Neue Arbeitswelt hält Arbeitsinspektorate auf Trab

Uber Eats verbindet Bestellende direkt mit Kurierfahrern. Wie gut können Arbeitsinspektorate hier ihre Aufgabe wahrnehmen? (Bild: Keystone)
Arbeitsinspektorate kontrollieren, ob die Vorschriften zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit von Arbeitnehmenden eingehalten werden. Im Zentrum stehen dabei das Unfallrisiko und technische Präventionsmassnahmen zur Eindämmung der Häufigkeit und der Schwere von Unfällen.[1] Diese Risiken sind vielfältiger und komplexer geworden: Inspektorate müssen nicht mehr nur Massnahmen zum körperlichen Schutz der Beschäftigten wie das Tragen von Helmen auf Baustellen überprüfen, sondern auch psychosoziale Risiken wie Depressionen oder Burn-out erkennen, die typisch für neue Arbeitsformen sind.
Aufgrund dieser Entwicklung hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) die Fachhochschule für Soziale Arbeit und Gesundheit Lausanne (HETSL) beauftragt, anhand der internationalen Fachliteratur zu analysieren, wie sich die Veränderungen in der Arbeitswelt auf die Tätigkeit der Inspektorate auswirken.[2] Besonders schwierig gestaltet sich die Arbeit der Inspektorate, weil nicht nur neue Risiken auftreten, sondern weil sich auch das Umfeld aufgrund sich diversifizierender betrieblicher Strukturen, Organisationen und Arbeitsverhältnisse wandelt (siehe Abbildung). Dieser Artikel befasst sich hauptsächlich mit den Auswirkungen atypischer Beschäftigungsformen, die auf veränderte Unternehmensstrukturen und Arbeitsverhältnisse zurückzuführen sind.
Die Arbeitswelt verändert sich schnell und tiefgreifend
Atypische Beschäftigungsformen sind im Trend
David Weil, Wirtschaftsprofessor und ehemaliger Leiter der nationalen Arbeitsinspektion in den USA unter den Präsidenten Barack Obama und Joe Biden, beschreibt die seit den 1970er-Jahren zu beobachtende Fragmentierung der Arbeitsplätze wie folgt: Mitarbeitende, die am gleichen Ort arbeiten und allenfalls sogar die gleiche Arbeit verrichten, sind nicht mehr beim Hauptunternehmen angestellt, sondern beispielsweise bei externen Subunternehmen, bei einem Personalverleih, oder sie arbeiten als Selbstständigerwerbende.[3] Diese «atypischen»[4] Beschäftigungsformen sind seit den 1980er-Jahren nicht mehr nur seltene Ausnahmen: Auch in der Schweiz war 2022 jede zehnte Stelle dieser Kategorie zuzurechnen.[5] Diese Beschäftigungsformen sind mit grösseren Gesundheitsrisiken verbunden, die zunehmend von den Betroffenen selbst getragen werden und so ihre Verwundbarkeit weiter erhöhen.
Die Arbeitsinspektorate wurden im 20. Jahrhundert im Kontext überwiegend typischer Arbeitsverhältnisse aufgebaut. Nun stehen sie vor neuen Herausforderungen, denn der wachsende Anteil atypischer Beschäftigungen und die vielfältigen Arbeitsverhältnisse innerhalb eines Unternehmens gefährden die wirtschaftliche, körperliche und psychische Sicherheit der Arbeitnehmenden. So werden Personen in atypischen Arbeitsverhältnissen beispielsweise nicht immer für ihre gesamte Arbeitszeit entlöhnt. Dies gilt insbesondere für die Reinigungsbranche, wo die Fahrtzeiten zwischen verschiedenen Arbeitsorten nicht als Arbeitszeit gelten.[6]
Wenn ein Inspektor einen solchen Verstoss feststellt, ist nicht immer klar, wer dafür verantwortlich ist: der Auftraggeber, das Subunternehmen oder der Personalverleih? Dass die Aufgaben der Inspektorate immer komplexer werden, ist umso problematischer, als ihre finanziellen und personellen Ressourcen in den letzten Jahren deutlich abgenommen haben.[7] Entsprechend warnte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) bereits 2006, dass «die Arbeitsinspektorate in vielen Ländern nicht in der Lage sind, ihre Rolle und ihre Aufgaben wahrzunehmen».[8]
Digitale Plattformen und Homeoffice erschweren Kontrollen
Nicht nur bei atypischen Arbeitsverhältnissen, sondern auch bei neuen Arbeitsformen stellt sich die Frage, ob die Inspektorate ihre Aufgabe weiterhin wahrnehmen können, insbesondere im Zusammenhang mit Plattformunternehmen wie Deliveroo, Amazon Turk oder Uber, die sich im Zuge neuer Technologien entwickelt haben. Die Plattformen vermitteln zwischen Produzenten, Konsumenten und Arbeitnehmenden. Dabei kommt es immer häufiger vor, dass Personen als Selbstständigerwerbende Leistungen für solche Plattformen erbringen, zum Beispiel bei der Reinigung von Bürogebäuden, der Pflege älterer Menschen oder bei Essenslieferungen.
