Widerstandsfähige Schweizer Wirtschaft: Die Gründe

Auch die Schweiz bleibt nicht von Krisen verschont. Doch die wirtschaftlichen Einbrüche sind oft geringer als in anderen Ländern. (Bild: Keystone)
In den letzten 25 Jahren blieb die Schweiz nicht von Krisen verschont. Der Energiepreisschock im Zuge des Ukraine-Kriegs führte europaweit zu massiven Preisanstiegen und zu Knappheiten bei Energieträgern. Die Coronapandemie führte gar weltweit zu Produktionsstopps und Verwerfungen der Lieferketten wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Zuvor wurde die Schweiz bereits 2012 und 2015 von zwei massiven Aufwertungen des Schweizer Frankens getroffen. Und 2008 geriet sie in den Strudel der internationalen Finanzkrise.
In all diesen Krisen hat die Schweizer Volkswirtschaft ihre Widerstandskraft unter Beweis gestellt. Während andere Länder jüngst die Verletzlichkeit ihrer Lieferketten und der Wirtschaft in den Fokus stellten, betonten viele Ökonomen die hohe Resilienz der Schweiz.
Resilient – aber weshalb?
Die Schweiz ist als Kleinstaat besonders abhängig vom internationalen Handel. Daher müsste sie doch eigentlich auch besonders stark von solchen internationalen Schocks getroffen werden. Doch die makroökonomischen Daten zum Beispiel während der Coronapandemie, der Finanzkrise oder der Ukraine-Krise zeigen das Gegenteil: Die Einbrüche des Bruttoinlandprodukts (BIP) blieben geringer (siehe Abbildung 1), und der Anstieg von Inflation und der Arbeitslosigkeit war nicht so stark wie in anderen Ländern. Zudem entwickelten sich die Schweizer Staatsschulden ausserordentlich stabil. Kurz: Unsere Volkswirtschaft manövrierte mit bemerkenswerter Resilienz (siehe Kasten) durch diese Krisen.
Die Erklärungen dafür sind so komplex wie vielfältig. Ob Schweizer Unternehmen aus betriebswirtschaftlichen Gründen besser aufgestellt sind, sei dahingestellt.[1] Oft hat die Schweiz von einer vorteilhaften Branchenstruktur[2] profitiert. So hat beispielsweise in der Coronapandemie die Tourismusbranche besonders gelitten, die in der Schweiz aber weniger bedeutend ist als in anderen Ländern. Stattdessen hat die hierzulande bedeutende Pharmaindustrie das BIP stabilisiert. Mit Sicherheit lässt sich die hohe Resilienz aber auch durch die stabilen und günstigen Rahmenbedingungen erklären, welche die Schweizer Politik gesetzt hat. Der Fokus auf Offenheit, Wettbewerb und Flexibilität ist dabei zentral.
Abb. 1: Die Schweiz kam wirtschaftlich besser durch Coronapandemie und Finanzkrise
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Internationale Vernetzung und Wettbewerb machen fit
Die Abhängigkeit der Schweiz von Importen und Exporten ist seit Jahrzehnten sehr hoch und hat seit 1995 noch beträchtlich zugenommen (siehe Abbildung 2). Dennoch hat sich die Handelsabhängigkeit während der zahlreichen Krisen der letzten 15 Jahre offensichtlich nicht als Nachteil erwiesen. Zwar werden über den Handelskanal einerseits wirtschaftliche Schocks im Ausland schneller in die Schweiz getragen. Andererseits hilft die aussergewöhnlich hohe internationale Verflechtung und Diversifizierung[3] dabei, solche Schocks gleich wieder abzufedern. Denn Handel ermöglicht es den Unternehmen, einfacher auf alternative Lieferanten oder Abnehmer auszuweichen.
Bei Währungsschocks erfolgt über die Importe zudem ein sogenanntes Natural Hedging: Eine Frankenaufwertung belastet zwar die Exporte, gleichzeitig werden aber die Importe in ähnlichem Umfang günstiger, was einen Währungsschock gesamtwirtschaftlich dämpft.
