
Verlassene Fabrik in Brooklyn: Handel kann in gewissen Branchen Jobs kosten, schafft aber auch neue. (Bild: Keystone)
Was die Handelstheorie lehrt, bestätigt auch die Empirie: Durch die internationale Arbeitsteilung kann mit beschränkten Ressourcen mehr hergestellt und damit auch mehr konsumiert werden.[1] Oder, ein Argument, das in der künftigen Diskussion um Handel noch bedeutender werden wird: Durch internationalen Handel kann ein bestimmtes Konsumniveau mit geringerem Ressourcenverbrauch erreicht werden. Das ist deshalb relevant, weil die globalen Ressourcen beschränkt sind. Zunehmend knapp werden etwa die Aufnahmefähigkeit der Umwelt für CO2, erneuerbare Ressourcen wie Fische im Meer, spezielle Rohstoffe wie die seltenen Erden, aber auch Fachkräfte in einigen Ländern.
Internationale Arbeitsteilung bedeutet, dass sich die in der Weltwirtschaft integrierten Länder spezialisieren. Sie stellen das her, was sie relativ gut können, und überlassen die Produktion der übrigen Güter denjenigen Ländern, die dafür relativ wenig Aufwand betreiben müssen. Die Schweiz als kleine, offene Volkswirtschaft ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich ein Land auf bestimmte Güter und Dienstleistungen, wie pharmazeutische Produkte, Uhren oder Zwischenprodukte für die ausländische Automobilindustrie, spezialisiert und dafür Güter wie Computer und Autos vollständig importiert.
Handel bringt auch Herausforderungen mit sich
Allerdings: Die Gewinne aus dem Handel kommen nicht umsonst. Damit sich die Spezialisierungsvorteile realisieren lassen und der Handel eine breite Unterstützung in der Bevölkerung findet, müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein.
Erstens darf der Handel nicht zulasten der Umwelt erfolgen. Dies bedeutet, dass parallel zur Handelsliberalisierung der zunehmende Transport und die Emissionen durch die Produktion in den Partnerländern mit CO2-Abgaben belastet werden müssen. Im Fachjargon sagt man: Negative Externalitäten gilt es über den Preismechanismus zu internalisieren.
Zweitens impliziert die Spezialisierung, dass die expandierenden Exportbranchen Arbeitsplätze schaffen. Gleichzeitig verschwinden aber Jobs in denjenigen Branchen, die der Importkonkurrenz ausgesetzt sind. Eine offene Volkswirtschaft und ihre Bevölkerung müssen sich also einem laufenden Strukturwandel stellen. Dabei entstehen innerhalb des Landes auch Verlierer, die über das Sozialversicherungssystem temporär und über das Steuersystem permanent aufgefangen werden müssen.
Drittens führt die Spezialisierung dazu, dass das Land abhängiger vom Ausland wird. Denn gewisse Güter und Dienstleistungen werden nicht mehr selber hergestellt, sondern neu importiert. Das Inland wird dadurch verletzlicher, beispielsweise wenn durch unerwartete Ereignisse die Lieferkette im Ausland unterbrochen wird. Umgekehrt kann das Land aber auch profitieren, etwa wenn im Inland Engpässe (z. B. infolge einer schlechten Ernte oder von Energieknappheit) entstehen, die über den Handel ausgeglichen werden können.
Kleine Länder gewinnen und leiden mehr
Für kleine Länder wie die Schweiz sind die Auswirkungen von Handelsliberalisierungen ausgeprägter als für grosse, bevölkerungsreiche Nationen. Einerseits profitieren Kleinstaaten mehr von einer handelspolitischen Öffnung, weil die Preise derjenigen Güter, die importiert werden, stärker sinken. Und auch die Produktauswahl nimmt mehr zu als in grossen Ländern, die sich dem Handel öffnen. Mit der Handelsliberalisierung steigt deshalb das Realeinkommen von Kleinstaaten prozentual stärker.
Andererseits führt die Handelsöffnung für Kleinstaaten wie die Schweiz dazu, dass sie auf weniger Branchen spezialisiert sind als ein grosses Land. Weil in Kleinstaaten also eine geringere Anzahl von Branchen produziert, sind Kleinstaaten abhängiger und verwundbarer als grosse Länder. Deshalb besteht in kleinen Ländern eher Bedarf, eine minimale Grundversorgung mit notwendigen Gütern und Dienstleistungen wie Nahrungsmitteln, Energie oder Medikamenten sicherzustellen – auch wenn sie dies teuer zu stehen kommt, etwa durch gesellschaftlich finanzierte Pflichtlager oder Produktionsbeiträge.[2]
Firmen: Zunehmend fragmentierte Produktion
Firmen müssen sich vor diesem Hintergrund gut überlegen, in welchen Branchen und Nischen sie aktiv sein können. Sie werden in einem Land typischerweise das produzieren, was sich aufgrund der dortigen technologischen und institutionellen Situation sowie der Verfügbarkeit von Fachkräften gut eignet. In der Schweiz sind dies vor allem hoch spezialisierte Produkte, die hoch qualifizierte Arbeitskräfte erfordern.
Die weltwirtschaftliche Entwicklung gibt den Unternehmen zunehmend die Möglichkeit, einzelne Fragmente in der Herstellungskette an verschiedenen Standorten anzusiedeln und so die Wertschöpfungskette zu internationalisieren. Davon machen vor allem Grossunternehmen Gebrauch, auch wenn die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien die Internationalisierung der Wertschöpfungsketten für alle Firmen grundsätzlich erleichtern. Doch die Abstimmung zwischen den an verschiedenen Standorten durchgeführten Produktionsschritten hat fixe Koordinationskosten zur Folge, die grosse Firmen einfacher über grössere Produktionsmengen verteilen können.[3] Für sie lohnt sich deshalb eine fragmentierte, internationale Produktion mehr als für kleine und mittlere Unternehmen. Grossfirmen können so ihre Effizienz steigern, was ihnen erlaubt, im Konkurrenzkampf zu bestehen. Gleichzeitig nimmt aber auch die internationale Arbeitsteilung – und damit die Abhängigkeit und die Verwundbarkeit – zu.
