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Rückläufige Direktinvestitionen

Die finanziellen Verflechtungen der Schweiz in Form von Direktinvestitionen sinken von Jahr zu Jahr. Der Grund dafür ist, dass multinationale Unternehmen mit Hauptsitz im Ausland die Bilanzen ihrer Zwischengesellschaften in der Schweiz kürzen. Auf die Schweizer Realwirtschaft wirkt sich das jedoch nicht aus.
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Durch Direktinvestitionen aus dem Ausland entstehen hierzulande auch Arbeitsplätze. (Bild: Keystone)

Die Schweiz beherbergt viele multinationale Unternehmen, die finanziell stark mit anderen Konzerngesellschaften im Ausland verflochten sind. Dementsprechend gehört die Schweiz zu den Ländern mit den absolut grössten Kapitalbeständen an Direktinvestitionen – sowohl was die Investitionen in der Schweiz als auch was die Investitionen der Schweiz im Ausland anbelangt. Dies belegt die Direktinvestitionsstatistik, welche die Schweizerische Nationalbank (SNB) seit 1985 jährlich publiziert.[1] In den letzten Jahren jedoch sanken die Direktinvestitionen markant, und zwar in beiden Richtungen (siehe Abbildung 1).

2018 betrugen die schweizerischen Direktinvestitionen im Ausland 1511 Milliarden Schweizer Franken. Fünf Jahre später waren es noch 1288 Milliarden. Das ist ein Rückgang von 15 Prozent. Noch stärker gingen die ausländischen Direktinvestitionen in der Schweiz zurück: im selben Zeitraum um fast ein Drittel (von 1345 auf 930 Milliarden Schweizer Franken). Wie lässt sich diese Entwicklung erklären?

Abb. 1: Direktinvestitionen sinken

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Quelle: SNB (2024a/b) / Die Volkswirtschaft

Abbau von Durchlaufkapital prägt die Direktinvestitionen

Die Antwort liefert der Blick auf das Kapital von ausländisch beherrschten Finanz- und Holdinggesellschaften in der Schweiz. Multinationale Unternehmen mit Hauptsitz im Ausland profitieren mithilfe dieser Gesellschaften von den rechtlichen und steuerlichen Vorteilen der Schweiz. Dabei wird Kapital durch diese Gesellschaften durchgereicht, ohne dass es realwirtschaftliche Effekte auf die Beschäftigung oder die Investitionen in der Schweiz hat. Deswegen spricht man bei dieser Art von Direktinvestitionen auch von Durchlaufkapital.[2]

Zwischen 2005 und dem Höhepunkt 2016/2017 war die Zunahme des Kapitalbestands in beiden Investitionsrichtungen zu einem wesentlichen Teil auf solches Durchlaufkapital zurückzuführen (siehe Abbildung 1). Mit dem Tax Cuts and Jobs Act, einer Steuerreform in den USA, die 2018 in Kraft trat, setzte jedoch eine gegenläufige Entwicklung ein: Multinationale Unternehmen mit Hauptsitz in den USA nutzten die Steuerreform, um im Ausland akkumulierte Gewinne in die USA zurückzuführen. Gleichzeitig begannen multinationale Unternehmen, ihre Organisationsstrukturen zu vereinfachen, was weitere Bilanzkürzungen bei Tochtergesellschaften in der Schweiz zur Folge hatte. Beide Effekte führten zu einem markanten Abbau beim Durchlaufkapital in der Schweiz und damit zu tieferen Direktinvestitionen insgesamt.[3]

Was bedeutet diese Entwicklung für die Schweiz? Erwartungsgemäss sollte ein Abbau von Durchlaufkapital keine realwirtschaftlichen Effekte nach sich ziehen. Die Statistik der Unternehmensgruppen des Bundesamts für Statistik bestätigt diese Vermutung. Zwischen 2018 und 2023 nahm die Anzahl der ausländisch beherrschten Unternehmen in der Schweiz um 21 Prozent (auf 18’000) zu und deren Beschäftigung um 13 Prozent (auf 573’000).[4] Die Schweiz scheint – trotz rückläufiger Direktinvestitionen – nach wie vor ein attraktiver Standort für ausländische multinationale Unternehmen zu sein.

Die USA sind der grösste Investor in der Schweiz

Der Abbau von Durchlaufkapital zeigt sich auch in Verschiebungen bei der Herkunft der Investoren. Die SNB publiziert für die ausländischen Direktinvestitionen in der Schweiz zwei Ländergliederungen: einerseits nach dem Domizil des unmittelbaren Investors, der direkt an der Tochtergesellschaft in der Schweiz beteiligt ist. Andererseits nach dem Domizil des letztlich Berechtigten, dem wirklichen Eigentümer des Kapitals, der die Investition kontrolliert. Gemäss der Gliederung nach dem letztlich Berechtigten nahmen insbesondere die von US-Investoren kontrollierten Direktinvestitionen in den vergangenen Jahren deutlich ab (siehe Abbildung 2). Gemäss der Gliederung nach dem unmittelbaren Investor hingegen war vor allem der Kapitalbestand von Investoren aus der EU rückläufig. Folglich fand der Abbau beim Durchlaufkapital in erster Linie durch US-Investoren über Zwischengesellschaften in der EU statt. Am stärksten betroffen waren Luxemburg, die Niederlande und Österreich.

