Wächst die Wirtschaft dieses Jahr?
Mehr als ein Blick in die Kristallkugel: Kurzfristige Wirtschaftsprognosen sind recht verlässlich. (Bild: Keystone)
Nein. Es liegt in der Natur aller Formen von Prognosen, dass sie nicht zu 100 Prozent treffsicher sind. Die alles wissende Kristallkugel gibt es auch bei uns nicht. Unsere kurzfristigen Wachstumsprognosen für das nächste Jahr sind recht verlässlich. Prognosen für die nächsten zwei, drei Jahre sind hingegen schwieriger, denn in der mittleren Frist können mehr unvorhersehbare Ereignisse auftreten, wie zum Beispiel die Corona-Pandemie, ein Frankenschock, Naturkatastrophen oder auch geopolitische Ereignisse.
Das ist leider nicht möglich. Sonst wären diese ja erwartete und nicht unerwartete Ereignisse. Absehbare Risiken und Unsicherheitsfaktoren beziehen wir aber in unsere Überlegungen ein. Zum Beispiel können wir aktuell nicht genau vorhersehen, wie die Wirtschaftspolitik von US-Präsident Donald Trump aussehen wird und wie andere Länder darauf reagieren werden. Wir wissen aber, dass gewisse angekündigte Massnahmen das Potenzial haben, die internationale Konjunktur abzubremsen, und das berücksichtigen wir.
Prognosen sind notwendig, um für die Zukunft zu planen, sowohl für Privatpersonen als auch für Institutionen. Die Konjunkturprognose des Bundes fliesst insbesondere in seine Finanzplanung ein: Beispielsweise hängen die erwarteten Steuereinnahmen von der künftigen Wirtschaftsentwicklung ab. Aber auch ausserhalb des Bundes werden unsere Prognosen genutzt. Beispielsweise ist es bei Lohnverhandlungen nützlich, zu wissen, wie sich die Inflation entwickelt.
Auch ausserhalb des Bundes werden unsere Prognosen genutzt.
Zuerst analysieren wir die aktuelle Lage der Wirtschaft. Befinden wir uns in einer Erholungsphase, oder schwächt sich die Konjunktur gerade ab? Wie hoch sind Zinsen und Inflation? Wie sieht es im Ausland aus? Für die nahe Zukunft nutzen wir unter anderem Indikatorenmodelle. Diese verwenden sogenannte vorausschauende Daten, die einen Informationsgehalt für die Zukunft haben. So kann man die heutigen Auftragseingänge bei den Firmen verwenden, um die Produktion in einigen Monaten zu prognostizieren.
Viele Informationen für die kurzfristige Konjunkturanalyse stammen aus Umfragen bei den Unternehmen. Mit der Konsumentenstimmung führen wir im Staatssekretariat für Wirtschaft eine ähnliche Befragung bei Privatpersonen durch. Und schliesslich verwenden wir in der Konjunkturanalyse zunehmend Daten, die fast in Echtzeit zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel Kreditkartenzahlungen.
Da kommt es stärker auf die fundamentalen ökonomischen Zusammenhänge an. Diese können in sogenannten makroökonomischen Strukturmodellen abgebildet werden. Damit lässt sich zum Beispiel simulieren, wie sich eine Abkühlung der internationalen Konjunktur auf Exporte, Investitionen und wiederum auf den Arbeitsmarkt und den Konsum auswirkt. Die Modellergebnisse werden durch die Erfahrung der Expertengruppe Konjunkturprognosen des Bundes ergänzt.
Das internationale Umfeld ist herausfordernd, und die Aussichten für die europäische Wirtschaft sind im Moment nicht allzu günstig. Wir gehen von einem unterdurchschnittlichen Wachstum der Schweizer Wirtschaft aus.
Interview: «Die Volkswirtschaft»
Zitiervorschlag: Nachgefragt bei Felicitas Kemeny, Staatssekretariat für Wirtschaft (2025). Wächst die Wirtschaft dieses Jahr? Die Volkswirtschaft, 09. Januar.
Felicitas Kemeny ist Leiterin Ressort Konjunktur beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco)