
Handel braucht sichere Verkehrswege: Ein Frachtschiff sinkt nach einem Raketenangriff der jemenitischen Huthi-Rebellen im Roten Meer. (Bild: Keystone)
Globale Produktionsnetzwerke sind mit erhöhten Risiken konfrontiert[1]: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Konflikt im Nahen Osten folgten auf die globale Coronapandemie und die Versorgungsengpässe der Jahre 2021 und 2022. Geopolitische Spannungen und nationale Sicherheitsbedenken spiegeln sich auch in der Handels-, der Investitions- und der Industriepolitik der grössten Volkswirtschaften der Welt.
Der Anteil gehandelter Güter, die von Einfuhrbeschränkungen der G20-Staaten betroffen sind, ist von 2,7 Prozent des globalen Warenhandels im Jahr 2015 auf 9,4 Prozent im Jahr 2024 stetig gestiegen.[2] Dabei handelt es sich meist um Zölle, aber auch Zollverfahren und mengenmässige Beschränkungen werden eingesetzt. Auch die Ausfuhrbeschränkungen haben zugenommen und wurden auf Lebensmittel sowie kritische Rohstoffe und Halbleiterkomponenten in hochtechnologischen Anwendungen angewendet. Vor diesem Hintergrund war die handelspolitische Unsicherheit zeitweise extrem hoch (siehe Abbildung 1).
Abb. 1: Die Unsicherheit in der Handelspolitik hat zugenommen (2015–2024)
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Anmerkung: Die handelspolitische Unsicherheit wird gemessen als die Häufigkeit des gemeinsamen Auftretens der Begriffe Handelspolitik und Unsicherheit in führenden Zeitungen. Der Index ist ein gleitender Durchschnitt über drei Monate.
Quelle: Caldara et al. (2020) / Die Volkswirtschaft
Handel mit wichtigen Gütern konzentriert sich
Aufgrund der stark vernetzten globalen Lieferketten können sich Störungen der Importe – sei es politisch bedingt oder aufgrund von Naturkatastrophen und Streiks – erheblich auf das Wirtschaftswachstum und möglicherweise auch auf die Beschäftigung auswirken. Viele Länder sind stark von Importen abhängig: In den Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) entsprachen die Importe 2024 im Median 42 Prozent ihres BIP. In der Schweiz waren es 61 Prozent des BIP, in Deutschland 38 Prozent und in den USA 14 Prozent.
Die Auswirkungen von Importstörungen sind typischerweise grösser, wenn bei der Herstellung in hohem Masse auf Zwischenprodukte zurückgegriffen wird und nur eine Handvoll Lieferanten verfügbar ist. Die Produktion bestimmter Güter hat sich stark auf spezialisierte Unternehmen und Länder konzentriert, während die globalen Wertschöpfungsketten länger und komplexer geworden sind.[3] In den verarbeitenden Industrien der meisten Mitgliedsstaaten der OECD entfallen rund 60 Prozent der Gesamtimporte auf nur fünf Länder.[4] China ist ein besonders kritischer Lieferant von Schlüsselgütern in globalen Lieferketten, darunter Computer und Elektronik, Basismetalle und Chemikalien.[5] Das zeigt auch eine aktuelle Umfrage der Europäischen Zentralbank: Ihr zufolge beziehen 40 Prozent der grossen europäischen Unternehmen kritische Vorleistungen aus China – und ein noch grösserer Teil der Firmen (60%) war der Ansicht, dass China erhebliche Risiken für die Lieferketten in ihrem Sektor darstellt.[6]
Diversifizieren und Handelsvorteile nutzen
Importlieferanten zu diversifizieren, hilft, das Risiko von Lieferunterbrüchen zu mindern, während gleichzeitig die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung genutzt werden können. Zu diesen Vorteilen gehören etwa die Möglichkeit, sich gegen allfällige inländische Angebotsengpässe abzusichern, sowie die Chance, Zugang zu Produkten und Vorleistungen zu erhalten, die im Inland nur teurer oder mit einer weniger neuen Technologie hergestellt werden können. Diese Faktoren verbessern die Effizienz und die Wahlmöglichkeiten für Konsumierende.