Der Status als Selbstständigerwerbende führt dazu, dass sie nicht mehr der Aufsicht durch die Inspektorate unterliegen und somit nicht vom gleichen Schutz wie Angestellte profitieren. Verschiedene Behörden von Genf bis Spanien haben aufgrund des Widerstands von Arbeitnehmenden, Gewerkschaften, lokalen Behörden und privaten Akteuren wie Taxiverbänden versucht, eine Neueinstufung dieser Personen als Angestellte der Plattformunternehmen zu erreichen. In der EU wurde mit der Richtlinie vom 23. Oktober 2024[9] zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit das Prinzip der «gesetzlichen Vermutung eines Arbeitsverhältnisses» in allen Mitgliedsländern eingeführt sowie die Verpflichtung der Plattformen zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz. Diese gesetzlichen Änderungen eröffnen den Inspektoraten neue Möglichkeiten, in diesem Bereich tätig zu werden.
Auch die Zunahme von Homeoffice mit der Coronapandemie zeigt die aktuellen Veränderungen in der Arbeitswelt. Zwar bietet Telearbeit für die Arbeitnehmenden den Vorteil, dass sie die Arbeitszeit frei einteilen und so Beruf und Familie besser vereinbaren können. Verschiedene Studien zeigen jedoch, dass Personen im Homeoffice länger und intensiver arbeiten. Damit verstärken sich sowohl körperliche Risiken wie Bewegungsmangel oder Muskel- und Gelenkbeschwerden als auch psychosoziale Risiken wie Isolation oder Konflikte.[10]
Für die Arbeitsinspektorate ist es bei Plattform- und Telearbeit somit schwieriger, die gesundheitlichen Risiken der Arbeitnehmenden und die Verantwortung der Arbeitgebenden zu klären, zu messen und Zugang zu den verstreuten Arbeitsorten zu erhalten.
Neue Strategien der Arbeitsinspektorate
Mithilfe der Fachliteratur haben wir untersucht, welche Strategien die Aufsichtsbehörden weltweit anwenden, um den genannten Veränderungen in der Arbeitswelt Rechnung zu tragen (siehe Tabelle).
Anpassungen der in- und ausländischen Arbeitsinspektorate
Strategien | Formen und Inhalt |
Interne Reorganisation |
– Einsatz digitaler Instrumente (digitalisierte Register, Hotline usw.) – Stärkung und Anpassung der Inspektorenausbildung – Standardisierung und Transparenz der Inspektionsbesuche – Optimierung der Erhebung und der Analyse von Daten – Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen für neue Leistungen |
Kombination von Inspektionsmassnahmen |
– Aufklärung (Dialog) und Abschreckung (Bussen) – Proaktive und reaktive Inspektionsansätze – Gezielte Interventionen (Branchen, Firmen, Risiken, Regionen) – Mittel- und langfristige strategische Vision |
Strategische Zusammenarbeit |
– Zusammenarbeit mit anderen (inter)nationalen Inspektoraten – Zusammenarbeit mit Gewerkschaften – Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Akteuren (Sozialdienste, Gerichte usw.) – Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft |
Quelle: Eigene Darstellung der Autoren / Die Volkswirtschaft
Unsere Analyse zeigt, dass die Arbeitsinspektorate drei Arten innovativer Methoden eingeführt haben. Erstens organisieren sie sich intern neu, zum Beispiel durch den Einsatz digitaler Hilfsmittel wie elektronischer, in Echtzeit aktualisierter Register oder Hotlines, um die Datenerhebung und -analyse zu verbessern. Zweitens kombinieren die Inspektorate mehrere Ansätze, um die Unternehmen zur Einhaltung der Normen zu bewegen: Aufklärung (insbesondere Sensibilisierung der Arbeitgeber für gute Anwendungsbeispiele), Prävention (durch Schulungen oder Broschüren) und Sanktionen. Drittens arbeiten sie zum Teil mit anderen Regulierungsakteuren zusammen. In mehreren Ländern wie Australien und Polen oder in Skandinavien arbeiten die Inspektorate eng mit den Sozialpartnern zusammen, insbesondere mit Arbeitnehmenden und Gewerkschaften, da diese über die aktuellen Verhältnisse vor Ort sowie über mögliche daraus resultierende Risiken und konkrete Korrekturmassnahmen am besten informiert sind.[11]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich der Wandel der Arbeitswelt erheblich auf die Tätigkeit der Inspektorate weltweit auswirkt: Diese sind mit prekären, manchmal schwierig einzuordnenden Arbeitssituationen konfrontiert, die in einen komplexen Kontext mit fragmentierten Arbeitsorten eingebettet sind und zunehmende psychosoziale Risiken mit sich bringen. Welche Massnahmen zur Bewältigung dieser Herausforderungen beitragen können, ist von der lokalen Situation und den verfügbaren Ressourcen abhängig. Die Literatur weist jedoch darauf hin, dass die Inspektorate für ihre Aufsicht mit Vorteil eine Strategie wählen, bei der sie mit weiteren an der Regulierung des Arbeitsmarkts beteiligten Akteuren zusammenarbeiten und die Arbeitnehmenden stärker einbeziehen.
