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EU-Agrarpolitik: Zwischen Nachhaltigkeit und Ernährungssicherheit

Mit der revidierten Gemeinsamen Agrarpolitik, die 2023 in Kraft getreten ist, hat die Europäische Union hohe Ambitionen in Sachen Nachhaltigkeit gezeigt. Im Jahr 2024 wurden die Bereiche Ernährungssicherheit, faire Einkommen und administrative Vereinfachung neu bewertet. Ein Überblick über die Ausrichtung und die Entwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik.
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Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU soll nachhaltiger werden und damit auch das Ernährungssystem als Ganzes. Salaternte in Deutschland. (Bild: Keystone)

Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) wurde 1957 durch den Vertrag von Rom initiiert und 1962 von den sechs Gründerstaaten der EU verabschiedet[1]. Anfang 2025 feiert sie ihren 63. Geburtstag und ist damit einer der ältesten Politikbereiche der EU. Doch trotz ihrs hohen Alters hat die GAP nicht an Aktualität verloren – im Gegenteil!

Denn zum einen sind die ursprünglich formulierten allgemeinen Ziele nach wir vor dieselben: die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern, angemessene Lebenshaltung für die landwirtschaftliche Bevölkerung zu gewährleisten, die Märkte zu stabilisieren, die Versorgung sicherzustellen und die Verbraucher zu angemessenen Preisen zu beliefern. Andererseits gibt es immer wieder neue Herausforderungen, denen sich auch die EU kontinuierlich anpasst. Ein Beispiel dafür ist die letzte grosse Reform in diesem Bereich, die laufende GAP 2023–27.

Nachhaltige Agrarpolitik

Die neue GAP trat nach einer zweijährigen Übergangsphase am 1. Januar 2023 in Kraft. Ausgangspunkt war eine Vorlage der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2018, gefolgt von einer vorläufigen politischen Einigung zwischen dem Rat der EU und dem Europäischen Parlament im Jahr 2021. Ein zentrales Element war der Wille nach Veränderung. Die Kommission sprach vom «Beginn eines Paradigmenwechsels in der Art und Weise, wie wir in Europa Landwirtschaft betreiben»[2].

Damit wurde die Agrarpolitik neu ausgerichtet. Ziel der EU war es, die GAP 2023–27 nachhaltiger zu gestalten, um die Umsetzung des European Green Deal, der Strategie «Vom Hof auf den Tisch» (Farm to Fork, F2F) und der «Biodiversitätsstrategie für 2030» voranzutreiben. Diese Dokumente wurden in den Jahren 2019 und 2020 erarbeitet. Mit der F2F sollte das Ernährungssystem der EU so angepasst werden, dass es «fair, gesund und umweltfreundlich» ist. Mit ganzheitlichen Ansätzen traf die Strategie den Zeitgeist. Zehn gemeinsam festgelegte Ziele sollten die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Wirtschaft, Soziales und Umwelt – abdecken und die Grundlage für die GAP bilden (siehe Abbildung).

Die zehn Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU

Quelle: Europäische Kommission / Die Volkswirtschaft

Ehrgeizige Ziele und stärkere Mechanismen

Konkrete technische Referenzwerte wurden festgelegt: Die EU strebte unter anderem an, mindestens 25 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ökologisch zu bewirtschaften, den Einsatz und die Risiken von Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent zu reduzieren und die Nährstoffverluste um 50 Prozent zu verringern. Die F2F umfasste ausserdem einen Aktionsplan mit 23 Massnahmen, die über die GAP hinausgingen. Deren Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion waren unbestritten. Daraus resultierten Vorschläge in den Bereichen Entwaldung, Wiederherstellung der Natur, neue genomische Techniken, Pflanzenschutzmittel sowie CO2– und Industrieemissionen (einschliesslich Tierhaltung).

Im Sinne dieser grünen Perspektive hatte die EU ihre Konditionalitätsanforderungen verschärft, die den Erhalt von GAP-Geldern an die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards knüpfen. Im EU-Jargon werden sie als «Standards für den guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand» (GLÖZ) bezeichnet. Über diese Grundanforderungen hinaus wurden auch sogenannte Öko-Regelungen eingeführt: Freiwillige Programme zur Förderung von landwirtschaftlichen Methoden, die zum Klima-, Umwelt- oder Tierschutz oder zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen beitragen.

