Mehrere Jobs gleichzeitig – ein Zukunftsmodell?
Eine Person, mehrere Jobs: Die Zahl der Mehrfachbeschäftigten nimmt zu. (Bild: Keystone)
Vollzeit, unselbstständig, unbefristet: Gehören solche traditionellen Arbeitsverhältnisse bald der Vergangenheit an? Die kurze Antwort ist: Nein. Das zeigt eine Studie[1]der Arbeitsmarktbeobachtung Amosa mit Fokus auf die Kantone der Ostschweiz sowie den Aargau, Zug und Zürich (siehe Kasten). Der Studie zufolge ist die Beschäftigung in flexiblen Arbeitsformen, die sowohl Arbeitgebenden als auch Arbeitnehmenden Anpassungsmöglichkeiten an wechselnde Bedürfnisse oder Marktbedingungen bieten, erstaunlich konstant geblieben. So arbeitete über die letzten 20 Jahre rund jede fünfte erwerbstätige Person in einer flexiblen Arbeitsform.
Flexible Arbeitsformen sind vielfältig
Trotz dieser Konstanz zeigen sich bei genauerem Hinschauen sehr unterschiedliche Entwicklungen. In den letzten Jahren stetig zugenommen haben neben der Mehrfachbeschäftigung, also der gleichzeitigen Ausübung mehrerer Tätigkeiten, auch befristete Anstellungsverhältnisse, die weniger als ein Jahr dauern. Abgenommen hat hingegen die Zahl sogenannter Soloselbstständiger, die keine Mitarbeitenden beschäftigen, sowie geringfügig Beschäftigter mit einem Pensum unter 20 Prozent (siehe Abbildung 1).
Und auch zwischen den Branchen gibt es Unterschiede: Besonders verbreitet sind flexible Arbeitsformen in den Bereichen Kunst und Unterhaltung, im Gastgewerbe, im Bildungsbereich und im Gesundheits- und Sozialwesen. Kaum verbreitet sind sie hingegen in der Finanz- und Versicherungsbranche sowie im Bereich Information und Kommunikation.
So vielfältig wie die flexiblen Arbeitsformen sind auch die Motive, weshalb die Menschen solche Beschäftigungsmodelle wählen. Während Soloselbstständige häufig den Wunsch nach mehr Selbstbestimmung nennen, stehen bei der Arbeit auf Abruf oder der geringfügigen Beschäftigung vermehrt praktische Gründe im Zentrum: so etwa die Vereinbarkeit mit Familienaufgaben oder mit einer Aus- oder Weiterbildung. Auch die Personen, die in flexiblen Arbeitsformen tätig sind, sind sehr unterschiedlich. So sind Temporärarbeitende mehrheitlich männlich, jung und haben ein eher tiefes Bildungsniveau, wohingegen Mehrfachbeschäftigte eher höher gebildet, weiblich und älter sind.
Abb. 1: Mehrfachbeschäftigung ist die bedeutendste flexible Arbeitsform
INTERAKTIVE GRAFIK
Herausforderungen für Mehrfachbeschäftigte
Die am stärksten verbreitete und zugleich wachsende flexible Arbeitsform ist die Mehrfachbeschäftigung. Knapp 9 Prozent der erwerbstätigen Personen arbeiten in mehreren Jobs gleichzeitig. Doch wie stabil sind diese Erwerbskonstellationen? Unsere Untersuchungen zeigen, dass Mehrfachbeschäftigte deutlich häufiger den Arbeitgeber wechseln und sich auch öfter arbeitslos melden als Personen in traditionellen Erwerbsformen.
Dies stellt auch die öffentliche Arbeitsvermittlung vor Herausforderungen. So ergeben sich beim Verlust von einer oder mehreren Teilzeitstellen teils komplexe rechtliche Fragen aus Sicht der Arbeitslosenversicherung – zum Beispiel, ob und allenfalls wann eine teilarbeitslose Person ihre verbleibende Teilzeitstelle oder selbstständige Tätigkeit zugunsten einer Vollzeitbeschäftigung aufgeben muss. Die Abklärung solcher Fragen ist oft mit einem hohen Zeitaufwand verbunden, was bei den Versicherten immer wieder auf Unverständnis oder Verunsicherung stösst.
Eine weitere zentrale Herausforderung für Personen, die in mehreren Teilzeitpensen arbeiten, ist die Altersvorsorge – insbesondere die berufliche Vorsorge. In vielen Fällen verhindert die Eintrittsschwelle, dass Mehrfachbeschäftigte überhaupt Beiträge in die Pensionskasse einzahlen. Das führt dazu, dass sie im Alter eine geringere Rente erhalten.[2] Bestehende Möglichkeiten, sich trotzdem ein Altersguthaben in der 2. Säule anzusparen, erfordern eine gewisse Informiertheit und eine aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Vorsorgesituation.
