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Die Schweiz fährt besser ohne Industriepolitik

Die Weltwirtschaft wird aktuell geprägt von geopolitischen Spannungen und industriepolitischen Initiativen. Der Ansatz des Bundesrats: Er setzt auf bessere Rahmenbedingungen.
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Aus Sicht des Bundesrats ist Industriepolitik ungeeignet, um Abhängigkeiten – etwa in der Solarindustrie – zu reduzieren. (Bild: Keystone)

Der Ukraine-Krieg, der Stahlstreit zwischen der EU und den USA oder der Handelsstreit zwischen China und den USA: Geopolitische Spannungen prägen die Weltwirtschaft. Schon seit einigen Jahren häufen sich Stimmen, die ein Problem in den engen wirtschaftlichen Verflechtungen gewisser Sektoren zwischen den wirtschaftlichen Grossmächten sowie weiteren Industrienationen sehen. Im Vordergrund stehen Sektoren wie etwa die Halbleiter- oder die Batterieproduktion.

Abkehr von wirtschaftlicher Öffnung

Auch die Lieferengpässe während der Corona-Pandemie und die Verwerfungen durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine haben Staaten in den letzten Jahren dazu veranlasst, ihre wirtschaftlichen Abhängigkeiten neu zu beurteilen.

Die Aussenwirtschaftspolitik der Grossmächte China, EU und USA zielt weiterhin auf die Entflechtung gewisser kritischer Wertschöpfungsketten, um bestimmte wirtschaftliche Aktivitäten geografisch neu auszurichten und voneinander abzugrenzen.[1] Das Ziel: Die eigene Wirtschaft soll im Streitfall resilient sein und möglichst eigenständig funktionieren. Ihr Vertrauen in die internationale Arbeitsteilung nimmt also ab, viele Staaten verschieben ihren Fokus weg von einer uneingeschränkten Marktöffnung, hin zu mehr wirtschaftlicher Sicherheit. Die aktuellen geopolitischen Rivalitäten verstärken diesen Trend.

Sicherheitspolitisch legitimierte wirtschaftspolitische Eingriffe wie Sanktionen, Investitionsprüfungen und Exportkontrollen haben Konjunktur. Gleichzeitig geraten die seit Jahrzehnten bestehenden traditionellen multilateralen Exportkontrollinstrumente unter Druck, da konsensbasierte Entscheide aufgrund der Blockadehaltung einzelner Staaten erschwert werden. Insbesondere die Kontrolle neuer Technologien kann kaum noch multilateral erfolgen. Die Einbindung von Staaten wie Russland in funktionierende multilaterale Kontrollregimes wäre sicherheitspolitisch allerdings wichtig, um zu verhindern, dass moderne Rüstungsgüter in die falschen Hände geraten.

Sicherheitspolitisch getarnter Protektionismus

Im Zuge der wirtschaftspolitischen Eingriffe vermischen sich sicherheitspolitische Massnahmen und protektionistische Motive. So ist der Abbau von wirtschaftlichen Verflechtungen häufig mit dem Ruf nach mehr inländischen Produktionskapazitäten verbunden – so etwa bei Halbleitern. Nicht zuletzt geht es bei solchen industriepolitischen Programmen auch um eine bessere Wettbewerbsfähigkeit. Gefördert werden insbesondere als zukunftsträchtig angesehene Branchen wie etwa im Bereich der Dekarbonisierung.

Ein Beispiel ist auch der Automobilsektor, wo die EU und die USA 2024 besonders einschneidende protektionistische Massnahmen ergriffen haben. Sie erhoben hohe Ausgleichszölle auf Elektroautos chinesischer Anbieter, die in den vergangenen Jahren Weltmarktanteile gewonnen haben und zunehmend auch in die EU und die USA exportieren. Die Gründe, weshalb chinesische Automobilhersteller immer konkurrenzfähiger wurden, sind einerseits Skaleneffekte, ein intensiver inländischer Wettbewerb sowie enge wirtschaftliche Verbindungen zu führenden Batterieherstellern. Andererseits profitierten sie auch von staatlicher Unterstützung. Die EU und die USA, die ihre Automobilindustrie ebenfalls mit staatlichen Massnahmen unterstützen, wollten mit den hohen Ausgleichszöllen ihre eigenen Produzenten schützen.[2] Doch wenn zahlreiche Staaten in diesem Ausmass in die Wirtschaft eingreifen, leidet die wirtschaftliche Effizienz.

Entwicklungsländer und Kleinstaaten haben das Nachsehen

Zu den grossen Verlierern solcher industriepolitischen Massnahmen gehören insbesondere Entwicklungs- und Schwellenländer. Ihnen fehlen weitgehend die Mittel zur staatlichen Unterstützung bestimmter Sektoren und Unternehmen, sodass ihre Produzenten zusehends an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Auch die Schweiz als mittelgrosse, offene Volkswirtschaft mit wenig natürlichen Ressourcen und einem kleinen Binnenmarkt stellt diese Entwicklung vor Herausforderungen.

