Nachfolge Schoggigesetz: Die Begleitmassnahmen wirken

Weil in Schweizer Schokolade oft inländische Milch steckt, ist sie im Export teurer als die Konkurrenz. Bis 2019 hat das Schoggigesetz diesen Wettbewerbsnachteil teilweise ausgeglichen. (Bild: Keystone)
Die Schweizer Agrarpolitik schützt inländische landwirtschaftliche Erzeugnisse mit einem Zoll. Damit ist der Preis für inländische Agrarrohstoffe in der Schweiz höher als im Rest der Welt. Viele dieser Rohstoffe werden jedoch von der hiesigen verarbeitenden Lebensmittelindustrie für die Zubereitung von Schokolade, Backwerken oder Fertiggerichten verwendet. Daher kann es vorkommen, dass die verarbeitende Lebensmittelindustrie gegenüber ihrer globalen Konkurrenz in Bezug auf Preis und Menge benachteiligt ist.
Ein zentrales Instrument zum Ausgleich dieser Wettbewerbsnachteile von Schweizer Nahrungsmittelexporteuren war bis Ende 2018 die Zahlung von Ausfuhrbeiträgen durch den Bund. Für im Inland bezogene und für den Export weiterverarbeitete Milch und Getreide hatten die Lebensmittelexporteure im Rahmen des dafür vorgesehenen Budgets einen gesetzlich garantierten Anspruch auf Rückerstattung eines Grossteils der Preisdifferenz zum Ausland (sogenanntes Schoggigesetz). Davon profitierten indirekt auch die inländischen Produzenten von landwirtschaftlichen Vorprodukten. Denn die Standortnachteile aufgrund des Agrarzollschutzes für die verarbeitende Lebensmittelindustrie hätten auch für die Landwirte negative Konsequenzen gehabt, weil dadurch die exportierte Menge und somit die verarbeiteten Agrarrohstoffe geringer gewesen wären.
Abschaffung der Ausfuhrbeiträge und Begleitmassnahmen
Das «Schoggigesetz» hatte jedoch einen faden Beigeschmack. Denn die Ausfuhrbeiträge standen im Konflikt mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Aufgrund von geänderten Verpflichtungen bezüglich des Exportwettbewerbs im Rahmen der WTO beschloss die Schweiz, die Ausfuhrbeiträge per Anfang 2019 aufzuheben. Um sowohl dem Agrarsektor (d. h. den Produzenten der betroffenen Produkte) wie auch der Nahrungsmittelindustrie (welche die Produkte als Vorleistung nutzt) die Anpassung an die neuen Rahmenbedingungen zu ermöglichen und ihre Wettbewerbsfähigkeit weiterhin zu unterstützen, wird die Aufhebung der Ausfuhrbeiträge seither durch flankierende Massnahmen begleitet.
Eine zentrale Massnahme ist die Vereinfachung des Bewilligungsverfahrens für den aktiven Veredelungsverkehr mit Milch und Getreide. Konkret bedeutet dies, dass die Schweizer Lebensmittelindustrie ausländische Milch und Getreide schnell und ohne grossen administrativen Aufwand zum ausländischen Preis beziehen kann, wenn diese Rohstoffe für den Export weiterverarbeitet werden.[1] Im alten System war dieser Prozess deutlich aufwendiger. Ohne weitere Massnahmen hätte das vereinfachte Verfahren für den Schweizer Milch- und Getreidesektor einen grossen Preisdruck zur Folge. Denn in den Verhandlungen mit der Lebensmittelindustrie müssten die Landwirte vollumfänglich mit den deutlich tieferen EU-Preisen konkurrieren.
