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«Es steckt verdammt viel Schweizer Spirit in unseren Produkten»

Die Bergsportmarke Mammut entwickelt ihre Produkte dort, wo andere nur für Fotoshootings hinkommen: in der Schweiz. Produziert wird im Ausland. Im Interview spricht CEO Heiko Schäfer über Produktions-Know-how in Fernost, Schweizer Ingenieurskunst und gesunkene Containerschiffe.
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Mammut-CEO Heiko Schäfer am Firmensitz im aargauischen Seon: «In der Textilwelt gibt es keine stabile Beschaffung über mehrere Jahre. Sie müssen Ihr Portfolio jedes Jahr immer wieder neu beurteilen.» (Bild: Keystone / Til Bürgy)
Herr Schäfer, Sie sind im flachsten Teil in Norddeutschland aufgewachsen. Seit wann kennen Sie die Schweizer Marke Mammut?

Meine erste Begegnung mit Mammut hatte ich ungefähr mit Mitte zwanzig. Ein Freund nahm mich mit in einen Mammut-Laden. Er kaufte eine Jacke und sagte, das sei das beste Equipment. Das halte ewig.

Mammut rüstet Bergsteiger von Kopf bis Fuss aus. Was ist Ihr meistverkauftes Produkt?

Softshell-Jacken verkaufen wir wie warme Brötchen in hoher Stückzahl. Bekleidung macht insgesamt mehr als 60 Prozent unseres Umsatzes aus. Der Rest ist Bergausrüstung wie Rucksäcke, Schuhe und Klettergurte.

Wie sichert Mammut bei Extrembergsportlern seine Glaubwürdigkeit, wenn gefühlt die halbe Schweiz dieselbe Jacke für den Hundespaziergang am Sonntagnachmittag trägt?

Jedes unserer Produkte ist für den Bergsport kreiert: Belastbarkeit, Widerstandsfähigkeit und Fokus auf Langlebigkeit. Wenn ein Konsument die Jacke anzieht, um den Hund Gassi zu führen, dann sind wir deswegen nicht beleidigt. Wir sind dankbar für jeden, der unsere Produkte schätzt.

Wo sind Ihre wichtigsten Absatzmärkte?

Die Region Deutschland, Österreich und Schweiz ist die Nummer eins. Fast 40 Prozent unseres Umsatzes stammen von dort. Deutschland ist dabei der wichtigste Markt, noch vor der Schweiz. Regional folgen Asien und Nordamerika.

Mammut wurde vor gut 160 Jahren als Seilerei gegründet. Vor zehn Jahren produzierten Sie hier am Firmenhauptsitz im aargauischen Seon noch Seile. Gibt es heute noch Mammut-Produkte, die vollständig in der Schweiz hergestellt werden?

Den Barryvox – unser Lawinenverschütteten-Suchgerät. Die Endmontage findet hier statt. Es ist aber ein elektronisches Gerät. Das heisst, viele der Komponenten können Sie nicht in der Schweiz beziehen. Die kommen aus der ganzen Welt, wie auch die Softwareentwicklung für den Barryvox.

Wo in der Welt lassen Sie produzieren?

Circa 20 Prozent unseres Beschaffungswerts sind innerhalb Europas: Türkei, Rumänien oder Tschechien. 80 Prozent kommen aus Asien.

Asien, weil dort die Textilindustrie zu Hause ist?

Sicherheitsrelevante Produkte wie den Barryvox oder technische Bergschuhe versuchen wir in Europa zu produzieren. Für viele andere Produkte sind jedoch mittlerweile die nötigte Produktionskapazität, die hohe Produktionsqualität und insbesondere alle Vorprodukte in Asien basiert. Vietnam ist ein wichtiges Beschaffungsland mit viel Fertigungs-Know-how. Wir produzieren aber auch in Indonesien und Bangladesch.

 

In China beschaffen wir nur noch einen verschwindend geringen Teil.

 

Warum nicht in China?

In China beschaffen wir nur noch einen verschwindend geringen Teil. Es gibt verschiedene Gründe: Die Kosten sind um ein Vielfaches höher als beispielsweise in Vietnam. Es wurde aber auch generell viel Produktionskapazität von China nach Vietnam verschoben.

Wie viel Zulieferer braucht die Produktion einer Jacke?

Eine Softshell-Jacke hat im Allgemeinen zwei bis drei Obermaterialien. Dann kommen die Details dazu – also Reisverschluss, Laschen, Kordelzüge. Da sind sie schnell bei einem halben Dutzend und mehr Zulieferfirmen. Das wird je nach Produkt beliebig komplexer.

Alle sprechen von Diversifizierung der Lieferketten. Reissverschlüsse bezieht Mammut für alle Jacken von der gleichen Firma?