- Siehe Walters et al. (2011). []
- Siehe Pelizzari, Pons-Vignon und Martinelli (2024). []
- Siehe Weil (2014). []
- Siehe Internationale Arbeitsorganisation (2016). []
- Siehe Bundesamt für Statistik (2022). []
- Siehe Devetter und Valentin (2021). []
- Siehe Website des Europäischen Gewerkschaftsbunds. []
- Siehe Internationales Arbeitsamt (2006). []
- Siehe Richtlinie (EU) 2024/2831 des Europäischen Parlaments und des Rats. []
- Siehe dazu Vayre (2019) und Cianferoni (2023). []
- Siehe Amengual und Fine (2017) sowie Vogel (2016). []
Literaturverzeichnis
- Amengual, M. und J. Fine (2017). Co-enforcing Labor Standards: the Unique Contributions of State and Worker Organizations in Argentina and the United States. Regulation and Governance, 11(2), 129–142.
- Bundesamt für Statistik (2022). Atypische Beschäftigungsformen 2010–2020. BFS, Neuenburg.
- Cianferoni N. (2023). Heute Homeoffice, morgen Rückenschmerzen? Die Volkswirtschaft, 5. Dezember.
- Devetter, F-X und J. Valentin (2021). Deux millions de travailleurs et des poussières. L’avenir des emplois du nettoyage dans une société juste. Les Petits Matins, Paris.
- Internationales Arbeitsamt (2006). Strategien und Praxis im Bereich der Arbeitsaufsicht. IAA, Genf.
- Internationale Arbeitsorganisation (2016). Non-standard Employment Around the World: Understanding Challenges, Shaping Prospects. IAO, Genf.
- Pelizzari, A., N. Pons-Vignon und A. Martinelli (2024). Les inspections du travail face aux transformations du marché du travail. Haute école de travail social et de la santé, Lausanne.
- Vayre, E. (2019). Les incidences du télétravail sur le travailleur dans les domaines professionnel, familial et social. Le travail humain, 82(1), 1–39.
- Vogel, L. (2016). Inspection et syndicats: rencontre et plus si affinités…. HesaMag, Nr. 14, 18–20.
- Walters, D., R. Johnstone, K. Frick, M. Quinlan, G. Baril-Gingras und A. Thébaud-Mony (2011). Regulating Workplace Risks: A Comparative Study of Inspection Regimes in Times of Change. Edward Elgar.
- Weil, D. (2014). The Fissured Workplace. Why Work Became So Bad for So Many and What Can Be Done to Improve It. Harvard University Press.
Bibliographie
- Amengual, M. und J. Fine (2017). Co-enforcing Labor Standards: the Unique Contributions of State and Worker Organizations in Argentina and the United States. Regulation and Governance, 11(2), 129–142.
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- Weil, D. (2014). The Fissured Workplace. Why Work Became So Bad for So Many and What Can Be Done to Improve It. Harvard University Press.
Zitiervorschlag: Pons-Vignon, Nicolas; Martinelli, Aris; Pelizzari, Alessandro (2025). Neue Arbeitswelt hält Arbeitsinspektorate auf Trab. Die Volkswirtschaft, 25. Februar.