Christof Dietler, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Agrarstandort Schweiz (IGAS), Chur
Wir – die Interessengemeinschaft Agrarstandort Schweiz – wollen, dass es auch in der Zukunft attraktiv ist, in der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft zu arbeiten. Den konstruktiven Dialog entlang der Wertschöpfungskette und eine liberale Grundhaltung erachten wir als Voraussetzung dafür. Unsere zehn Vorschläge für die Zukunft verstehen wir als Beitrag zu mehr Eigenverantwortung, Nachhaltigkeit und geregelten internationalen Beziehungen.
- Landwirtschaftsbetriebe werden als KMU geführt. Denn unternehmerisches Handeln führt auch in der stark von der Politik geprägten Agrarbranche zum Erfolg. Eine Strategie der Betriebe, die von den eigenen Stärken und standortbezogenen Voraussetzungen ausgeht, gibt den Mut, sich von der staatlichen Bevormundung zu befreien. Politische Vorgaben ohne Wertschöpfungspotenziale wie «der Selbstversorgungsgrad» können so locker beiseitegelassen werden. Die KMU beschaffen ihre Vorleistungen auf freien Märkten, und sie nutzen freiwillige Label- und Vermarktungsorganisationen, um ihre Position am Markt zu stärken und ihre Mehrwerte den Konsumierenden näherzubringen.
- Landwirtschaftsbetriebe sind als KMU zu behandeln. Dies bedeutet, dass sie von der Politik, der Verwaltung, ihren Marktpartnern und von ihren Bauernverbänden als selbstbestimmte Unternehmen respektiert werden. Die Kommunikation erfolgt auf Augenhöhe. Die Verwendung von Begriffen wie «bäuerlicher Familienbetrieb» führte in der Vergangenheit zu vielen Missverständnissen. Die KMU sollen sich frei organisieren können. Egal ob AG, GmbH, einfache Gesellschaft, Nebenerwerbsbetrieb oder Genossenschaft, Frauen oder Männer als Unternehmende.
- Nachhaltiges Verhalten als Königsweg vorantreiben. Tierwohl-, Biodiversitäts- und Klimaleistungen stärken auch in Zukunft die Stellung der Schweizer Landwirtschaft in der Wertschöpfungskette, bei den Konsumierenden und als Wettbewerbsvorteil gegenüber Importprodukten. Die Erfüllung der vom Parlament beschlossenen Absenkpfade für Nährstoffüberschüsse und Pestizidrisiken ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Branche den Rückhalt in der Bevölkerung beibehält und ihre Produktionsgrundlagen sichert.
- Anerkennung und Geld vom Markt wertschätzen. Die Politik muss bereit sein, die Kräfte des Markts so spielen zu lassen. Der Reflex der politischen Interventionen ist zu unterdrücken, denn dieser ist längerfristig selten erfolgreich. Die Anerkennung durch den Markt – gute, marktgerechte Preise, Honorierung der Qualität von Produkten – motiviert Bäuerinnen und Bauern mehr als Geld vom Staat. Der wirtschaftliche Erfolg ist, wo immer möglich, gemeinsam mit Verarbeitung und Handel zu suchen.
- Mehr Freiheiten schaffen und Freiheiten nutzen. Liberale Instrumente wie Lenkungsabgaben oder Zielvereinbarungen können Detailvorschriften und komplizierte Direktzahlungsprogramme ersetzen. So geben Lenkungsabgaben auf heikle Pestizidwirkstoffe, Importdünger etc. den Landwirten mehr wirtschaftliche Freiheiten, denn nichts wird verboten: Sie können selbst entscheiden, was und wie viel sie einsetzen. Dadurch steigt die Effizienz, und das eingenommene Geld wird an die Akteure zurückverteilt.
- Handelsbeziehungen stärken und Grenzschutz vereinfachen. Die Fähigkeit zum Anschluss an interessante Märkte im Ausland muss verbessert werden, indem unter anderem Verarbeiter Exportmärkte zusammen mit (Milch-)Produzenten entwickeln. Es braucht im Interesse der Landwirtschaft eine starke Verarbeitungsindustrie in der Schweiz, die im Binnenmarkt und im Export von Käse, Schokolade, Biskuits und Spezialitäten punktet. Zudem ist Versorgungssicherheit nur mit guten Handelsbeziehungen zu schaffen, damit Nahrungs- und Futtermittel sowie Saat- und Pflanzgut jederzeit und auch im Krisenfall in genügenden Mengen importiert werden können.
- Den bilateralen Weg konsequent gehen. Die bilateralen Verträge I+II mit der EU sind auf die Bedürfnisse der Land- und Ernährungswirtschaft zugeschnitten und eröffnen Möglichkeiten insbesondere für den Export von Käse. Es ist daher im Interesse der Agrarbranche, sich für ein geregeltes Verhältnis zu unseren Nachbarländern und damit auch für die Bilateralen III einzusetzen.
- Bei Preisen, Margen und Angebotsgestaltung auf den Staat verzichten. Direktzahlungen sollen auch künftig Leistungen für Biodiversität oder Landschaftspflege entschädigen. Die Preise für Produkte sollen jedoch auf dem Markt gebildet werden. Der im Rahmen der Agrarpolitik 2030 vom Bundesrat vorgeschlagene ganzheitliche Ernährungssystemansatz darf den Einflussbereich des Staats nicht vergrössern. Lösungen für eine gesündere und ökologische Ernährung sollen von den Geschäftspartnern in der Wertschöpfungskette gesucht werden.
- Datenbasierte Indikatoren als Treiber für Effizienz verstehen. Im Jahr 2024 begannen die Arbeiten an Nachhaltigkeitsindikatoren (Ökonomie, Ökologie, Soziales), die gemeinsam von Akteuren der Branche und der Politik getragen werden. Sie sollten schwungvoll weitergeführt werden, denn im Hinblick auf die Agrarpolitik 2030 eröffnen sie neue Perspektiven. Indikatoren können schrittweise komplizierte Direktzahlungsprogramme ersetzen und die Erreichung von Zielen in der Wertschöpfungskette erleichtern.
- Wertschätzender Dialog in der Wertschöpfungskette stärken. Frau Käserin und Herr Milchproduzent kennen sich in der Schweiz. Aus der Überzeugung, im gleichen Boot zu sitzen, können sie gemeinsame Werte noch stärker als bisher zu ihrem Unterscheidungsmerkmal gegenüber Importprodukten machen. Der wertschätzende Dialog zwischen ihnen bringt nicht nur lukrative Innovationen, sondern kann durchaus auch positiven Einfluss auf eine moderne Agrarpolitik haben.
Zitiervorschlag: Dietler, Christof (2024). Zehn Vorschläge für die Zukunft. Die Volkswirtschaft, 10. Dezember.