Nein. Sie wollen nie eine Komponente von nur einer Firma beschaffen. Der Reissverschlussmarkt ist allerdings kein gutes Beispiel, er ist oligopolistisch organisiert. Da gibt es zwei wirklich grosse Anbieter und nur wenige Spezialisten.

Lassen Sie die gleiche Jacke in verschiedenen Ländern produzieren, sprich, diversifizieren Sie auch nach Produktionsländern?

Das können Konzerne wie Nike machen. Uns fehlt dafür vielfach die Grösse. Aber unsere Produkte sind untereinander teils artverwandt und werden in verschiedenen Ländern produziert. So können wir bei Lieferengpässen Alternativen anbieten.

 

Heiko Schäfer: «Jedes unserer Produkte ist für den Bergsport kreiert. Wenn ein Konsument die Jacke anzieht, um den Hund Gassi zu führen, dann sind wir deswegen aber nicht beleidigt.» (Bild: Keystone / Til Bürgy)

 

Die internationale Arbeitsteilung bringt Effizienzgewinne. Sie birgt aber auch Risiken. Kommt es oft vor, dass ein Lieferant ausfällt?

In der Covid-19- und der Post-Covid-19-Zeit hatten einige Lieferanten ernsthafte Schwierigkeiten. Zudem gibt es Zulieferer, die besser oder schlechter performen. In der Textilwelt gibt es keine stabile Beschaffung über mehrere Jahre. Sie müssen ihr Portfolio jedes Jahr immer wieder neu beurteilen.

Wie sieht es mit der Containerschifffahrt aus?

Die Lieferzeiten haben sich verlängert. Früher benötigte ein Container von Asien nach Europa rund 45 Tage. Heute rechnen wir mit bis zu 70 Tagen. Viele Reeder fahren unter anderem wegen der Huthi-Rebellen am Roten Meer nicht mehr die kürzere Passage durch den Suezkanal – sondern nehmen den 14 Tage längeren Weg.

Sinken Frachtschiffe?

Das ist mir hier in meiner Zeit noch nicht passiert, in meinen Jobs vorher jedoch schon einige Male. Aber das ist ein geringer Anteil. Häufiger kommt es vor, dass ein Lieferant aus ökonomischen Schwierigkeiten die Produktion einstellt.

Viel ist von Nearshoring die Rede – auch bei Mammut?

Wir schauen uns kontinuierlich Nearshoring-Möglichkeiten für jede Absatzmarktregion an. Wo es ökonomisch sinnvoll ist, machen wir das teilweise. Allerdings: Wenn Sie die vorgelagerte Produktionsstufe im Textilbereich nicht in Europa haben, sind Sie automatisch auf eine Produktion in Asien angewiesen.

Der internationale Handel steht unter Druck – schon vor Donald Trumps Zollpolitik. Wie beeinflussen geopolitische Spannungen Ihre Lieferketten?

Isolieren können wir uns nicht. Jedes Unternehmen muss sich überlegen, was es von einer höheren Zolllast an die Konsumenten weitergeben muss. Wir haben uns sehr intensiv angeschaut, ob eine lokale Produktion in den USA sinnvoll wäre, und sind zum Schluss gekommen: Aktuell macht das keinen Sinn. Die Produktionsexpertise ist in Asien. Zum anderen sind Währungsschwankungen für uns ein grosses Thema.

Frankenstärke? Es fallen doch kaum Produktionskosten in der Schweiz an.

Wir bilanzieren in Franken und machen einen Grossteil unseres Geschäfts ausserhalb der Schweiz. Der japanische Yen hat beispielsweise in den letzten zwei Jahren 20 Prozent seines Werts gegenüber dem Franken verloren. Beim chinesischen Yuan war die Abwertung geringer, aber auch zweistellig. Das merkt man natürlich.

 

In der Schweiz gibt es eine Tradition, was die Liebe zum Detail angeht.

 

Entwicklungsstandort Schweiz: Wie macht er sich im globalen Wettbewerb?

Noch gut. Wir sind unglaublich stolz darauf, dass wir seit 163 Jahren unseren Sitz hier haben und viel traditionelle Schweizer Ingenieurs- und Handwerkskunst in unseren Produkten ist. In der Schweiz gibt es eine Tradition, was die Liebe zum Detail angeht. Aber auch die Art und Weise, wie ein Produkt entwickelt wird. Wir versuchen mit möglichst ressourcenschonendem Materialeinsatz eine möglichst hohe Funktionalität zu gewährleisten.

Sie entwickeln Ihre Produkte in der Schweiz – machen jedoch nur einen kleinen Teil des Umsatzes und der Produktion hier. Wie wichtig ist die Nähe zu den Konsumenten und zur Produktion für die Entwicklung?

