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Kenia: Ist die Staatsverschuldung Bremse oder Motor für einen Wandel?

Im Jahr 2023 belief sich die Staatsverschuldung Kenias auf über 70 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Sie bremst die wirtschaftliche Entwicklung, wirkt aber auch als Motor eines gesellschaftlichen Wandels, der von der Jugend ausgeht.
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Protest gegen die Steuerreform von Präsident William Samoei Ruto am 18. Juni 2024 in Nairobi. Die Protestwelle geht vor allem von der kenianischen Jugend aus. (Bild: Keystone)

Als ich Ende August 2024 als Botschafter nach Kenia zurückkehrte, erlebte ich Nairobi genauso dynamisch wie bei meinem Weggang vor acht Jahren. Das Strassennetz wurde inzwischen weiter ausgebaut, und die Skyline ist noch beeindruckender. Diese Veränderungen zeugen vom Selbstverständnis einer Metropole, die sich nicht mehr nur als Hauptstadt der grössten Volkswirtschaft Ostafrikas sieht, sondern eine Führungsrolle auf dem Kontinent und vielleicht sogar die Funktion eines Zentrums des Globalen Südens einnehmen will. Die Jugend zeigt sich kämpferisch: Sie fordert von der Politik einen gesunden, transparenten Umgang mit öffentlichen Geldern und eine inklusive Sozialpolitik, die Arbeits- und Lebensperspektiven im eigenen Land bietet.

Dynamisches Wachstum – aber zu wenig inklusiv

Zwar verzeichnete Kenia 2024 ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum von 5 Prozent, gegenüber 3,1 Prozent in Subsahara-Afrika, 3,2 Prozent weltweit und 1,3 Prozent in der Schweiz.[1] Doch der Wohlstand ist regional ungleich verteilt, und das Gefälle zwischen den armen Regionen im Nordosten und der Hauptstadt verstärkt sich zunehmend. Die Weltbank kommt daher zum Schluss, dass das Wirtschaftswachstum eindeutig zu wenig inklusiv ist und sich der Zusammenhang zwischen Wachstum und Armutsreduktion abgeschwächt hat. Das Land steht vor grossen Herausforderungen. Dazu gehören etwa die Bekämpfung der Armut und der Jugendarbeitslosigkeit (jährlich treten rund 800’000 junge Menschen in den Arbeitsmarkt ein, es werden jedoch nur rund 200’000 Arbeitsplätze geschaffen), die weniger effektiv als erhofft verlaufende «Devolution» mit der Dezentralisierung von Zuständigkeiten und deren Verteilung auf die Counties, der Klimawandel, geringe private Investitionen und die Anfälligkeit der Wirtschaft für interne und externe Schocks.

Zu den grössten Problemen der seit 2022 amtierenden Regierung von Präsident William Samoei Ruto zählt die Staatsverschuldung. Diese ist von 48 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) im Jahr 2014 auf 72 Prozent Ende 2023 gestiegen.[2] Derzeit stammt etwas mehr als die Hälfte der Einnahmen des Landes (55%) aus Exporten ins Ausland, vor allem aus Landwirtschaftsprodukten. Die Auslandverschuldung Kenias belief sich 2023 auf 40 Milliarden Dollar oder 37 Prozent des BIP und besteht hauptsächlich aus multilateralen Krediten (48%), bilateralen Krediten (30% bzw. rund 7 Milliarden Dollar von China und 800 Millionen Dollar von Frankreich) sowie Handelskrediten (22% der Staatsschulden).

Die Schuldenspirale dreht sich

Die stark gestiegene Verschuldung hat mehrere Gründe. Erstens hat die Regierung Kenias in den letzten 20 Jahren umfangreiche Kredite für Infrastrukturprojekte aufgenommen, insbesondere für Strassen, Eisenbahnlinien und die Elektrifizierung ländlicher Gebiete. Hinzu kommen exogene Faktoren wie die Coronapandemie, höhere Preise für die zu fast 80 Prozent aus dem Ausland importierten Grundnahrungsmittel sowie für Erdölprodukte infolge des russischen Angriffs in der Ukraine. Die höheren Zinsen in den grossen Volkswirtschaften weltweit wirken sich negativ auf die Kreditrückzahlungen aus. Im Frühling 2024 kam es zudem nach langen Dürreperioden zu schweren Überschwemmungen, die Schäden an Strassen und in der Landwirtschaft verursachten. Überdies fehlt es den Behörden an Kapazitäten zum wirkungsvollen Eintreiben der Steuern, es grassieren Steuerhinterziehung und Korruption.

Ebenfalls zur Verschuldung Kenias beigetragen haben die anhaltenden Budgetdefizite. In den letzten zehn Jahren wuchsen die Steuereinnahmen des Staats um durchschnittlich 8 Prozent, die Ausgaben jedoch um 9 Prozent. Im Juli 2024 musste der Staat mehr als zwei Drittel der Ausgaben für den Schuldendienst aufwenden, womit nur noch wenig Mittel für Bereiche wie Gesundheit, Bildung, Sicherheit und Infrastruktur blieben.

Im Februar 2024 sah sich das Land gezwungen, internationale Anleihen mit einem Zinssatz von über 10 Prozent auszugeben, damit es die nötigen liquiden Mittel für die im Juni 2024 fällig gewordene Rückzahlung einer Eurobond-Anleihe über 2 Milliarden Dollar beschaffen konnte. Um einen Zahlungsausfall abzuwenden, musste Kenia daher noch mehr Kredite aufnehmen, womit sich die Schuldenspirale weiter drehte. Mit der aus dem Ruder laufenden Staatsverschuldung stellten sich auch Fragen zur wirtschaftlichen Stabilität Kenias. Mehrere internationale Institutionen boten deshalb ihre Unterstützung an und verlangten im Gegenzug steuerliche Massnahmen zur Stabilisierung der öffentlichen Finanzen. Trotz dieser Interventionen stuften die internationalen Ratingagenturen Moody’s, S&P und Fitch die Staatsanleihen Kenias im Laufe des Sommers herab.