Die meisten Produkte könnten noch weiter diversifiziert werden. Denn im Allgemeinen stammen die Importe eines Landes nur von einer Teilmenge der Lieferanten, die auf dem Weltmarkt verfügbar sind.[7]
Der Grund, weshalb Handelsbeziehungen in der Regel so konzentriert sind, ist, dass sie erhebliche Investitionen mit sich bringen und für die meisten Unternehmen kostspielig zu errichten sind. Die Diversifizierung der Lieferanten bei gleichzeitiger Risikominderung ist ebenfalls mit unmittelbaren Kosten verbunden. Dennoch beginnen die Unternehmen zunehmend, ihre Lieferketten anzupassen. So ergab eine kürzlich durchgeführte Umfrage, dass rund die Hälfte der deutschen, italienischen und spanischen Produzenten, die stark von China abhängig sind, diese Risiken bereits aktiv reduziert oder plant, dies zu tun.[8]
Abhängigkeit von China nimmt ab
Um die Diversifizierung von geopolitischen Risiken für eine grössere Anzahl von Ländern zu messen, bietet sich ein leicht verfügbarer Indikator an: die Entwicklung der Importe von Industriegütern aus verschiedenen Ländern gemessen an den Gesamtimporten. Gemäss diesem Indikator lösen sich Europa, Japan und die USA vor allem von ihren Importabhängigkeiten gegenüber China. Zwischen 2021 und 2024 ist der Anteil chinesischer Importe in die USA um etwa 5,5 Prozent zurückgegangen. In Europa war der Rückgang mit 2,1 Prozent weniger dramatisch (siehe Abbildung 2). Im gleichen Zeitraum stiegen dafür die Importanteile Nordamerikas und Europas sowie die Importanteile der schnell wachsenden asiatischen Volkswirtschaften wie zum Beispiel Thailand oder Vietnam.
Diese sich ändernden Anteile können allerdings auf umgeleitete Importe aus Ländern wie China zurückzuführen sein, was auf eine Verlängerung der Lieferkette hindeutet, ohne dass sich die zugrunde liegenden Risiken dadurch verringern. Regierungen werden im Laufe der Zeit zusätzliche Daten sammeln müssen, um diese und andere potenzielle Risiken innerhalb globaler Wertschöpfungsketten zu überwachen.[9]
Abb. 2: USA und Europa: Chinesische Importanteile rückläufig (2021–2024)
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Bei den verschiedenen Warengruppen sind ganz unterschiedliche Diversifizierungsmuster zu beobachten. Ein Beispiel sind Halbleiter, die zur Herstellung vieler Industriegüter wie Autos und für technologische Anwendungen unerlässlich sind: Zwischen 2021 und 2024 sind die Importanteile von chinesischen Halbleitern in Europa um etwa 10,5 Prozentpunkte zurückgegangen. In den USA betrug der Rückgang sogar 14 Prozentpunkte. Im Gegensatz dazu ist die Abhängigkeit von China bei Elektrofahrzeugen in Europa und Japan stark gestiegen. In Europa machten chinesische Elektrofahrzeuge im ersten Halbjahr 2024 etwa ein Viertel aller Elektrofahrzeugimporte aus – in Japan war es sogar ein Drittel. In den USA lag der Anteil nahe null und damit weitgehend unverändert.
Diversifizierung bei wenigen globalen Lieferanten schwierig
So hilfreich Diversifizierung auch ist: Als Instrument zur Risikominderung ist ihre Wirkung begrenzt. Das gilt insbesondere dann, wenn es nur eine Handvoll globaler Lieferanten gibt. Solche konzentrierten globalen Märkte können aufgrund hoher Anlaufkosten, hoch entwickelter Technologien oder unlauterer Marktpraktiken entstehen, wie etwa nicht WTO-konformer Unterstützungen für Firmen. Einige kritische Rohstoffe können möglicherweise nur von einer Handvoll Standorten bezogen werden. Zwar könnten höhere Lagerbestände die Resilienz für einige Güter und gewisse Schocks erhöhen, sie sind jedoch kein Allheilmittel für alle Risiken globaler Wertschöpfungsketten.[10]
Eine verstärkte globale Zusammenarbeit in diesen und anderen Fällen könnte dazu beitragen, die Voraussetzungen für das Entstehen alternativer globaler Produzenten zu schaffen. Ein Beispiel ist etwa die Vereinbarung und Übernahme gemeinsamer oder geteilter Industrienormen für wichtige Zwischenprodukte in der industriellen Produktion. Dies kann zum Wachstum neuer Märkte beitragen – ähnlich wie bei jeder Generation von drahtlosen Netzwerken die internationalen Industrieorganisationen eine Reihe von Standards vereinbaren, um sicherzustellen, dass sie bestimmte Vorgaben erfüllen und so global vernetzbar sind und Skaleneffekte ermöglichen.[11] Solche Massnahmen könnten auf die Produkte mit den grössten Schwachstellen angewendet werden: In den OECD-Ländern gibt es rund 50 importierte Zwischenprodukte, die aufgrund der begrenzten Anzahl Lieferanten und der schwierigen Substituierbarkeit sehr anfällig für Lieferengpässe sind.[12]
Verkehrswege sichern
Massnahmen sind auch erforderlich, um globale Transportwege zu sichern. Im Jahr 2023 machten die weltweiten Containerschiffe, die das Rote Meer durchquerten, 12 Prozent des gesamten Welthandels auf dem Seeweg aus; bis Dezember 2024 ist diese Zahl gegenüber 2023 um 60 Prozent gesunken – grösstenteils wegen des Risikos von Angriffen im Roten Meer. Trotz dieses enormen Schocks zeugen die relativ geringen Auswirkungen auf die globalen Lieferketten von der Agilität der Supply-Chain-Manager – und von der Verfügbarkeit alternativer Transportrouten rund um das Kap der Guten Hoffnung sowie der Nutzung von Luftfracht.