Die stärkste Konsumentenregion ist hier in den Alpen. Wir entwickeln dort, wo andere zum Fotoshooting hinkommen. Wir können die Produkte jeden Tag testen. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind alle extrem Outdoor-affin und leben diesen Lifestyle. Zudem passiert ein Grossteil der Entwicklungsleistung heute digital. Und Daten kann man weltweit gut austauschen. Deswegen sind wir weniger darauf angewiesen, dass alles hier direkt vor Ort ist.

Sie werben mit «Swiss 1862». Wie viel Schweiz steckt in einem Mammut-Produkt?

Einhundert Prozent. Einhundert Prozent der Kreativleistung, der Ingenieurskunst, der Konzeptentwicklung finden hier statt. Es steckt verdammt viel Schweizer Spirit in unseren Produkten. Für Konsumenten in den USA oder in Asien ist die Schweizer Herkunft ein Gütesiegel. Wir sind stolz darauf, ein Schweizer Unternehmen zu sein.

2023 kündigten Sie an, Ihre Präsenz in Japan, China und den USA auszubauen. Wie realisiert man eine solche Ankündigung?

Zum einen brauchen Sie ein gutes Verständnis davon, was es braucht, um erfolgreich zu sein. Das heisst lokale Teams aufbauen, Market-Research betreiben und ein Konsumentenverständnis entwickeln. Auf der anderen Seite müssen Sie investieren: Es geht nicht for free. All das haben wir in diesen Märkten getan, und wir sind in den letzten zwei Jahren in jedem Jahr und Markt zweistellig gewachsen. In China haben wir das Geschäft von 2023 auf 2024 sogar verdoppelt. Weltweit beschäftigen wir mittlerweile um die 850 Mitarbeitende, 260 von ihnen in der Schweiz.

Ist eine Mammut-Jacke Grösse M hier in der Schweiz gleich wie Grösse M in Japan?

Nein. Es muss ein anderes M sein, weil die Körperproportionen in Asien anders sind. Zudem ist die Fit-Präferenz in Asien weniger eng anliegend. Wir passen aber auch die Farbpräferenz an. In Korea ist beispielsweise Schwarz sehr beliebt.

Mammut schreibt sich Nachhaltigkeit gross auf die Fahne. Kann man im Textilbereich überhaupt sozial nachhaltig sein?

Wir sind ein frühes Mitglied der Fair Wear Foundation. Sozialverträglichkeit ist für uns ein hohes Gut und wird entsprechend überwacht. Leute, die in der Wertschöpfungskette für uns arbeiten, sollen nicht nur fair, sondern gut behandelt werden.

Hat sich bei Mammut in Sachen Umweltverträglichkeit viel getan?

Das sind für uns keine neuen Themen. Nachhaltigkeit kam bei uns in den 1970er-Jahren auf den Tisch, als wir das erste Mal Rezyklat in unseren Produkten verarbeitet haben. Mitte der 90er haben wir dann angefangen, das skaliert zu tun und zudem Ware zu reparieren. Wenn Sie zurückrechnen, ist Nachhaltigkeit seit 50 Jahren Kern unseres Selbstverständnisses. Sind wir am Ende des Weges? Natürlich nicht. Nachhaltigkeit ist immer eine Reise, egal ob es um soziale Aspekte oder um das Klima geht. Niemand wird jemals perfekt sein. Aber es ist unser Anspruch, immer besser zu werden.

Sie sind seit drei Jahren bei Mammut. Was war das grösste Aha-Erlebnis?

Es gab zwei Aha-Erlebnisse. Das erste gab es schon, bevor ich angefangen habe. Ich war beflügelt, wie viele Leute auf mich zukamen und sagten: «Wow, we love the brand.» Der zweite Moment war, als ich den ehemaligen Mammut-CEO Rolf Schmid sprach, der lange vor mir hier war. Uns beschäftigen ähnliche Themen wie das Vorantreiben von Innovation oder die Frage: Wie kann man die Marke weiter pflegen?

Zitiervorschlag: Interview mit Heiko Schäfer, CEO Mammut Sports Group (2025). «Es steckt verdammt viel Schweizer Spirit in unseren Produkten». Die Volkswirtschaft, 05. März.

Heiko Schäfer

Der 51-jährige Heiko Schäfer ist seit September 2022 CEO der Mammut Sports Group AG. Unmittelbar davor war er COO und Teil des Hugo-Boss-Vorstands. Er hält ein Doktorat in Marketing von der Universität Mannheim und arbeitete unter anderem für Tom Tailor, Adidas und The Boston Consulting Group. Er ist deutscher Staatsbürger und lebt im Kanton Aargau.

Die Mammut Sports Group AG gehört Telemos Capital, einem Finanzinvestor mit Sitz in London. Mammut beschäftigt weltweit rund 850 Mitarbeitende – von ihnen 260 in der Schweiz am Firmenhauptsitz in Seon AG.