Ende 2021 freuten sich die beiden gesetzgebenden Instanzen wiederum über ihre fortschrittliche neue Politik. Der Rat erhoffte sich von der GAP 2023–27 «eine fairere und nachhaltigere Zukunft für die Landwirtinnen und Landwirte»[3]. Für das Parlament war sie eine Gelegenheit, «zu einer ökologisch ehrgeizigen, sozial verantwortungsbewussten Agrarpolitik»[4] voranzukommen.

Ernährungssicherheit und Forderungen der Landwirtschaft

Vor dem Hintergrund globaler Krisen wie der Covid-19-Pandemie, der Inflation und des Ukraine-Konflikts rückten die Themen Ernährungssicherheit, Produktion und Versorgung jedoch schnell wieder in den Vordergrund. Gleichzeitig wuchs die Unzufriedenheit der Landwirtinnen und Landwirte, die ein faires Einkommen und eine Reduktion des administrativen Aufwands forderten. Ihre Proteste erreichten in der ersten Jahreshälfte 2024 Brüssel.

Die EU reagierte umgehend: Sie gewährte Ausnahmen und Befreiungen bei den GLÖZ-Standards, insbesondere bei den Vorschriften zu Boden, Fruchtfolge und Brachflächen. Die Kommission zog ihren Vorschlag zum nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zurück. Die wirtschaftliche Position der Landwirtinnen und Landwirte wurde gestärkt, insbesondere durch die Einrichtung einer Beobachtungsstelle für die Agrar- und Lebensmittelkette der EU. Parallel dazu fand ein strategischer Dialog zur Zukunft der Landwirtschaft statt. Rund 30 Stakeholder aus dem Agrar- und Lebensmittelsektor nahmen daran teil. Ende Sommer gingen daraus Empfehlungen hervor.

Im September 2024 kam der Europäische Rechnungshof in einem Sonderbericht zu dem Schluss, dass es aufgrund der festgelegten Ziele und Indikatoren schwierig sein wird, «die Erfolge der GAP im Zeitraum 2023–2027 nachzuweisen»[5]. Im Oktober veröffentlichte die ungarische Ratspräsidentschaft Schlussfolgerungen für eine bäuerlich geprägte GAP nach 2027. Schliesslich kündigte die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an, in den ersten 100 Tagen ihrer zweiten Amtszeit eine Vision für Landwirtschaft und Ernährung vorzulegen.

In der zweiten Jahreshälfte 2024 zeichnet sich bereits die nächste Etappe der GAP ab. Sie besteht in der anspruchsvollen Aufgabe, die Politik nach 2027 zu gestalten. Diese muss den aktuellen und künftigen Herausforderungen Rechnung tragen. Vor allem aber muss es gelingen, den Erwartungen der verschiedenen Stakeholder gerecht zu werden. Die GAP bleibt damit spannend.

  1. Die sechs Gründungsländer sind Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg. Siehe Kasten für mehr Informationen zur GAP. []
  2. Siehe Europäische Kommission (2021). []
  3. Siehe Rat der EU (2021). []
  4. Siehe Europäisches Parlament (2021). []
  5. Siehe Europäischer Rechnungshof (2024). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Sapin, Michaël (2024). EU-Agrarpolitik: Zwischen Nachhaltigkeit und Ernährungssicherheit. Die Volkswirtschaft, 10. Dezember.

Funktionsweise und Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP)

Die Zuständigkeiten für die Agrarpolitik sind zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten aufgeteilt. Seit der Reform von 2023 muss jeder Mitgliedsstaat einen nationalen Strategieplan erstellen, in dem er auf der Grundlage einer Bedarfsanalyse die Massnahmen zur Erreichung der GAP-Ziele festlegt und Indikatoren definiert.

Die GAP ist in zwei Fonds für drei Massnahmenkategorien unterteilt. Der Europäische Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL), allgemein als «erste Säule» bezeichnet, beinhaltet die Einkommensstützunga und die Marktstützung. Der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), auch «zweite Säule» genannt, deckt die ländliche Entwicklung ab.

Die GAP macht etwa ein Drittel des gesamten EU-Budgets aus. Im Zeitraum 2021–27 werden rund 387 Milliarden Euro in die GAP fliessen: 291 Milliarden Euro in die erste Säule – davon 270 Milliarden Euro für die Einkommensstützung und 21 Milliarden Euro für die Marktstützung – und 96 Milliarden Euro in die zweite Säule.

a Die berühmten Direktzahlungen, die heute überwiegend entkoppelt sind.