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Kollaboration in der Bauwirtschaft ist schwierig

Für eine nachhaltige Bauindustrie braucht es Lösungen entlang der ganzen Lieferkette und damit Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Firmen. Doch wie die «kollaborative Trägheit» überwinden? Ein Projekt aus der Bauwirtschaft machts vor.
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Sind besonders kreislauffähig: Stahlträger können ausgebaut und oft direkt in neue Bauten integriert werden. (Bild: Keystone)

Wiederverwenden und recyceln statt wegwerfen: In Zeiten von Ressourcenknappheit, Klimawandel und dem zunehmenden Verlust von Biodiversität sind zirkuläre Lieferketten zentral. Doch der Übergang von einer linearen zu einer Kreislaufwirtschaft ist komplex. Denn lange bestehende Logiken und Prozesse müssen neu gedacht werden. So sind beispielsweise in einer Kreislaufwirtschaft einzelne Unternehmen nicht mehr nur auf ein Glied innerhalb der Lieferkette fokussiert – sondern müssen die ganze Produktion eines Guts mitdenken. Dabei müssen sie unweigerlich mit anderen Unternehmen kooperieren. Ein Beispiel, wie das gelingen kann, sind sogenannte interorganisationale Kollaborationen.

Ein derartiger Versuch wurde auch in der Schweizer Bauindustrie gestartet. Der Bau und der Betrieb von Gebäuden sind für rund 30 Prozent der schweizweiten CO2-Emissionen und für über 80 Prozent des Abfallaufkommens verantwortlich, und die Industrie gerät zunehmend unter Druck, zirkuläre Lieferketten aufzubauen.[1] Allerdings haben aktuell nur 8 Prozent der Unternehmen, die in der Baubranche tätig sind, Zirkularität in ihrem Geschäftsmodell verankert.[2] In einem Projekt, das der Verband für nachhaltiges Wirtschaften (Öbu) 2021 ins Leben gerufen hat, kooperieren verschiedenste Akteure der Bauindustrie, um dies zu ändern. Darunter Architektur- und Bauingenieurbüros, Rückbauunternehmen, Prüfstellen und Stahlbauer. Ihr Ziel: eine kreislauffähige Lieferkette für die Wiederverwendung verschiedenster Bauprodukte wie Stahl, Beton oder Holz.

Kollaboration als Chance

Es gibt drei zentrale Gründe, warum Organisationen zusammenarbeiten müssen, um zirkuläre Lieferketten in der Industrie aufzubauen.[3] Erstens erfordern die komplexen und weitreichenden Probleme der Nachhaltigkeit systemische Veränderungen. Diese können einzelne Akteure nicht allein bestreiten. Daher müssen sie sich zusammenschliessen, um gemeinsam einen wirksamen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.

Zweitens ermöglichen Kollaborationen, dass Kompetenzen und Wissen gebündelt werden. Nur so werden umsetzbare Kreislaufkonzepte möglich. In der Schweizer Bauindustrie zum Beispiel sind Kompetenzen und Wissen auf zahlreiche Akteure verteilt: Immobilieneigentümer, Rückbauer, Architekten, Produzentinnen unterschiedlicher Baumaterialien, Logistikunternehmen oder Zertifizierer. Es gibt keinen einzelnen Akteur, der ausreichend Informationen darüber hat, wie man Bauprodukte, die sich zur Wiederverwendung eignen, identifiziert, zurückbaut, wieder aufbereitet, zertifiziert, transportiert und weiterverkauft. Daher ist es entscheidend, dass Akteure, die bisher in linearen Lieferketten die Aufgaben aufgeteilt haben, ihr komplementäres Wissen zusammenführen und damit eine zirkuläre Lieferkette gestalten.

Und drittens ermöglichen solche Kollaborationen, dass auch finanzielle Ressourcen und Risiken geteilt werden. Denn die Transformation von linearen hin zu zirkulären Geschäftsmodellen erfordert meist hohe Investitionskosten. Diese können vor allem kleine Unternehmen nicht aus eigener Kraft tragen, insbesondere wenn sich die Investitionen erst nach längerer Zeit auszahlen.[4]

Risiken ernst nehmen

Doch obwohl solche Kollaborationen für einen Wandel nötig wären, ist es schwierig, Unternehmen für die Zusammenarbeit zu motivieren.[5] Ein Grund dafür ist, dass Firmen das Risiko von zirkulären Geschäftsmodellen oft höher einschätzen als die Chancen. Das gilt vor allem in Branchen wie der Bauindustrie, wo der Kosten- und Wettbewerbsdruck schon in der heutigen linearen Wirtschaft sehr hoch ist. So fürchten beispielsweise bei der Wiederverwendung von Baumaterialien viele Unternehmen Zusatzkosten wegen der notwendigen Aufbereitung und Requalifizierung von gebrauchten Baumaterialien.[6] Hinzu kommt, dass viele Unternehmen Informationen über potenzielle neue Geschäftsmodelle nicht offenlegen möchten, um Wettbewerbsvorteile zu sichern.

Und schliesslich scheitern interorganisationale Kollaborationen oft an den vielen sehr unterschiedlichen Akteuren. Einerseits sind diese zwar notwendig, damit verschiedene Wissensbereiche und Kompetenzen zusammenkommen. Andererseits führen die unterschiedlichen Interessen aber oft auch dazu, dass die Formulierung einer gemeinsamen Vision scheitert, welche für eine effektive und abgestimmte Zusammenarbeit Voraussetzung wäre. Denn die Angleichung von so unterschiedlichen Perspektiven und Interessen ist zeitintensiv und teilweise nicht möglich. Diese sogenannte kollaborative Trägheit ist ein Hauptgrund, weshalb der systemische Wandel, der eigentlich so dringend erforderlich wäre, nur so langsam vorankommt.

Teilprojekte sind sinnvoll

Es gibt jedoch auch Möglichkeiten, diesen Problemen zu begegnen.[7] Zum einen kann man Unternehmen zur Teilnahme motivieren, indem man ihnen rentable zirkuläre Geschäftsmodelle vorstellt und ihnen so die Mitgestaltung der zirkulären Lieferkette als Chance unterbreitet. Ein Beispiel für ein rentables Projekt in der Bauindustrie ist etwa das Rückbauunternehmen Eberhard. Die Bauabfälle, die das Unternehmen beim Abbau gewinnt, werden nicht einfach entsorgt, sondern wenn möglich recycelt oder wiederverwendet.[8] Damit kann das Unternehmen nicht nur die Umwelt durch geringere Abfallmengen entlasten, sondern sich zusätzlich einen besseren Zugang zu Baustoffen sichern.

Bleibt das Problem, dass sich viele Unternehmen davor scheuen, Geschäftsgeheimnisse offenzulegen. Hier ist eine gängige Praxis, sogenannte Geheimhaltungsvereinbarungen aufzusetzen. Zum Teil ist dies sogar gesetzlich vorgeschrieben, um sicherzustellen, dass Wettbewerber sich an das Kartellrecht halten; beispielsweise wenn konkurrierende Bauunternehmen für ein Grossprojekt wie den Gotthard-Basistunnel ein Konsortium bilden, um Aufgaben und Risiken zu teilen. Sie verhindern damit, dass technische und finanzielle Projektdetails ausserhalb des Konsortiums geteilt werden und die Unternehmen Absprachen über zukünftige Preise treffen. Eine andere Möglichkeit ist, dass man für die Kollaboration nicht konkurrierende Unternehmen auswählt, sondern eher Unternehmen, die komplementäre Schritte entlang der Lieferkette übernehmen.

Um die vielen unterschiedlichen Interessen der Akteure in den Griff zu bekommen, kann man Kollaborationen zudem in Teilprojekte unterteilen. Beim Öbu-Projekt wurden etwa Arbeitsgruppen gegründet, die sich mit spezifischen Herausforderungen befassen. Eine Gruppe arbeitet zum Beispiel mit dem Umsetzungspartner GS1 an der Digitalisierung von Produktdaten. Das Ziel dabei ist ein sogenannter digitaler Produktepass, der alle Produktinformationen entlang der gesamten Lieferkette enthält: beispielsweise die Inhaltsstoffe der Baumaterialien oder die bisherigen Einsatzorte. So liefert der Pass entscheidende Hinweise, ob ein Produkt wiederverwendet werden kann. Lösungen aus solchen Teilprojekten werden dann wiederum mit den Teilnehmern des Gesamtprojekts geteilt.

Fortschritte bei Stahlträgern

Ausserdem kann kollektiver Trägheit begegnet werden, indem man mit weniger komplexen Produkten startet. So hat das Öbu-Projekt zum Beispiel damit begonnen, sich mit der Wiederverwendung von Stahlträgern zu befassen, da diese als besonders kreislauffähig gelten. Sie können in ihrer vorhandenen Form ausgebaut und oft direkt in neue Bauten integriert werden. Dabei wird keine Energie für die Einschmelzung oder die Neuformung benötigt.