Die starke internationale Vernetzung ermöglicht aber nicht nur Diversifikation, sie erhöht auch den Wettbewerbsdruck. Viele Schweizer Unternehmen sind einem harten internationalen Konkurrenzkampf ausgesetzt. Sie können nur bestehen, wenn sie zu den Besten der Welt gehören. Wettbewerb im Allgemeinen trimmt die Unternehmen auf Effizienz und Agilität, was nicht zuletzt im Krisenfall hilft. Grundlage hierfür ist die auf Offenheit und Wettbewerb ausgerichtete Wirtschaftspolitik mit einer griffigen Wettbewerbsgesetzgebung.
Abb. 2: Die Aussenhandelsverflechtung der Schweiz hat stetig zugenommen (1995–2023)
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Strukturwandel zulassen und Arbeitsmarkt flexibel halten
Zentral ist ausserdem, dass die Schweiz stets offen für Strukturwandel war. Ganz im Gegenteil führen Industriepolitik und Protektionismus in der Praxis meist dazu, dass ein Land ausgerechnet seine schwachen Strukturen pflegt und erhält. Die Wirtschaft wird dadurch abhängiger von strukturschwachen Unternehmen, und ineffiziente Lieferketten werden zementiert. Das schadet eindeutig der Resilienz. Je mehr strukturschwache Unternehmen durch bevorzugte Behandlung «geschützt» werden, desto stärker kommt eine Wirtschaft ins Schlingern, wenn eine Krise zuschlägt.
Ebenso wichtig, damit Arbeitskräfte und Unternehmen agil bleiben, sind ein starkes, durchlässiges Bildungssystem und der flexible Arbeitsmarkt[4]. Die Arbeitslosenversicherung ist einerseits wichtig als soziales Auffangnetz und wirkt in einer Krise als automatischer Stabilisator. Andererseits sollte sie aber keine Strukturen zementieren (beispielsweise über einen übermässig stark ausgebauten Kündigungsschutz) und Anreize setzen für eine rasche Reintegration in den Arbeitsmarkt. Die Schweiz hält dieses Gleichgewicht zwischen stabilisierenden und flexiblen Elementen im europäischen Vergleich gut.
Interventionen: Gezielt, aber begrenzt
Überraschen mag auch, dass die Schweiz in Krisen eher zurückhaltend interveniert und trotzdem – oder gerade deswegen – resilient ist. Staatliche Unterstützung kann im Notfall sehr wichtig sein, wie die Coronapandemie gezeigt hat. Allerdings können von ihr auch Fehlanreize ausgehen. So können À-fonds-perdu-Unterstützungen mit der Giesskanne Produktionsanreize verringern. Rückzahlbare Liquiditätshilfen, wie sie die Schweiz zu Beginn der Pandemie massiv eingesetzt hat, halfen hingegen, dass Anreize zur Produktion intakt geblieben sind dort, wo die Betriebe nicht ganz geschlossen werden mussten. Auch deutet die Literatur darauf hin, dass Eingriffe in den Marktmechanismus der Resilienz abträglich sind.[5] So führen etwa Preisdeckelungen bei Treibstoffen und Energie dazu, dass Sparanreize verloren gehen, was die Reallokation von Produktionsfaktoren behindert.
Schliesslich kann die Bedeutung eines nachhaltigen Staatshaushalts kaum überschätzt werden. Denn er ist erstens die Voraussetzung dafür, dass der Staat in Krisen genügend Mittel hat, um notfalls intervenieren zu können. Zweitens ist er die Voraussetzung dafür, dass vom Staat selbst keine Instabilität ausgeht. So gingen Staatsschuldenkrisen historisch gesehen meist mit äusserst starken Wirtschaftsabschwüngen einher. Die Schweizer Schuldenbremse dient diesem Ziel und wirkt dabei antizyklisch: In guten Zeiten ist die Politik gezwungen, ihre Ausgaben eher zu bremsen. Das trägt dazu bei, dass diese regelmässig überdenkt und priorisiert werden müssen. In schlechteren Zeiten stehen demgegenüber entsprechende Mittel für Mehrausgaben zur Verfügung.