Trotz dieser Verschiebungen stammten 2023 noch immer rund 65 Prozent des Kapitalbestands ausländischer Direktinvestitionen in der Schweiz unmittelbar von Investoren aus der EU, und nur 16 Prozent wurden direkt aus den USA gehalten. Gemäss der Betrachtung nach dem letztlich Berechtigten waren jedoch die USA, trotz des Abbaus der letzten Jahre, mit 39 Prozent nach wie vor der grösste ausländische Investor. 32 Prozent des Kapitalbestands wurden letztlich von Investoren aus der EU kontrolliert. Vom restlichen Teil entfielen je rund 10 Prozent auf Investoren aus Europa ausserhalb der EU sowie aus Asien.

Abb. 2: Die meisten unmittelbaren Investitionen stammen aus der EU, die letztlich Berechtigten jedoch aus den USA

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Anmerkung: Ein unmittelbarer Investor ist direkt an der Tochtergesellschaft in der Schweiz beteiligt. Der letztlich Berechtigte ist der wirkliche Eigentümer des Kapitals, der die Investition kontrolliert.
Quelle: SNB (2024b) / Die Volkswirtschaft

EU ist wichtigster Standort schweizerischer Direktinvestitionen

Bei den schweizerischen Direktinvestitionen im Ausland existiert nur eine Auswertung nach dem Land der unmittelbaren Investition: Die EU war 2023 gemessen am Kapitalbestand mit 46 Prozent (588 Mrd. Franken) mit Abstand der wichtigste Standort schweizerischer Direktinvestitionen (siehe Abbildung 3). Auf die USA entfielen 22 Prozent (288 Mrd. Franken). Erwartungsgemäss befinden sich unter den Volkswirtschaften mit dem grössten Kapitalbestand bedeutende Holdingstandorte wie die Niederlande, Luxemburg, Singapur und die Offshore-Zentren Mittel- und Südamerikas. Bei den Direktinvestitionen in diese Holdingstandorte dürfte es sich grösstenteils wiederum um Durchlaufkapital handeln. Es fehlt jedoch eine Datengrundlage, um das letztliche Bestimmungsland zu ermitteln beziehungsweise um durch die Zwischengesellschaften hindurchzuschauen.

Allerdings liefert die Statistik der operativen Angaben zu Tochtergesellschaften im Ausland Hinweise auf die dortigen realwirtschaftlichen Aktivitäten.[5] Erfasst wird darin unter anderem der Personalbestand schweizerischer multinationaler Unternehmen, wobei, im Unterschied zu den Direktinvestitionen, nicht nur direkte, sondern auch indirekte Tochtergesellschaften berücksichtigt werden. Vergleicht man den Personalbestand schweizerischer Tochterunternehmen im Ausland mit dem Kapitalbestand schweizerischer Direktinvestitionen im Ausland, erhält man Hinweise, in welche Länder die schweizerischen Direktinvestitionen letztlich fliessen: Länder mit hohem Kapitalbestand, aber wenig Personal weisen auf Zwischengesellschaften hin.

2023 beschäftigten schweizerische multinationale Unternehmen in ihren Tochtergesellschaften im Ausland weltweit 2,5 Millionen Personen, davon 40 Prozent in der EU (1’008’000) und 14 Prozent (340’000) in den Vereinigten Staaten. Die USA, die Niederlande und Luxemburg stechen durch einen hohen Kapitalbestand im Vergleich zum Personalbestand hervor – diese Länder beherbergen, wie die Schweiz, viele Zwischengesellschaften mit Durchlaufkapital. Das Gegenteil ist beispielsweise in Deutschland oder in den grossen Schwellenländern China, Brasilien und Indien der Fall. In diesen Ländern zeichnen sich die schweizerischen Direktinvestitionen durch einen hohen Personalbestand im Verhältnis zum Kapitalbestand aus.

Abb. 3: Länder mit einem hohen Kapitalbestand im Vergleich zum Personalbestand sind eher Standorte von Zwischengesellschaften (2023)

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Anmerkung: Die Abbildung zeigt Schweizerische Direktinvestitionen im Ausland.
Quelle: SNB (2024a/c) / Die Volkswirtschaft
  1. Siehe SNB (2024a/b) und IWF (2024). []
  2. Siehe SNB (2016). []
  3. Siehe SNB (2021). []
  4. Siehe Bundesamt für Statistik (2024). []
  5. Siehe SNB (2024c). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Lengg, Patrick; Gerweck, Lisa; Flühmann, Alexander (2025). Rückläufige Direktinvestitionen. Die Volkswirtschaft, 11. März.