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Die Schweiz zu Besuch im Reich der Mitte

Jüngst reiste Bundesrat Guy Parmelin mit einer Wirtschafts- und Wissenschaftsdelegation nach China. Er fügt sich damit ein in eine lange Reihe von bundesrätlichen Wirtschaftsmissionen. Ein Rückblick.
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Erste Wirtschaftsmission nach China: Bundesrat Pierre Graber wird 1974 bei seiner Ankunft in Peking vom chinesischen Aussenminister Chi Peng-Fei empfangen. (Bild: Keystone)

Wirtschaftsmissionen, insbesondere bundesrätliche, sind ein bewährtes Instrument der schweizerischen Aussenwirtschaftspolitik. Die erste nach China fand im Jahr 1974 statt. Damals, während des Besuchs von Bundesrat Pierre Graber, war China noch ein unbekannter Markt. 2010 reiste Bundesrätin Doris Leuthard erneut mit einer Wirtschaftsdelegation bestehend aus Schweizer Wirtschaftsvertretern ins Reich der Mitte (siehe Kasten). Ihr Ziel: die Verhandlungen über das bilaterale Freihandelsabkommen Schweiz – China aufgleisen.

Wegen der grossen finanziellen Stimuli in Form von Subventionen im Zuge der globalen Finanzkrise von 2008/09 zeigten sich die Unternehmen aus der Schweiz im Jahr 2010 sehr zuversichtlich. Es lockten sie der grosse chinesische Markt mit seinen zunehmend kaufkräftigen Konsumentinnen und Konsumenten und die Möglichkeit, günstig mit guter (oder zumindest befriedigender) Qualität zu produzieren. Unternehmen, die in oder mit China wirtschafteten oder dies zu tun gedachten, waren sich allerdings auch der Herausforderungen bewusst: Die technischen Handelshemmnisse und die ausgebaute Bürokratie in China verursachen hohe Kosten. Zudem war der Markenschutz nur schwach, und Produktpiraterie wurde kaum verfolgt.

Shanghai-Besuch gehört zum Pflichtprogramm

Solche Wirtschaftsmissionen dienen meist zwei Zwecken: den Kontakt mit der Regierung herstellen und den Austausch mit Wirtschaftsvertretern vor Ort fördern. Folglich sind solche Missionen auch schon stark vorgespurt. Zum Pflichtprogramm gehören jeweils ein Besuch in der Hauptstadt Peking, ebenso ein Besuch in Shanghai, wo die meisten Schweizer Unternehmen aktiv sind. Falls sich überhaupt genügend Zeit in den vollen magistralen Kalendern findet, stellt sich die Frage nach einer dritten Destination. Bei Bundespräsidentin Leuthard 2010 führte die Reise ins südwestchinesische Chongqing, um sich ein Bild von den Plänen zur Entwicklung des Binnenlands zu verschaffen, bei Bundesrat Johann Schneider-Ammann 2012 in die südostchinesische Küstenstadt Xiamen. Dort stand die Rolle der Häfen für die chinesische Wirtschaft im Vordergrund.

Die wenigen sitzungsfreien Wochen unserer Landesregierung geben die Zeitfenster für solche längeren Reisen vor. Dabei ist die erste Juliwoche nach der Bundesratsreise beliebt und ideal – und an der chinesischen Ostküste feuchtheiss. Dennoch trotzten 2012 über zwanzig Wirtschaftsvertreter der Gefahr, sich zwischen schwitziger Hitze und tiefgekühlten Sitzungsräumen zu erkälten. Diese Mission diente auch dazu, die Stärke der Schweizer Wirtschaft zu demonstrieren und so die damals laufenden Verhandlungen für das Freihandelsabkommen zu unterstützen.

Freihandelsabkommen unter Dach und Fach

Nach neun Verhandlungsrunden, die abwechselnd in der Schweiz und in China stattfanden, konnte das Abkommen im Frühling 2013 abgeschlossen werden. Da China kurz davor auch mit Island eine Einigung fand, verhalf dies China zu einem Doppelschlag. Dabei ist es müssig, zu spekulieren, ob aussenwirtschaftspolitische oder doch eher geopolitische Interessen den Ausschlag gegeben haben.

Die Unterzeichnung des inhalts- und mit fast 15 Kilogramm auch gewichtsmässig schweren Produkts war so bedeutend, dass fast dreissig Personen aus der Wirtschaft eigens für die Zeremonie am 6. Juli 2013 nach Peking reisten und so ihre Unterstützung kundtaten. Das Inkrafttreten des Abkommens am 1. Juli 2014 stützte den Optimismus der Schweizer Wirtschaft. Auch dank der guten Kontakte aus den Verhandlungen konnten anfängliche Schwierigkeiten überwunden werden. Der schrittweise Abbau vieler chinesischer Zölle über die folgenden Jahre machte zudem die Nutzung des Abkommens immer attraktiver, sofern die Einfuhrverfahren effizient blieben.

Allerdings sahen sich gewisse Branchen wie die Medizinaltechnik auch mit Forderungen nach lokaler Fertigung konfrontiert. Dies war eine Bedingung Chinas, damit sich die Schweizer Firmen im öffentlichen Beschaffungswesen um Aufträge bewerben konnten. Andere Firmen etwa aus der Elektronikbranche hatten und haben mit neuen technischen Zulassungshürden und damit höheren Kosten zu kämpfen, während das Abkommen gleichzeitig die Kosten an der Grenze senkte. China kann weiterhin auf Basis seiner Industriepolitik bei den Produkten, für die das Freihandelsabkommen bislang keine Konzessionen bietet, unilateral und ohne lange Übergangsfristen Zölle aufheben oder wieder einführen. Letzteres traf einige Hersteller von Maschinen unvorbereitet.