Wirtschaftspolitik nicht neu ausrichten
Selbstverständlich gilt es, die Resilienz der Schweizer Volkswirtschaft nach Möglichkeit weiter zu erhöhen. Gleichzeitig wäre es aber ein gefährlicher Trugschluss, einzig aufgrund des Auftretens dieser Krisen die Wirtschaftspolitik grundlegend umkrempeln zu wollen. Denn vielmehr hat gerade diese erst dazu beigetragen, dass hierzulande die Resilienz trotz zahlreicher Krisen aussergewöhnlich hoch ist. Vorteilhaft ist diese Stossrichtung ausserdem, weil sie neben der Resilienz auch die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit in der Schweiz stärkt – ganz im Gegensatz zu alternativen Massnahmen wie etwa einem «Reshoring» von Produktionsprozessen zurück in die Schweiz über Zölle oder Subventionen.
Literaturverzeichnis
- BAK Economic Intelligence (2017). Resilienz der Schweizer Volkswirtschaft, Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, August.
- Bundesrat (2024). Handelsabhängigkeiten der Schweiz. Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Postulate 22.3405, Sozialdemokratische Fraktion, 9. Mai 2022, und 23.3543, Marti, 4. Mai 2023. Bern, 22. Mai.
- Bundesrat (2022). Essentielle Güter. Wirtschaftliche Abhängigkeit verringern. Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Motion 20.3268 Häberli-Koller vom 4. Mai 2020. Bern, 31. August.
- Eichengreen et al. (2024). Economic Resilience: Why Some Countries Recover More Robustly than Others from Shocks. Economic Modelling, Vol. 136.
- Hochschule Luzern (2023). Finanzielle Resilienz von Unternehmen in der DACH-Region, ERM-Report.
- Jollès et al. (2023). Determinants of Macroeconomic Resilience in the Euro Area: An Empirical Assessment of National Policy Levers. Economic Systems, Vol. 47, No. 3.
- Sondermann, David (2018). Towards More Resilient Economies: The Role of Well-Functioning Economic Structures. Journal of Policy Modeling, Vol. 40, No. 1.
Bibliographie
- BAK Economic Intelligence (2017). Resilienz der Schweizer Volkswirtschaft, Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, August.
- Bundesrat (2024). Handelsabhängigkeiten der Schweiz. Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Postulate 22.3405, Sozialdemokratische Fraktion, 9. Mai 2022, und 23.3543, Marti, 4. Mai 2023. Bern, 22. Mai.
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- Sondermann, David (2018). Towards More Resilient Economies: The Role of Well-Functioning Economic Structures. Journal of Policy Modeling, Vol. 40, No. 1.
Zitiervorschlag: Indergand, Ronald (2025). Widerstandsfähige Schweizer Wirtschaft: Die Gründe. Die Volkswirtschaft, 27. Februar.
Eine Volkswirtschaft gilt in der Literatura einerseits als resilient, wenn sie ökonomische Schocks schnell absorbieren kann, sodass eine Rezession weniger tief ausfällt. Andererseits wird Resilienz auch über die Dauer von Krisen definiert. Je resilienter eine Volkswirtschaft, desto schneller findet sie wieder zurück in ihren Normalzustand. Die Literatur zu den Determinanten von Resilienz ist bislang nicht besonders gross. Als zuträglich werden jedoch einhellig genannt: stabile Rahmenbedingungen, flexible Arbeitsmärkte, kompetitive Produktmärkte, offener Handel, eine tiefe private und öffentliche Verschuldung und gute automatische Stabilisatoren wie die Arbeitslosenversicherung.
a Siehe etwa Eichengreen et al. (2024).