Energiewende: Ein Index misst die wirtschaftlichen Auswirkungen
Klimapolitische Massnahmen können für Unternehmen Transitionsrisiken mit sich bringen. Im Hintergrund die 17 UNO-Nachhaltigkeitsziele am Weltklimagipfel 2024 in Aserbaidschan. (Bild: Keystone)
Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung mit substanziellen Auswirkungen auf die Wirtschaft. Bis 2050 könnten die wirtschaftlichen Kosten der globalen Erwärmung auf 15 Prozent des globalen BIP steigen. Zu dieser Einschätzung kommt das Network for Greening the Financial System (NGFS) – eine renommierte Stelle für ökonomische Analysen über Klimarisiken – in einem Bericht von November 2024. Hinzu kommen die Kosten, die bereits durch die extremen Wetterereignisse der letzten 40 Jahre verursacht wurden. In Europa belaufen sich diese finanziellen Einbussen gemäss Schätzungen auf über 487 Milliarden Euro.
Verschiedene Länder weltweit wollen deshalb mit ihrer Klimapolitik den Ausstoss von Treibhausgasen reduzieren und so die Erderwärmung eindämmen. In Europa beispielsweise ist seit der Einführung eines Emissionshandelssystems der Ausstoss in den beteiligten Sektoren um 47 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig können diese Massnahmen auch zu Transitionsrisiken für die globale Wirtschaft führen, die noch weitgehend von fossilen Brennstoffen abhängig ist. Solche Transitionsrisiken bezeichnen die Kosten, um die Wirtschaft zu dekarbonisieren. Verursacht werden diese Kosten durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Klimapolitik (z. B. CO2-Abgaben), die Einführung neuer Technologien in Unternehmen sowie Veränderungen im Konsumverhalten. Überdies können Vermögenswerte, die von fossilen Brennstoffen abhängig sind, stark an Wert verlieren. Man spricht dann von sogenannten gestrandeten Vermögenswerten oder Stranded Assets.
Da fast 80 Prozent der weltweit verbrauchten Energie nach wie vor aus fossilen Quellen stammen, erfordert die grüne Wende eine tiefgreifende Transformation von Sektoren, die für das reibungslose Funktionieren der Wirtschaft zentral sind. Dazu gehören insbesondere Energie, Industrie und Verkehr. Voraussetzung dafür ist somit eine rasch umzusetzende industrielle und technologische Revolution, damit die globale Erwärmung und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Kosten nicht aus dem Ruder laufen.
Wer die wirtschaftlichen Auswirkungen der ökologischen Transition möglichst treffend antizipieren will, muss die Transitionsrisiken messen können. Genau dies ermöglicht ein neuer Index, der auf der Auswertung von Millionen von Presseartikeln basiert, die in der Schweiz veröffentlicht wurden. Er misst die Entwicklung der wirtschaftlichen und finanziellen Risiken im Zusammenhang mit der Klimapolitik in Echtzeit.[1] Die Ergebnisse dieser Studie wurden im «Swiss Journal of Economics and Statistics» veröffentlicht (siehe Kasten).
Echtzeitmessung von Transitionsrisiken
Dieses innovative Tool registriert laufend, wie viel Aufmerksamkeit die Medien bestimmten Klimarisiken schenken, und ermöglicht so eine systematische Beurteilung der wirtschaftlichen Folgen. So lässt sich beispielsweise abschätzen, wie sich eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass eine Klimapolitik verabschiedet wird, auf die Wirtschaft und die Märkte auswirkt. Zwischen 2000 und 2022 verzeichnete der Index die höchste mediale Aufmerksamkeit anlässlich der Unterzeichnung des Übereinkommens von Paris im Jahr 2015 oder der «grünen Welle» bei den nationalen Parlamentswahlen von 2019 in der Schweiz, als die ökologischen Parteien im Aufwind waren. Der Index zeigt auch ein deutlich höheres Medieninteresse für Klimafragen ab 2018. Das dürfte eine grössere Sensibilisierung der Bevölkerung für das Thema widerspiegeln (siehe Abbildung 1).
Abb. 1: Das Interesse der Medien an Klimafragen hat seit 2018 zugenommen
INTERAKTIVE GRAFIK
Konjunkturverlangsamung als Preis für weniger CO2
Der Studie zeigt: Wenn das Transitionsrisiko zunimmt – zum Beispiel aufgrund der Erwartung, dass neue Klimamassnahmen eingeführt werden –, folgt in der Regel ein Rückgang der CO2-Emissionen von börsenkotierten Schweizer Unternehmen. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Unternehmen ihre Verfahren anpassen, wenn sie entsprechende Klimamassnahmen antizipieren (siehe Abbildung 2). Zur Bestätigung dieser Hypothese müsste allerdings geprüft werden, ob die Unternehmen ihre CO2-Emissionen tatsächlich reduziert oder lediglich in andere Länder verlagert haben («Carbon Leakage»).