Nearshoring kann Vorteile bringen
Abhängigkeit und Verwundbarkeit können durch eine Diversifizierung der Zulieferer verringert werden. Eine andere Möglichkeit bietet das sogenannte Nearshoring. Dabei werden Kernaktivitäten und die Produktion zentraler Zulieferteile und Vorleistungen an den Hauptstandort oder in die Nähe davon verlagert. Das kann Vorteile bringen. Denn das Unternehmen erhöht dadurch die Kontrolle, kann unternehmerische Risiken besser abschätzen und einfacher ein Vertrauensverhältnis mit den Lieferanten aufbauen. Bei der Bewältigung unerwarteter Krisen ist das hilfreich.
Für viele Firmen mit Hauptstandort Schweiz lautet die entscheidende Frage: Welche Arbeitsschritte in Produktion und Entwicklung kann man ins Ausland verlagern, und welche sollte man im Inland belassen? Unsere neueste Forschung weist darauf hin, dass eine erfolgreiche Innovationstätigkeit (mehrheitlich von Firmen) mit einer geografisch nahe gelegenen Grundlagenforschung (mehrheitlich an Universitäten) einhergeht.[4] Mit anderen Worten: Firmen sollten ihre Entwicklungsabteilungen mit Vorteil an Standorten mit international führender Grundlagenforschung platzieren. Und Länder können die Innovationstätigkeit fördern, indem sie die Grundlagenforschung fördern. Ähnlich wichtig scheint die Verfügbarkeit von umfassenden und qualitativ hochstehenden Daten (z. B. Patientendaten) am Forschungs- und Entwicklungsstandort von Firmen (zumindest für die Pharmaunternehmen) zu sein.[5]
Diese beiden Zusammenhänge sind bei der Standortoptimierung von Unternehmen und Regierungen nicht zu unterschätzen. Die Schweiz steht hier vor einer grossen Herausforderung. Wenn wir davon ausgehen, dass Produkte künftig zunehmend im Ausland entstehen, wird es für den Erhalt des hohen Wohlstands in der Schweiz entscheidend sein, dass zumindest die Ideenentwicklung in der Schweiz bleibt und durch Patente geschützt wird. Die Politik in der Schweiz ist also gefordert: Erstens muss sie vor allem die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung mit öffentlichen Mitteln erhalten. Und zweitens braucht es schweizweit eine professionelle (Patienten-)Dateninfrastruktur, um einer Erosion des Forschungsstandorts nicht nur im Pharmabereich entgegenzutreten.
- Siehe z. B. Ossa (2015) und Feenstra (2018). []
- Solche Ziele können mit direkten Massnahmen wie Subventionen allerdings effizienter erreicht werden als mit Handelsbeschränkungen. Siehe Weder (2018). []
- Siehe Rutzer und Weder (2021, Kapitel 8). []
- Filimonovic, Macher, Rutzer und Weder (2024). []
- Bentele und Weder (2024). []
Literaturverzeichnis
- Bentele, Riccardo und Rolf Weder (2024). On the Importance of Swiss Patient Data for Pharmaceutical R&D in Switzerland, WWZ Working Paper 2024/02.
- Feenstra, Robert C. (2018). Alternative Sources of the Gains from International Trade: Variety, Creative Destruction, and Markups, in: Journal of Economic Perspectives, 32, 2, 25–46.
- Filimonovic, Dragan, Jeffrey Macher, Christian Rutzer und Rolf Weder (2024). Does Early Regional Scientific Leadership Translate Into Lasting Innovation Advantage?, WWZ Working Paper 2024/11.
- Ossa, Ralph (2015). Why Trade Matters After All, in: Journal of International Economics, 97, 266–277.
- Rutzer, Christian und Rolf Weder (2021). De-Industrialisierung der Schweiz? Fakten, Gründe und Strategien im internationalen Vergleich, Springer Gabler.
- Weder, Rolf (2018). WTO Trade Policy Review for Switzerland: In Need for a New Paradigm, in: The World Economy, 2018, 41, 12, S. 3524–3535.
Bibliographie
- Bentele, Riccardo und Rolf Weder (2024). On the Importance of Swiss Patient Data for Pharmaceutical R&D in Switzerland, WWZ Working Paper 2024/02.
- Feenstra, Robert C. (2018). Alternative Sources of the Gains from International Trade: Variety, Creative Destruction, and Markups, in: Journal of Economic Perspectives, 32, 2, 25–46.
- Filimonovic, Dragan, Jeffrey Macher, Christian Rutzer und Rolf Weder (2024). Does Early Regional Scientific Leadership Translate Into Lasting Innovation Advantage?, WWZ Working Paper 2024/11.
- Ossa, Ralph (2015). Why Trade Matters After All, in: Journal of International Economics, 97, 266–277.
- Rutzer, Christian und Rolf Weder (2021). De-Industrialisierung der Schweiz? Fakten, Gründe und Strategien im internationalen Vergleich, Springer Gabler.
- Weder, Rolf (2018). WTO Trade Policy Review for Switzerland: In Need for a New Paradigm, in: The World Economy, 2018, 41, 12, S. 3524–3535.
Zitiervorschlag: Weder, Rolf (2025). Zur Ambivalenz des internationalen Handels. Die Volkswirtschaft, 04. Februar.