Vertrauen in China – trotz Krisen

Gleichzeitig schwächt sich das Wachstum der chinesischen Wirtschaft zunehmend ab. Während gerade die Nahrungsmittel- und die Luxusgüterindustrie der Schweiz von einer zunehmend wohlhabenden, städtischen Mittelschicht profitieren konnten, vermag der Privatkonsum gesamtwirtschaftlich nicht in dem Masse das Wirtschaftswachstum zu stützen, wie dies bisher die auslaufenden Subventionen aus der Finanzkrise getan haben. Zudem begann die demografische Alterung Chinas, die wirtschaftlichen Prognosen zu trüben.

Auch Bundespräsident Johann Schneider-Ammann reiste 2016 nach China. 2019 tat ihm dies Bundespräsident Ueli Maurer anlässlich des Belt-and-Road-Forums gleich. Beide liessen sich dabei von Wirtschaftsdelegationen begleiten. Solche höchstrangigen Besuche ermöglichen den Schweizer Firmen Treffen, die ein einfacher Ministerbesuch nicht bieten kann.

Die wachsenden geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China sowie das selbstbewusste Auftreten Chinas und dessen Wahrnehmung im Westen wirken sich auf Handel und Investitionen aus. Hinzu kommt die Erfahrung der Pandemiejahre. Zunächst galt China als positives Beispiel der Eindämmung, das einem grossen Teil der Bevölkerung vergleichsweise viel Freiheiten liess. Doch dann führten vor allem der Lockdown in Shanghai und schliesslich die unvermittelte Öffnung zu einem Vertrauensverlust, der sich mit der immer weitere Kreise ziehenden Immobilienkrise akzentuiert.

Mitte Juli 2024 wurden am sogenannten 3. Plenum, das sich innerhalb der Fünfjahrespläne jeweils mit Wirtschaftsfragen befasst, Gegenmassnahmen angekündigt. Ob weitere Massnahmen wie die im Herbst angekündigten zur Umschuldung von lokalen Regierungen zu einer Verbesserung der Wirtschaftslage und damit neuem Vertrauen führen werden, muss sich aber erst zeigen.

Zehnjähriges Freihandelsabkommen optimieren

Anfang Juli 2024 hat nun auch Bundesrat Guy Parmelin eine Wirtschafts- und Wissenschaftsmission nach China geführt. Diese diente in erster Linie dazu, den persönlichen Kontakt mit der chinesischen Regierung wiederaufzunehmen, der unter der Pandemiepause etwas gelitten hatte. Neben der Feier von zehn Jahren Freihandelsabkommen bot die Reise auch den Vertreterinnen und Vertretern der Schweizer Wirtschaft die Möglichkeit, sich direkt an den chinesischen Handelsminister zu wenden. Unterdessen wurden zudem Verhandlungen zur Optimierung lanciert. Diese beinhalten den Marktzugang für Schweizer Produkte, Direktinvestitionen sowie stärkere Bestimmungen im Arbeits- und Umweltbereich.

Dabei zeigten sich die Wirtschaftsvertreter erstaunlich gelassen. Denn viele Herausforderungen sind dieselben wie vor zehn oder fünfzehn Jahren geblieben: namentlich die häufig vage, aber potenziell einschneidende und wenig voraussehbare Regulierung in China. Auch im diesjährigen «Swiss Business in China Survey»[1], der die Situation von Schweizer Firmen in China analysiert, sehen die Befragten mit Vertrauen in die Zukunft. Auch wenn sie neben geopolitischen Risiken vor allem die erstarkte chinesische Konkurrenz ernst nehmen: Die Schweizer Unternehmen sind noch immer von Kopf bis Fuss auf Handel mit China eingestellt.

  1. Casas, Tomas, Xiao, Zhen und Musy, Nicolas (2024). The Swiss Business in China Survey 2024, 2. Oktober. []

Zitiervorschlag: Rosenberger, Felix (2024). Die Schweiz zu Besuch im Reich der Mitte. Die Volkswirtschaft, 03. Dezember.

Schweizer Wirtschaftsmissionen nach China seit 2000
September 2000 Präsidialbesuch von Bundespräsident Adolf Ogi mit Wirtschaftsdelegation
November 2003 Präsidialbesuch von Bundespräsident Pascal Couchepin mit Wirtschaftsdelegation
Juli 2005 Wirtschaftsmission von Bundesrat Josef Deiss
Juli 2007 Wirtschaftsmission von Bundesrätin Doris Leuthand
August 2010 Präsidialbesuch von Bundespräsidentin Doris Leuthard mit Wirtschaftsdelegation
Juli 2012 Wirtschaftsmission von Bundesrat Johann Schneider-Ammann
Juli 2013 Unterzeichnung des Freihandelsabkommens durch Bundesrat Johann Schneider-Ammann mit Wirtschaftsdelegation
April 2016 Präsidialbesuch von Bundespräsident Johann Schneider-Ammann mit Wirtschaftsdelegation
September 2018 Wirtschafts- und Wissenschaftsmission von Bundesrat Johann Schneider-Ammann
April 2019 Präsidialbesuch von Bundespräsident Ueli Maurer mit Wirtschafts- und Finanzdelegationen
Juli 2024 Wirtschafts- und Wissenschaftsmission von Bundesrat Guy Parmelin

Daneben gab es Wirtschaftsmissionen auf Stufe Staatssekretäre und Staatssekretärinnen sowie eine Vielzahl bilateraler Besuche in China ohne Beteiligung der Privatwirtschaft.