schon. Das heisst, dass die Existenz von demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten allein nicht ausreicht, um die Input-Legitimation zu begründen, dafür ist auch ein persönliches Mitwirkungsrecht erforderlich.
Die hier vorgestellten Befunde sollten aber nicht als Nachweis für kausale Effekte aufgefasst werden, für einen robusten Nachweis der Kausalität sind weiter gehende Analysen erforderlich.
Zusammenfassend können wir festhalten, dass das Vertrauen in die politischen Institutionen in der Schweiz im internationalen Vergleich hoch ist. Dies lässt sich einerseits auf das generell hohe gesellschaftliche Vertrauen in der Schweiz zurückführen. Andererseits spielen dafür besonders auch die angenommene Rechtmässigkeit der staatlichen Verfahren (Throughput-Legitimation) sowie die wahrgenommene Leistungsfähigkeit des Staates (Output-Legitimation) eine wesentliche Rolle. Bei Schweizerinnen und Schweizern, die über die demokratischen Mitwirkungsrechte verfügen, wird das Vertrauen in die politischen Institutionen zusätzlich gestärkt (Input-Legitimation).
Literaturverzeichnis
- Barber, B. (1983). The Logic and Limits of Trust. New Brunswick: Rutgers University Press.
- Bauer, P. C., Freitag, M. und P. Sciarini (2018). Political Trust in Switzerland. Jedwab, J./Kincaid, J. (Hrsg.): Identities, Trust and Cohesion in Federal Systems. Kingston: Queen’s University, p. 115–145.
- European Social Survey European Research Infrastructure (ESS ERIC) (2023a). ESS9 – Integrated File, Edition 3.2 [Data set]. Sikt – Norwegian Agency for Shared Services in Education and Research.
- European Social Survey European Research Infrastructure (ESS ERIC) (2023b) ESS10 – Integrated File, Edition 3.2 [Data set]. Sikt – Norwegian Agency for Shared Services in Education and Research.
- Freitag, M. und A. Zumbrunn (2023). The Political Culture of Switzerland in Comparative Perspective. Emmenegger, P. et al. (Hrsg.): The Oxford Handbook of Swiss Politics. Oxford: Oxford University Press, pp. 50–72.
- Fukuyama, F. (1995). Trust: The Social Virtues and the Creation of Prosperity. New York: Free Press.
- Luhmann, N. (2015 [1968]). Vertrauen. Konstanz: UVK.
- Scharpf, F. W. (1999). Governing in Europe: Effective and Democratic? Oxford: Oxford University Press.
- Widmer, T. (2009). The Contribution of Evidence-based Policy to the Output-oriented Legitimacy of the State. Evidence & Policy 5(4): 351–372.
Bibliographie
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Zitiervorschlag: Widmer, Thomas; Ganzeboom, Madleina (2024). Wodurch legitimieren sich politische Institutionen in der Schweiz? Die Volkswirtschaft, 05. November.
Es wurde eine multivariate lineare Regression geschätzt mit den Daten des European Social Survey (ESS) aus dem Befragungsjahr 2020. Die Stichprobe besteht aus 1044 Schweizerinnen und Schweizern.
Der Input-Index besteht aus den Variablen
- psppipla («political system allows people to have influence on politics»),
- psppsgva («political system allows people to have a say in what government does») und
- stfdem («how satisfied with the way democracy works in country»).
Throughput-Legitimation basiert auf der Variable
- trstlgl («trust in the legal system»).
Der Output-Index bildet sich aus den Variablen
- stfedu («state of education in country nowadays»),
- stfhlth («state of health services in country nowadays»),
- stfgov («how satisfied with the national government»),
- aesfdrk («feeling of safety of walking alone in local area after dark») und
- gvctzpv («The government protects all citizens against poverty»).
Alle verwendeten numerischen Variablen wurden vor der Analyse z-standardisiert, was vergleichbare Koeffizienten gewährleistet. Als Kontrollvariablen wurden das Alter, das Geschlecht und der Bildungsstand verwendet.