Auch in Krisen soll es für alle genug haben. Qualitätskontrolle in einem Pflichtlager in Basel. (Bild: Keystone)
Durch diverse Ereignisse wie die Covid-19-Pandemie oder den Krieg in der Ukraine hat die wirtschaftliche Landesversorgung in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen.[1] Dazu gehört nicht nur, dass Lebensmittel in ausreichender Menge verfügbar sind, sondern auch Trinkwasser, Energie, Heilmittel, Logistik, industrielle Güter sowie Informations- und Kommunikationstechnologien. In diesem Artikel beleuchten wir die Sicht der Ernährung im Detail.
Grundsätzlich sind die Unternehmen der Ernährungswirtschaft dafür verantwortlich, dass die Bevölkerung auch im Krisenfall genug zu essen hat. Der Staat schafft einerseits geeignete Rahmenbedingungen. Andererseits kann er im Falle einer schweren Mangellage vorsorgliche Massnahmen ergreifen, indem er zum Beispiel Pflichtlager freigibt (siehe Abbildung 1).[2] Es gilt das Subsidiaritätsprinzip: Staatliche Eingriffe erfolgen nur, wenn die Wirtschaft selbst nicht in der Lage ist, einen drohenden oder akuten Mangel zu bewältigen. Das übergeordnete Ziel lautet dabei: so wenig wie möglich, so viel wie nötig.
In der Vorsorgephase wird die Bevölkerung regelmässig für das Thema Notvorrat sensibilisiert.[3] Durch einen eigenen Notvorrat kann jeder einige Tage Versorgungsunabhängigkeit sicherstellen. Diese individuelle Überbrückung eines vorübergehenden Versorgungsengpasses erlaubt es den zuständigen Stellen, sich neu zu organisieren und die Versorgung so rasch wie möglich wieder sicherzustellen.
Abb. 1: Massnahmen des Fachbereichs Ernährung vor und während des Krisenfalls
Schweizer Landwirtschaft bedeutend
Ein wichtiger Pfeiler zur Versorgung der Bevölkerung ist die Schweizer Landwirtschaft.[4] Seit 2017 ist in der Bundesverfassung klar festgelegt, dass eine standortangepasste und ressourceneffiziente Nahrungsmittelproduktion im Inland eine strategische Priorität darstellt.[5] Unter Berücksichtigung der geografischen und klimatischen Bedingungen des Landes liegt das Augenmerk darauf, die verfügbaren Anbauflächen diversifiziert und an die Standortgegebenheiten angepasst zu nutzen, um langfristig den Selbstversorgungsgrad zu erhalten und gegebenenfalls weiter zu verbessern. Der Selbstversorgungsgrad der Schweizer Landwirtschaft beträgt derzeit netto 46 Prozent. Wird die Inlandproduktion mit ausländischem Futtermittel mitgezählt, sind es 53 Prozent.[6]
Die Politik zielt darauf ab, das Eigenproduktionspotenzial der Schweiz durch Effizienzsteigerungen und technische Innovationen zu maximieren. Indem sie Importländer diversifiziert, schafft sie zudem ein breites Netzwerk internationaler Bezugsquellen. Dies reduziert die Abhängigkeit von einzelnen Ländern und Märkten und stärkt die Krisenfestigkeit der Versorgungskette. Die wirtschaftliche Landesversorgung achtet dabei darauf, dass Produktionsmittel wie Saatgut und Dünger ausreichend verfügbar sind (siehe Kasten). Im Jahr 2022 hat der Bundesrat beispielsweise beschlossen, Pflichtlager für Rapssaatgut aufbauen zu lassen. Der Markt in diesem Bereich hatte sich stark konzentriert und internationalisiert. In der Schweiz gibt es zudem weder eine Rapszüchtung noch eine Vermehrung. Diese verpflichtende Lagerhaltung von Produktionsmitteln spielt eine bedeutende Rolle für die Versorgungssicherheit in der Schweiz, damit die Landwirtschaft auch während einer Mangellage produzieren kann.
Abb. 2: Ernährungs-Pflichtlager enthalten rund 400’000 Tonnen Weizen
Strategische Vorräte
Die Schweiz hält über 720’000 Tonnen Waren an Pflichtlager für die Sicherstellung der Ernährung in einer schweren Mangellage (siehe Abbildung 2).[7] Darin werden Weizen, Reis, Speiseöle und -fette, Zucker und Kaffee für die menschliche Ernährung sowie Produktionsgrundlagen wie Stickstoffdünger, Saatgut und Futtermittel gelagert. Die Pflichtlager gehören nicht dem Bund, sondern den rund 300 Unternehmen, die ein Pflichtlager halten. Die darin gehaltenen Warenmengen entsprechen dem durchschnittlichen Bedarf der Schweiz für die Dauer von drei bis vier Monaten. So kann die Schweiz in Krisenzeiten rasch auf Reserven zurückgreifen und zeitgleich durch Optimierungen der Inlandproduktion flexibel reagieren.
Diese Vorkehrungen werden im Rahmen einer subsidiären Wirtschaftspolitik getroffen, in der der Bund eng mit der Wirtschaft zusammenarbeitet, um die Produktionskapazitäten und die Resilienz der landwirtschaftlichen Betriebe und Verarbeitungsindustrien zu gewährleisten. Um die Wettbewerbsneutralität und die Effizienz dieser Massnahmen aufrechtzuerhalten, koordiniert die wirtschaftliche Landesversorgung ihre Massnahmen über verschiedene Ebenen und stellt sicher, dass Eingriffe bei Bedarf sowohl ökonomisch als auch gesellschaftlich gerechtfertigt sind und so gering wie möglich gehalten werden.