Dabei konnten bereits entscheidende Fortschritte erzielt werden. Dazu zählen die Entwicklung eines Qualitätszertifikats, eine relativ aufwandsgeringe Oberflächenbehandlung von gebrauchten Stahlträgern zur Entfernung von Schadstoffen sowie der digitale Produktepass.

Doch die Arbeit an den zirkulären Lieferketten ist noch nicht abgeschlossen. Zwei Herausforderungen, mit denen sich die Projektteilnehmer aktuell beschäftigen, sind der Aufbau einer logistischen Infrastruktur und die Entwicklung eines Versicherungsmodells für die Haftpflicht von wiederverwendeten Baumaterialien.

Auch wenn die Transformation der Bauindustrie von einer linearen Wirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft Ausdauer erfordert, werden bereits jetzt in immer mehr Bauprojekten gebrauchte Materialien wieder eingesetzt. Ein Beispiel ist der Bau des neuen SBB-Betriebsgebäudes in Zürich-Altstetten, für das 12 Kilometer alte Schienen als Tragwerkelemente verwendet werden.

  1. Siehe Medienmitteilung Bundesrat, 27. Juni 2023: «Kreislaufwirtschaft beim Bauen: Zwölf Grosse machen vorwärts». []
  2. Stucki und Wörter (2021). []
  3. Gümüsay et al. (2022). []
  4. Stucki und Wörter (2021). []
  5. Seidl und Werle (2018). []
  6. Kytzia et al. (2022). []
  7. Siehe Gray und Purdy (2018). []
  8. Stucki und Wörter (2021). []

Literaturverzeichnis
  • Gray, B. und Purdy, J. M. (2018). Collaborating for Our Future: Multistakeholder Partnerships for Solving Complex Problems. Oxford: Oxford University Press.
  • Gümüsay, A. A., Marti, E., Trittin-Ulbrich, H. und Wickert, C. (2022). Organizing for Societal Grand Challenges, Emerald Publishing Limited.
  • Kytzia, S., Scheidegger, A., Meglin, R. und Kliem, D. (2022). Falsche Anreize erschweren das Recycling von Baustoffen. Die Volkswirtschaft, 12. April
  • Seidl, D. und Werle, F. (2018). Inter‐Organizational Sensemaking in the Face of Strategic Meta‐Problems: Requisite Variety and Dynamics of Participation. Strategic Management Journal, 39, 830–858.
  • Stucki, T. und Wörter, M. (2021). Statusbericht der Schweizer Kreislaufwirtschaft – Erste repräsentative Studie zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft auf Unternehmensebene. Schlussbericht im Auftrag des Bundesamts für Umwelt und Circular Economy Switzerland. Berner Fachhochschule Wirtschaft, ETH Zürich, KOF Konjunkturforschungsstelle.

Bibliographie
  • Gray, B. und Purdy, J. M. (2018). Collaborating for Our Future: Multistakeholder Partnerships for Solving Complex Problems. Oxford: Oxford University Press.
  • Gümüsay, A. A., Marti, E., Trittin-Ulbrich, H. und Wickert, C. (2022). Organizing for Societal Grand Challenges, Emerald Publishing Limited.
  • Kytzia, S., Scheidegger, A., Meglin, R. und Kliem, D. (2022). Falsche Anreize erschweren das Recycling von Baustoffen. Die Volkswirtschaft, 12. April
  • Seidl, D. und Werle, F. (2018). Inter‐Organizational Sensemaking in the Face of Strategic Meta‐Problems: Requisite Variety and Dynamics of Participation. Strategic Management Journal, 39, 830–858.
  • Stucki, T. und Wörter, M. (2021). Statusbericht der Schweizer Kreislaufwirtschaft – Erste repräsentative Studie zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft auf Unternehmensebene. Schlussbericht im Auftrag des Bundesamts für Umwelt und Circular Economy Switzerland. Berner Fachhochschule Wirtschaft, ETH Zürich, KOF Konjunkturforschungsstelle.

Zitiervorschlag: Langenmayr, Theresa; Cerri, Alberto (2024). Kollaboration in der Bauwirtschaft ist schwierig. Die Volkswirtschaft, 20. Dezember.