Da die industriepolitischen Massnahmen anderer Länder zu Marktverzerrungen führen, fordern inzwischen verschiedene Stimmen auch hierzulande ein Revival der Industriepolitik. Doch die Schweiz mit ihrem kleinen Binnenmarkt und ihren beschränkten fiskalischen Möglichkeiten könnte in einem solchen Subventionswettlauf – selbst wenn sie es wollte – nicht mithalten. Behörden besitzen überdies keinen Wissensvorsprung über Markt- und Technologieentwicklungen, weshalb Subventionen immer auch das Risiko von Fehlinvestitionen bergen.

In letzter Konsequenz gingen solche industriepolitischen Programme auf Kosten der volkswirtschaftlichen Effizienz, der Nachhaltigkeit und der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Aus Sicht des Bundesrats ist Industriepolitik zudem ungeeignet, um Abhängigkeiten zu reduzieren und die Versorgungssicherheit der Schweiz zu erhöhen. Dies hat er am Beispiel der Solarindustrie aufgezeigt: Selbst wenn eine inländische Produktion von Solarmodulen aufgebaut würde, wären die Schweizer Produzenten weiterhin auf Vorprodukte und Rohstoffe aus dem Ausland angewiesen.[3] Schliesslich hat der Bundesrat auch die Handelsabhängigkeiten der Schweiz analysiert und festgestellt, dass diese überschaubar und meist unproblematisch sind.[4]

Lobendes Zeugnis der OECD

Dank einer Politik der internationalen Offenheit konnte die Schweiz in den vergangenen Jahrzehnten ihre Integration in die Weltwirtschaft vertiefen und von internationalen Wertschöpfungsketten profitieren. Auch aus den Krisen der vergangenen Jahre lässt sich kein industriepolitischer Handlungsbedarf für die Schweiz ableiten. Denn die Schweizer Wirtschaft hat sowohl in der Corona-Krise wie auch infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine im internationalen Vergleich eine bemerkenswerte Resilienz gezeigt. Wesentlich dazu beigetragen haben gemäss dem Länderexamen[5] der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) der funktionierende Wettbewerb im Inland und der diversifizierte Marktzugang im Ausland. Beides führte dazu, dass Schweizer Unternehmen im Krisenfall verschiedene Handlungsoptionen haben und sich rasch anpassen können. Die OECD lobte nicht zuletzt auch das bestehende System der wirtschaftlichen Landesversorgung. Ihre Begründung: Das System basiert auf der Verantwortung der Unternehmen und sieht staatliche Eingriffe nur subsidiär und bei lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen vor.

Der Bundesrat setzt auf gute Rahmenbedingungen

Anstatt sich in teuren und ineffizienten industriepolitischen Programmen zu verlieren, konzentriert sich die Schweizer Wirtschaftspolitik also weiter darauf, möglichst gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Konkret bedeutet das: den regulatorischen Rahmen so auszugestalten, dass die Anpassungsfähigkeit der Schweizer Volkswirtschaft auch in dem zunehmend unvorhersehbaren weltwirtschaftlichen Umfeld erhalten bleibt und möglichst noch weiter gestärkt wird. Von Bedeutung bleiben beispielsweise die Weiterentwicklung und die Stabilisierung des bilateralen Wegs mit der EU sowie zusätzliche und modernisierte Freihandelsabkommen mit Handelspartnern weltweit. Diese Massnahmen können den rechtlich gesicherten Zugang zu wichtigen Absatzmärkten weiter gewährleisten.

Die Herausforderungen für die schweizerische Aussenwirtschaftspolitik dürften auch in den kommenden Jahren bestehen bleiben. In zahlreichen Ländern werden die liberale Weltwirtschaft und die Förderung des freien Güter- und Dienstleistungsverkehrs parteiübergreifend infrage gestellt – ungeachtet der aus der Handelsliberalisierung entstandenen Wohlstandsgewinne. Das ist beunruhigend. Denn die Welt droht damit nicht nur unsicherer zu werden, sondern auch an globalem Wirtschaftswachstum einzubüssen. Der Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik 2024[6] ordnet diese und weitere Entwicklungen und Aktivitäten der Schweiz im Jahr 2024 ein.

  1. Siehe Cerdeiro et al. (2024). []
  2. Siehe Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 20.8.2024: «Kommission unterrichtet interessierte Parteien über endgültige Feststellungen der Antisubventionsuntersuchung zu Einfuhren von Elektroautos aus China». []
  3. Siehe Bundesrat (2024a). []
  4. Siehe Bundesrat (2024b). []
  5. Siehe OECD (2024). []
  6. Siehe Bundesrat (2025). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Brengard, Marcel; Stauffer, Nima; Wyss, Ralf (2025). Die Schweiz fährt besser ohne Industriepolitik. Die Volkswirtschaft, 15. Januar.