Als weitere zentrale Begleitmassnahme fliessen deswegen Finanzhilfen an den Milch- und Getreidesektor. Die Finanzhilfen sind nicht an Exporte gebunden und werden seit Januar 2019 direkt an die Milch- und Getreideproduzenten ausgezahlt.[2] Gemäss der Botschaft des Bundesrats vom 17. Mai 2017 sind die Begleitmassnahmen rund vier Jahre nach ihrer Einführung zu evaluieren. Das Basler Beratungsunternehmen BAK Economics hat dies im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) nun erstmals getan.[3]
Unterschiede bei Milch- und Getreideproduzenten
In einer Onlinebefragung hat BAK Economics rund 1600 Schweizer Milch- und Brotgetreideproduzenten zu den Auswirkungen des Regimewechsels befragt. Dies entspricht rund 6 Prozent aller Schweizer Produzenten in diesem Segment. Für die Mehrheit der befragten Produzenten sind keine grundlegenden Veränderungen durch die notwendig gewordenen Ersatzmassnahmen spürbar. Das gilt in allen Bereichen: von der Einkommenssituation bis zu den betrieblichen Änderungen.
Bei jenen Umfrageteilnehmenden, die Veränderungen sehen, ist der Getreideanbau den neuen Rahmenbedingungen gegenüber tendenziell negativer eingestellt. Die Milchproduzenten sehen die Veränderungen eher positiv. Konkrete Ursachen für diese Diskrepanz konnten in der Studie nicht evaluiert werden. Es sei aber nochmals betont, dass auch die Mehrheit der Getreideproduzenten die beiden Systeme als gleichwertig erachtet.
Diejenigen Produzenten, die das alte System (Schoggigesetz) als vorteilhafter erachten, begründen dies mit den damals höheren Produktpreisen und dem geringeren administrativen Aufwand. Vereinzelt wurde auch genannt, dass bis 2019 mehr Milch, Käse und andere Milchprodukte ins Ausland exportiert werden konnten. Ein Vorteil des neuen Systems wird in den klaren und direkten Zahlungen an den Betrieb gesehen. Diese stützen die landwirtschaftliche Produktion im Inland.
Lebensmittelindustrie grundsätzlich zufrieden
Im zweiten Teil der Analyse untersuchen wir das Urteil der Schweizer Lebensmittelindustrie zu den seit 2019 geltenden Begleitmassnahmen. Die Einschätzungen wurden in sechs Interviews mit Nahrungsmittelherstellern ermittelt. Dabei wurden sowohl Grossunternehmen als auch KMU befragt.
Insgesamt begrüssen die interviewten Unternehmen, dass der Bezug inländischer Agrarrohstoffe unter den neuen Rahmenbedingungen im Wesentlichen funktioniere und weiterhin möglich ist. Allerdings sei der Preisnachteil beim Bezug inländischer Rohstoffe seit der Aufhebung der Ausfuhrbeiträge grösser geworden, vor allem im Milchsektor. Insbesondere das Audit- und Dokumentationsverfahren für Zugeständnisse beim Preisausgleich gestalte sich aufwendiger als früher. Dennoch: Nach Auskunft der meisten Interviewpartner hatte all dies bisher keine nennenswerten Auswirkungen auf die inländische Produktion.
Auch wird der vereinfachte Bezug von Milch und Getreide aus dem Ausland, der gemäss den Begleitmassnahmen neu möglich ist, nach Auskunft der Interviewpartner bis dato nicht verstärkt genutzt. Die interviewten Lebensmittelproduzenten erachten diese Begleitmassnahme zwar als zentral, da sie im Notfall den schnellen Bezug von ausländischen Inhaltsstoffen garantiert. Dennoch ist der Bezug ausländischer Rohstoffe für sie nicht per se erstrebenswert, da die Einhaltung der Swissness-Regeln, und damit auch die Verwendung von Schweizer Inhaltsstoffen, für die interviewten Unternehmen weiterhin wichtig ist.
Als Nachteil beurteilen die Lebensmittelexporteure, dass die Gewährleistung des Preisausgleichs innerhalb der neuen Rahmenbedingungen fragiler ist als im alten System. So ist der Preisausgleich nicht mehr gesetzlich garantiert wie beim «Schoggigesetz», sondern muss komplett mit dem Milch- und Getreidesektor ausgehandelt werden. Nach Einschätzung der interviewten Unternehmen hat damit die Investitions- und Planungssicherheit gegenüber den alten Rahmenbedingungen abgenommen. Würde in den Verhandlungen mit dem Milch- und Getreidesektor kein tragbarer Preisausgleich mehr zustande kommen, hätte dies bereits kurzfristig Konsequenzen wie rückläufige Investitionen und Betriebsschliessungen.