Die internationale Zusammenarbeit braucht es, um die sichere Durchfahrt auf internationalen Wasserstrassen und im internationalen Luftraum zu gewährleisten und so den Handel zu unterstützen. Internationale Kooperationen sind auch nötig, um die Unterstützung für einen freien und regelbasierten Handel innerhalb des multilateralen Handelsrahmens sicherzustellen. In ihrer Gesamtheit werden diese Massnahmen, mit fortlaufenden Bemühungen die Widerstandsfähigkeit von Lieferketten zu stärken, die Diversifizierungsbemühungen von Unternehmen und Ländern ergänzen und so den Handel und seine Vorteile unterstützen.
- Dieser Artikel entspricht nicht der offiziellen Meinung der OECD oder ihrer Mitgliedsländer. Die geäusserten Meinungen und Argumente sind die der Autorin. []
- Siehe WTO Report on G20 Trade Measures, Absatz 3.24, S. 23. []
- Siehe Crowe und Rawdanowicz (2023). []
- Siehe Schwellnus et al. (2023). []
- Siehe Schwellnus et al. (2023). []
- Siehe Attinasi et al. (2023). []
- Siehe Berthou, Haramboure und Samek (2024). []
- Siehe Balteanu et al. (2024). []
- Siehe Crowe und Rawdanowicz (2023). []
- Siehe Crowe und Rawdanowicz (2023). []
- Siehe OECD (2019). []
- Siehe Berthou, Haramboure und Samek (2024). []
Literaturverzeichnis
- Attinasi et al. (2023). Global Production and Supply Chain Risks: Insights from a Survey of Leading Companies, Economic Bulletin, Issue 7, Europäische Zentralbank, November.
- Balteanu et al. (2024). European Firms Facing Geopolitical Risk: Evidence from Recent Eurosystem Surveys, VoxEU, Centre for Economic Policy Research, 18. Mai.
- Berthou, A., A. Haramboure und L. Samek (2024). Mapping and Testing Product-level Vulnerabilities in Granular Production Networks, OECD Science, Technology and Industry Working Papers, No. 2024/02, OECD Publishing, Paris.
- Crowe, D. und Ł. Rawdanowicz (2023). Risks and Opportunities of Reshaping Global Value Chains, OECD Economics Department Working Papers, No. 1762, OECD Publishing, Paris.
- OECD (2019). The Road to 5G Networks: Experience to Date and Future Developments, OECD Digital Economy Papers, No. 284, OECD Publishing, Paris.
- OECD (2023). OECD Economic Outlook, Volume 2023 Issue 1, OECD Publishing, Paris.
- Schwellnus, C. et al. (2023). Global Value Chain Dependencies under the Magnifying Glass, OECD Science, Technology and Industry Policy Papers, No. 142, OECD Publishing, Paris.
Bibliographie
- Attinasi et al. (2023). Global Production and Supply Chain Risks: Insights from a Survey of Leading Companies, Economic Bulletin, Issue 7, Europäische Zentralbank, November.
- Balteanu et al. (2024). European Firms Facing Geopolitical Risk: Evidence from Recent Eurosystem Surveys, VoxEU, Centre for Economic Policy Research, 18. Mai.
- Berthou, A., A. Haramboure und L. Samek (2024). Mapping and Testing Product-level Vulnerabilities in Granular Production Networks, OECD Science, Technology and Industry Working Papers, No. 2024/02, OECD Publishing, Paris.
- Crowe, D. und Ł. Rawdanowicz (2023). Risks and Opportunities of Reshaping Global Value Chains, OECD Economics Department Working Papers, No. 1762, OECD Publishing, Paris.
- OECD (2019). The Road to 5G Networks: Experience to Date and Future Developments, OECD Digital Economy Papers, No. 284, OECD Publishing, Paris.
- OECD (2023). OECD Economic Outlook, Volume 2023 Issue 1, OECD Publishing, Paris.
- Schwellnus, C. et al. (2023). Global Value Chain Dependencies under the Magnifying Glass, OECD Science, Technology and Industry Policy Papers, No. 142, OECD Publishing, Paris.
Zitiervorschlag: MacLeod, Catherine (2025). Krisenresistente Lieferketten: Diversifizierung ist nur ein Teil der Lösung. Die Volkswirtschaft, 04. Februar.