Abb. 2: Der CO2-Ausstoss der Unternehmen geht tendenziell zurück, wenn neue Klimamassnahmen zu erwarten sind
Die Studie weist auch darauf hin, dass ein ansteigendes Transitionsrisiko mit einer Konjunkturabkühlung einhergehen kann. Ein Grund dafür ist, dass Unternehmen ihre Produktionsprozesse umstellen müssen, wenn sie ihre Emissionen reduzieren und so die finanziellen Auswirkungen einer CO2-Steuer mildern wollen. Das verursacht Mehrkosten und kann die Produktion kurzfristig belasten. Die Studie zeigt jedoch, dass diese wirtschaftliche Verlangsamung in der Schweiz mit durchschnittlich rund –0,1 Prozent relativ gering ist. Dieses Ergebnis deckt sich mit anderen aktuellen Studien. Diese schätzen, dass ein durchschnittlicher Anstieg des CO2-Preises in Europa einen BIP-Rückgang von –0,2 bis –0,4 Prozent nach sich zieht.[2]
Volatile Finanzmärkte
Für eine effiziente Ressourcenallokation an den Finanzmärkten ist es zentral, dass die Preise von Vermögenswerten die tatsächlichen Klimarisiken widerspiegeln. Theoretisch könnte die Einführung einer sehr strengen Klimapolitik dazu führen, dass Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf der Nutzung fossiler Brennstoffe beruht, schlagartig neu bewertet werden. Diese Volatilität könnte sich negativ auf die Finanzstabilität auswirken, vor allem wenn die Klimarisiken vom Markt zuvor unterschätzt wurden.
Die Studie kommt jedoch zum Schluss, dass die Anleger bei der Bewertung der börsenkotierten Schweizer Unternehmen zunehmend auch Klimafragen einbeziehen: Nach der Ankündigung einer verschärften Klimapolitik schneiden die Aktien von Unternehmen mit geringem CO2-Ausstoss tendenziell besser ab als Aktien von CO2-intensiven Unternehmen. Der Performanceunterschied beträgt über einen Zeithorizont von zwölf Monaten durchschnittlich 3 Prozent. Es ist jedoch schwer zu beurteilen, ob die Klimarisiken damit realistisch bewertet sind.
Die Energiewende ist notwendig, sie erfordert jedoch einen tiefgreifenden wirtschaflichen Wandel. Dieser Prozess birgt Risiken. Für eine wirksame und ausgewogene Politik ist es daher zentral, diese Risiken richtig einzuschätzen und zu antizipieren.
Auch den Finanzmärkten kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Wenn sie eine effektive Ressourcenallokation sicherstellen und eine übermässige Volatilität an den Finanzmärkten vermeiden sollen, sind sie jedoch auf aussagekräftige Informationen angewiesen. Da die Risiken einer Einführung neuer Klimamassnahmen künftig zunehmen könnten, dürften die Anleger in den nächsten Jahren vermehrt auch ökologische Überlegungen in ihre Entscheide mit einbeziehen.
Literaturverzeichnis
- Berthold, B. (2024). The Macro-Financial Effects of Climate Policy Risk: Evidence from Switzerland. Swiss Journal of Economics and Statistics, 160(1), 6.
- Berthold, B., A. Cesa-Bianchi, F. Di Pace und A. Haberis (2023). The Heterogeneous Effects of Carbon Pricing: Macro and Micro Evidence. Staff Working Paper No. 1076.
- Känzig, D. R. (2023). The Unequal Economic Consequences of Carbon Pricing (No. w31221). National Bureau of Economic Research.
Bibliographie
- Berthold, B. (2024). The Macro-Financial Effects of Climate Policy Risk: Evidence from Switzerland. Swiss Journal of Economics and Statistics, 160(1), 6.
- Berthold, B., A. Cesa-Bianchi, F. Di Pace und A. Haberis (2023). The Heterogeneous Effects of Carbon Pricing: Macro and Micro Evidence. Staff Working Paper No. 1076.
- Känzig, D. R. (2023). The Unequal Economic Consequences of Carbon Pricing (No. w31221). National Bureau of Economic Research.
Zitiervorschlag: Berthold, Brendan (2024). Energiewende: Ein Index misst die wirtschaftlichen Auswirkungen. Die Volkswirtschaft, 27. Dezember.
Aktuelle Studien aus dem «Swiss Journal of Economics and Statistics» mit engem Bezug zur Schweizer Wirtschaftspolitik erscheinen in gekürzter Form in «Die Volkswirtschaft».