Kenias Jugend lehnt das geplante Steuergesetz ab

Auf Ersuchen der internationalen Finanzinstitutionen legte die kenianische Regierung einen Entwurf für das Steuergesetz 2024–2025 vor, der im Juni 2024 vom Parlament verabschiedet wurde und eine Erhöhung der Steuereinnahmen um rund 10 Prozent (rund 2 Mrd. Franken) vorsah. Bestandteil des Gesetzesentwurfs waren höhere Abgaben auf Importe, Finanztransaktionen und den Kauf von Fahrzeugen sowie die Einführung von Steuern auf Produkte wie Brot (16%), Öl (25%), Hygieneartikel für Frauen, Babywindeln, Mobiltelefone und andere elektronische Geräte.

Der Gesetzesentwurf löste jedoch breite Proteste der kenianischen Jugend aus. Die «Generation Z» lehnte sich damit gegen Steuererhöhungen auf, die vor allem die Mittelschicht und Menschen mit geringem Einkommen getroffen hätten. Ein Grossteil der Bevölkerung unterstützt diese Bewegung. Auslöser der Proteste waren neben den steigenden Lebenshaltungs- und Gesundheitskosten auch Verschlechterungen im staatlichen Bildungswesen, die politische Korruption, die Untätigkeit der Behörden und der Mangel an beruflichen Perspektiven trotz des dynamischen Wirtschaftswachstums. Die Proteste zwangen Präsident Ruto, seinen Budgetentwurf zurückzuziehen und im Sommer die Regierung neu zu besetzen. Seither wurde kein neues Steuergesetz erlassen, obwohl weiterhin die Notwendigkeit besteht, die Steuereinnahmen zu erhöhen. Die Regierung muss sowohl die Forderungen der internationalen Institutionen erfüllen als auch auf die Unzufriedenheit der Bevölkerung reagieren.

Die kenianische «Generation Z» stellt in meinen Augen die grösste gesellschaftliche Bewegung der letzten Jahre dar. Diese gut ausgebildete Generation sorgt sich um die Zukunft des Landes, hinterfragt die politischen Behörden und will die treibende Kraft des Wandels sein. Sie anerkennt keine «Leader» und will sich von der herrschenden politischen Elite emanzipieren, da sie diese für unfähig hält und ihr vorwirft, sich mehr um ihre Eigeninteressen als um die Zukunft des Landes zu kümmern.

Es bleibt abzuwarten, ob die von der Jugend vertretenen Werte stärker sind als die politischen Ränkespiele der Etablierten und ob diese neue Generation in der Lage ist, ihre Forderungen zu bündeln und daraus ein tragfähiges politisches Projekt zu entwickeln. Paradoxerweise könnte der Verzicht der Jugend auf die Ernennung von Führungspersönlichkeiten zur Folge haben, dass der alten politischen Garde das Feld überlassen wird und es nicht zum Wandel kommt, den sich die Jugend und ein Grossteil der übrigen Bevölkerung im Land so sehr erhoffen.

  1. Siehe Daten des Internationalen Währungsfonds. []
  2. Siehe Annual Public Debt Management Report 2014/2015 und 2023/2024[]

Zitiervorschlag: Giulietti, Mirko (2025). Kenia: Ist die Staatsverschuldung Bremse oder Motor für einen Wandel? Die Volkswirtschaft, 13. Februar.

Serie: Blick in die WeltKenya Flag

Neugierig, was dieses oder jenes Land auszeichnet und mit der Schweiz verbindet? Schweizer Botschafterinnen und Botschafter im Ausland stellen ihr Gastland vor.

Staffel 1 widmet sich dem Thema «Staatsschulden» – von überraschend niedrigen bis zu extrem hohen.  Jeden Monat nehmen wir Sie mit in ein neues Land. Bereits erschienen: Schweden, Argentinien und Kenia. Es folgt Singapur.

Kenia in Zahlen (2023)
Einwohner (Wachstum)a 55,3 Millionen (+2%)
Währung Kenia-Schilling (KES)
BIP pro Kopfb (kaufkraftbereinigt) 6772 Dollar
(CH: 93’054 Dollar)
BIP-Wachstum (2024)b 5% (CH: +1,3%)
Arbeitslosenrate (ILO-Modell)a 5,7% (CH: 2,0%)
Schweizer Direktinvestitionen in Kenia (2022) 0,04% aller ausländischen Direktinvestitionen
Kenianische Direktinvestitionen in der Schweiz (2022) keine Angaben
Schweizer Exporte als Anteil aller Importe Keniasc 0,4% (36. Rang)
Kenianische Exporte als Anteil aller Importe der Schweizc 0,7% (26. Rang)
Schweizer Warenimporte aus Keniac Land- und Forstwirtschaft, Fischerei (96,2%); Textilien und Bekleidung (1,3%); Verschiedenes (0,9%)
Schweizer Exporte nach Keniac Chemie und Pharma (74,6%); Papier (8,5%); Maschinen (8,3)
Schuldenquote Gesamtstaatb 73,1% (CH: 31,9%)

a Weltbank b IWF (2024). World Economic Outlook, Oktober. c IWF (Stand 14.01.2025)