Die Ergebnisse unserer Studie deuten jedoch darauf hin, dass sich Mehrfachbeschäftigte weniger intensiv mit ihrer Altersvorsorge befassen als Personen in traditionellen Arbeitsverhältnissen. So versuchen gemäss eigenen Angaben nur 61 Prozent der Mehrfachbeschäftigten aktiv, Lücken in ihrer Altersvorsorge zu vermeiden (bei Personen in einem traditionellen Arbeitsverhältnis sind es 75%). Zudem denken nur 45 Prozent der Mehrfachbeschäftigten, dass sie ihren Lebensstandard im Alter beibehalten können (traditionelle Arbeitnehmende: 57%).
Mehrfachbeschäftigung als Türöffner?
Eine Mehrfachbeschäftigung kann Erwerbstätigen aber auch neue Möglichkeiten und Perspektiven eröffnen. Zum Beispiel lassen sich durch das parallele Ausüben verschiedener Jobs mehrere berufliche Standbeine aufbauen. Diese Diversifizierung des Arbeitsportfolios bietet besonders dann einen Vorteil, wenn eine der Tätigkeiten durch einen Jobverlust wegfällt. Eine Analyse von Erwerbsverläufen im Rahmen unserer Studie zeigt denn auch: Wer mehrere Arbeitsverhältnisse hatte, bleibt oft auch während einer Stellensuche weiterhin im Arbeitsmarkt aktiv und wird nur selten vollständig arbeitslos. Diese kontinuierliche Präsenz auf dem Arbeitsmarkt kann sich wiederum positiv auf die Beschäftigungsaussichten der entsprechenden Personen auswirken.
Unsere Befragung zeigt, dass hinter der Entscheidung für eine Mehrfachbeschäftigung oftmals der Wunsch nach mehr Autonomie und Flexibilität oder nach beruflicher und persönlicher Weiterentwicklung steckt. Das gleichzeitige Ausüben mehrerer Tätigkeiten ermöglicht es, neue berufliche Pfade auszuprobieren. Wer eine berufliche Umorientierung anstrebt, kann über eine Nebenbeschäftigung in einen neuen Bereich reinschnuppern, ohne die Hauptbeschäftigung aufgeben zu müssen. Und angehende Selbstständige können die Mehrfachbeschäftigung nutzen, um sich parallel zum Aufbau des eigenen Unternehmens finanziell abzusichern.
Mehrfachbeschäftigte erwerben auf diese Weise ein breites Spektrum an Erfahrungen und Kompetenzen, was ihre Anpassungsfähigkeit und ihre Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt steigern kann. Nicht immer ist die Aufnahme einer weiteren Beschäftigung jedoch ein bewusster Entscheid für die eigene berufliche Entwicklung. Auch die finanzielle Notwendigkeit wird immer wieder als Motiv genannt.
Flexible Arbeitsformen bleiben relevant
Viele Erwerbstätige sind flexiblen Arbeitsformen nicht abgeneigt. Aus unserer Befragung wird deutlich, dass sich knapp 60 Prozent der Erwerbstätigen in einem traditionellen Anstellungsverhältnis vorstellen können, in Zukunft eine flexible Arbeitsform auszuüben. Besonders die Mehrfachbeschäftigung scheint für viele Erwerbstätige eine interessante Alternative zu sein. Fast die Hälfte der Befragten kann sich vorstellen, in Zukunft gleichzeitig mehrere Jobs auszuüben (siehe Abbildung 2). Dies verdeutlicht, wie relevant die Mehrfachbeschäftigung auch in Zukunft sein wird.
Abb. 2: Viele traditionell Erwerbstätige können sich flexible Arbeitsformen vorstellen
INTERAKTIVE GRAFIK
- Siehe Amosa (2024). Beschäftigung und Stellensuche in einer flexiblen Arbeitswelt. Zürich. []
- Die Eintrittsschwelle liegt zurzeit bei einem Jahreslohn von 22’050 Franken pro Arbeitgeber. Wer bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt ist und pro Teilzeitstelle nicht über diese Schwelle hinauskommt, ist nicht obligatorisch in der zweiten Säule versichert. []
Zitiervorschlag: Hofstetter, Miriam; Roos, Oliver (2024). Mehrere Jobs gleichzeitig – ein Zukunftsmodell? Die Volkswirtschaft, 19. Dezember.
Die Arbeitsmarktbeobachtung Amosa untersuchte im Auftrag der Arbeitsmarktbehörden der Ostschweiz, des Aargaus, von Zug und Zürich flexible Arbeitsformen. Neben einer Befragung von stellensuchenden Personen hat Amosa im Dezember 2023 rund 1000 Erwerbstätige aus dem Onlinepanel des Marktforschungsinstituts Intervista zu ihrer aktuellen Tätigkeit befragt. Ausserdem analysierte Amosa Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake), untersuchte Erwerbsbiografien auf Basis von AHV-Registerdaten und organisierte Workshops mit Mitarbeitenden der öffentlichen Arbeitsvermittlung und der Arbeitslosenversicherung. Begleitet wurde die Studie vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sowie von Swissstaffing, dem Verband der Personaldienstleister.