Eine zentrale Herausforderung bleibt die langfristige Erhaltung von Produktionsgrundlagen. Mit dem Sachplan Fruchtfolgeflächen werden heute mindestens 438’460 Hektaren der besten Ackerflächen geschützt: Die natürliche Oberfläche soll bewahrt und die Bodenfunktion erhalten bleiben. Eine Bewirtschaftung findet jedoch statt, und auch Direktzahlungen werden wie gewohnt ausgerichtet. Insbesondere diese Fruchtfolgeflächen sollen für eine ausreichende Ernährungsbasis in schweren Mangellagen erhalten werden.[8] Gestützt darauf gilt die Sicherung der Fruchtfolgeflächen als vorsorgliche Massnahme im Rahmen der Strategie der wirtschaftlichen Landesversorgung.
Ganze Lebensmittelkette mit einbeziehen
Eine adäquate Versorgung der Bevölkerung kann aber nur gewährleistet werden, wenn alle Stufen der Lebensmittelkette berücksichtigt werden, von der landwirtschaftlichen Produktion über die Verarbeitungsbetriebe bis hin zum Detailhandel. Das Ernährungssystem ist dabei massgeblich von anderen kritischen Sektoren wie Energie, Logistik oder auch Informatik abhängig. Da die Lebensmittelversorgung in hohem Masse auf Just-in-Time-Prozessen basiert, kann eine Unterbrechung in einem Teil der Wertschöpfungskette in den vorgelagerten und nachgelagerten Bereichen zu weiteren Ausfällen führen. Beispielsweise musste der Lebensmittel-Detailhandel während der Covid-19-Pandemie aufgrund eines veränderten Einkaufsverhaltens und von Engpässen in der Logistik eine teilweise stark erhöhte Nachfrage bewältigen. Die Privatwirtschaft konnte die Versorgung in der Ernährung aber dank zusätzlicher Anstrengungen jederzeit sicherstellen. Für die Sicherung der inländischen Versorgung mit Lebensmitteln sind das Zusammenspiel und das Funktionieren von Agrarproduktion, Verarbeitung, Import und Verteilung über den Detailhandel von grundlegender Bedeutung.
Die Massnahmen der wirtschaftlichen Landesversorgung werden folglich auf relevante Risikoszenarien des Ernährungssystems abgestimmt und auf kritische Stellen der Wertschöpfungskette ausgerichtet. Als Gefährdungen, die eine erhebliche Störung der Lebensmittelversorgung verursachen können, gelten insbesondere grossflächige Ereignisse wie ein überregionaler Stromausfall, eine Epidemie oder eine Pandemie, ein Cyberangriff oder der Ausfall der Telekommunikation. Des Weiteren gewinnen Extremwetterereignisse und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Lebensmittelproduktion und -verarbeitung für den Ernährungssektor zunehmend an Bedeutung.
Der Erfolg dieser Strategie ist wesentlich abhängig von einer widerstandsfähigen Landwirtschaft, die sich sowohl an globalen Entwicklungen als auch an nationalen Anforderungen orientiert. Die Schweiz hat mit ihrer strategischen Kombination aus Selbstversorgung, Importdiversifikation und Pflichtlagerhaltung eine tragfähige Basis geschaffen, um auch in künftigen Krisen eine stabile Versorgung sicherzustellen. Dennoch bleibt die kontinuierliche Anpassung an neue Herausforderungen, etwa durch den Klimawandel und die Sicherung der Produktionsgrundlagen, von zentraler Bedeutung, um die Versorgungssicherheit auch langfristig garantieren zu können.
- Siehe Kasten für mehr Informationen zur wirtschaftlichen Landesversorgung. []
- Siehe Bundesverfassung Art. 102. []
- Siehe Website des BWL. []
- Siehe Bundesverfassung Art. 104. []
- Siehe Bundesverfassung Art. 104a, der 2017 durch eine Volksabstimmung ergänzt wurde. []
- Siehe Agrarbericht 2024. []
- Siehe BWL (2023). []
- Siehe Landesversorgungsgesetz Art. 30. []
Literaturverzeichnis
- Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung – BWL (2023). Bericht zur Vorratshaltung 2023.
- Schweizerische Eidgenossenschaft (2022). Die Schweiz legt wieder ein Pflichtlager für Saatgut an. Medienmitteilung vom 26. Januar.
Bibliographie
- Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung – BWL (2023). Bericht zur Vorratshaltung 2023.
- Schweizerische Eidgenossenschaft (2022). Die Schweiz legt wieder ein Pflichtlager für Saatgut an. Medienmitteilung vom 26. Januar.
Zitiervorschlag: Heer, Ines; Wiesli, Pascal (2024). Was ist Versorgungssicherheit aus Sicht der Ernährung? Die Volkswirtschaft, 10. Dezember.
Die wirtschaftliche Landesversorgung umfasst rund 250 Fachleute aus versorgungsrelevanten Branchen sowie das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL). Durch dieses Kooperationsmodell zwischen Wirtschaft und Staat können im Krisenfall das Know-how und die vorhandenen Strukturen der Privatwirtschaft für die Erfüllung staatlicher Aufgaben genutzt werden. In schweren Mangellagen, welche die Wirtschaft nicht selbst bewältigen kann, hat die wirtschaftliche Landesversorgung den Auftrag, die Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen sicherzustellen. Ausgehend vom gesetzlichen Auftrag konzentriert sie sich dabei auf die Gewährleistung der Versorgung des Landes auf den Gebieten Lebensmittel, Trinkwasser, Energie, Heilmittel, Logistik, Industrie sowie Informations- und Kommunikationstechnologien.