Nahrungsmittelexporte haben nicht gelitten
In einem dritten Analyseschritt haben wir anhand empirischer Methoden[4] untersucht, ob der Systemwechsel kausale Veränderungen für die tangierten Schweizer Lebensmittelexporte zur Folge hatte. Unter der kontrafaktischen Annahme, dass man die Ausfuhrbeiträge beibehalten hätte, ergibt unsere Analyse für das Jahr 2019 ein Exportvolumen von rund 2,1 Milliarden Franken. Das tatsächliche Exportvolumen lag mit 2,0 Milliarden Franken zwar leicht unterhalb dieses kontrafaktischen Werts. Der Unterschied ist jedoch nicht signifikant. Auch für die Folgeperioden bis Ende 2023 ist gemäss unserer Analyse kein signifikanter Effekt des Systemwechsels feststellbar.
Insgesamt kommen wir daher zum Schluss, dass sich die 2019 eingeführten Begleitmassnahmen weitgehend bewährt haben. Die neu gefundene Balance ist jedoch fragil. Wenn ein zentrales Element entfernt oder geschwächt wird, könnte die Balance gestört werden. Bereits eine partielle Verschärfung könnte ein Signal aussenden, das die Investitionsbereitschaft am Standort Schweiz beeinträchtigt. Wir empfehlen deshalb, dass der 2019 eingeführte Regelrahmen in seiner bestehenden Form erhalten bleibt.
- Voraussetzung für die Erteilung der Bewilligung ist, dass die in Artikel 12 des Zollgesetzes (SR 631.0) genannten Voraussetzungen vollständig erfüllt sind. []
- Für Milchbauern bestand die Finanzhilfe bis 2021 in einer Zulage von 4,5 Rappen pro Kilogramm vermarkteter Milch. Dieser Betrag wurde im Jahr 2022 um 0,5 Rp./kg auf 5 Rp./kg erhöht. Getreideproduzenten erhalten einen Zuschlag, der auf der förderfähigen Produktionsfläche basiert. Dieser wird jährlich auf der Grundlage der vorgesehenen finanziellen Mittel und der zulagenberechtigten Getreidefläche berechnet (2023 betrug der Zuschlag 129 CHF/ha). []
- Siehe BAK (2024). []
- Wir verwenden den relativ neuen «Causal Impact»-Ansatz. Dieser Machine-Learning-basierte Algorithmus ist darauf ausgerichtet, kausale Wirkungen unter Einbezug eines grossen Sets von (potenziellen) Einflussgrössen und Kontrollvariablen zu identifizieren. Für mehr Informationen siehe Brodersen et al. (2015). []
Literaturverzeichnis
- BAK (2024). Evaluation der nach der Aufhebung der Ausfuhrbeiträge eingeführten Begleitmassnahmen. Analyse im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO. Oktober 2024.
- Brodersen, K. H., F. Galusser, J. Koehler, N. Remy und S.L Scott (2015). Inferring Causal Impact using Bayesian Structural Time Series Models, The Annals of Applied Statistics, Vol. 9, No. 1, S. 247–274.
Bibliographie
- BAK (2024). Evaluation der nach der Aufhebung der Ausfuhrbeiträge eingeführten Begleitmassnahmen. Analyse im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO. Oktober 2024.
- Brodersen, K. H., F. Galusser, J. Koehler, N. Remy und S.L Scott (2015). Inferring Causal Impact using Bayesian Structural Time Series Models, The Annals of Applied Statistics, Vol. 9, No. 1, S. 247–274.
Zitiervorschlag: Bill-Körber, Alexis (2025). Nachfolge Schoggigesetz: Die Begleitmassnahmen wirken. Die Volkswirtschaft, 21. März.