
China hat ein fruchtbares Ökosystem für künstliche Intelligenz aufgebaut. Ein Mädchen an der World Artificial Intelligence Conference (WAIC) in Shanghai 2023. (Bild: Keystone)
Künstliche Intelligenz (KI) ist für China in mehrerer Hinsicht bedeutend. Für die chinesische Regierung ist sie eine treibende Kraft für qualitativ hochwertiges Wirtschaftswachstum und hat entsprechend nationale Priorität. Die Regierung stellt dafür gezielte politische Massnahmen sowie umfangreiche finanzielle Mittel bereit. Neben wirtschaftlichem Erfolg soll KI auch helfen, die Verteidigung zu stärken, die Cybersicherheit auszubauen und die nationale Sicherheit in einer zunehmend digitalen Welt zu gewährleisten.
Zugleich ist KI ein zentraler Schauplatz des internationalen Technologiewettbewerbs. China hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht und weltweit wettbewerbsfähige Unternehmen und Forschungseinrichtungen hervorgebracht. Chinas Ziel ist es, seine Position als Technologieführer zu festigen und die volkswirtschaftliche Leistung des Landes insgesamt zu steigern.
Chinas Strategie
Da KI für China eine strategische Schlüsseltechnologie ist, treibt der Staat deren Erforschung systematisch voran. Bereits 2017 veröffentlichte die Regierung einen Entwicklungsplan, der China bis 2030 als globales Innovationszentrum für KI etablieren soll. Die Technologie ist zudem Teil des Fünfjahresplan 2021–2025, in dem die chinesische Regierung wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungsziele festlegt.
Die kürzlich angestossene «AI+»-Initiative soll nun digitale Technologien noch enger mit Chinas industrieller Stärke und den Vorteilen seines riesigen Binnenmarkts verbinden. Unterstützt werden sollen etwa die Anwendung grosser KI-Modelle oder die Entwicklung intelligenter Geräte wie vernetzter Elektrofahrzeuge, KI-gestützter Smartphones und Computer sowie Roboter und Produktionsanlagen.[1]
Über alles gesehen vereinigt die KI-Strategie Chinas Elemente staatlicher Planung, industrieller Kooperation, den Aufbau technischer Infrastruktur und eine Regelsetzung, die sowohl Innovation anstossen wie auch etwa ethische Aspekte berücksichtigen soll.
Ein fruchtbares Ökosystem
Zur Umsetzung dieser Ziele hat China ein innovationsfreundliches Ökosystem aufgebaut. Dazu zählen nationale Forschungsplattformen, unternehmensgeführte Projekte sowie eine enge Zusammenarbeit mit Universitäten und Forschungseinrichtungen. Forschungsinstitute wie die chinesische Akademie der Wissenschaften und staatsnahe Labore wie das Pengcheng Lab widmen sich der Grundlagenforschung in Bereichen wie Neuro-KI, Quantencomputern oder KI-Integration. Desgleichen haben Universitäten wie Tsinghua und Peking eigene KI-Institute gegründet und halten Programme zur Ausbildung der benötigten Forschenden und weiterer Fachkräfte am Laufen. Öffentlich-private Partnerschaften fördern die Talententwicklung und die Vermarktung von Forschungsergebnissen, wobei Open-Source-Plattformen wie etwa Baidus Paddle Paddle die Markteintrittshürden für Start-ups senken. Auch wurden in Peking, Shanghai oder Shenzhen spezielle Pilotzonen eingerichtet, um mit KI unter realen Bedingungen experimentieren zu können.
Grosse Technologieunternehmen wie Huawei, Alibaba, Tencent oder iFlytek sind dadurch in die Lage versetzt worden, sektorübergreifende technologische Durchbrüche bei grossen KI-Modellen, autonomer Mobilität, aber auch bei Chips oder Algorithmen zu erzielen. Parallel werden spezialisierte kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gefördert, um innovative Nischenlösungen zu entwickeln. Ergänzend wird massiv in die nationale KI-Infrastruktur investiert: Das Land treibt den Aufbau einer stringenten Datenökonomie und eines nationalen Rechennetzes voran, welche die benötigten Datenressourcen und Rechenkapazitäten effizient bereitstellen können. Zusätzlich erhöht eine eigene Industrie für Hochleistungs-KI-Chips die technologische Autonomie.
Diese enge Verzahnung von Wissenschaft und Industrie schafft einen kontinuierlichen Talent- und Ideenstrom, der auch hin zu grenzüberschreitender Kooperation und internationaler Standardsetzung führt.
KI in Firmen verbreitet
Die Integration von KI in reale Anwendungen ist ein weiterer Eckpfeiler der chinesischen Strategie: In der Industrie reduzieren KI-Systeme heute in Smart Factories die Ausfallzeiten von Maschinen. In Spitälern unterstützen Diagnosealgorithmen die Medizin, und in der Landwirtschaft verbessern KI-gesteuerte Drohnen die Ernteerträge. In Städten wie Hangzhou reduzierte etwa das Projekt City Brain die Verkehrsstaus um 15 Prozent. Nur in wenigen Ländern ist die Implementierung von KI in Unternehmen so weit fortgeschritten wie in China (siehe Abbildung).
China gehört zu den führenden Ländern bei der Anwendung von KI in Unternehmen (2023)
INTERAKTIVE GRAFIK
Anmerkung: Befragt wurden IT-Fachpersonen in Unternehmen mit über 1000 Mitarbeitenden. Stichprobengrösse in Klammern. Es wurde folgende Frage gestellt: «Nutzt Ihr Unternehmen künstliche Intelligenz (KI) im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit und digitalen Transformation oder hat es diesbezüglich bereits Abklärungen angestellt?»
Quelle: IBM (2023). IBM Global AI Adoption Index – Enterprise Report/ Die Volkswirtschaft
Auch grosse nicht chinesische Unternehmen haben ihre KI-Aktivitäten an das chinesische Umfeld angepasst. So baute etwa der Autohersteller Tesla in Shanghai ein Supercomputing-Zentrum auf, um vollautonome Fahrzeuge für den chinesischen Markt zu trainieren. Ebenso hat Microsoft in China über 8000 Fachkräfte ausgebildet und so unter anderem zu zahlreichen internationalen KI-Publikationen beigetragen.
Mehrschichtige Regulierung
Die regulatorischen Rahmenbedingungen zielen insgesamt darauf ab, die verantwortungsvolle Entwicklung von KI zu gewährleisten.
China etabliert derzeit ein «hierarchisches und szenarienbasiertes» Regulierungssystem für den gesamten digitalen Bereich. Grundlage sind drei Gesetze: das Cybersicherheitsgesetz, das Datensicherheitsgesetz und das Gesetz zum Schutz persönlicher Informationen. Sie definieren auch die Standards für KI-bezogene Datenerfassung, -speicherung und -nutzung. So müssen beispielsweise private Datenbearbeiter bei der Anwendung von Gesichtserkennungssoftware die Einwilligung der Betroffenen einholen.
Zudem gelten seit 2023 Übergangsregeln für generative KI-Dienste. Diese «Generative AI Measures»[2] schreiben Transparenz bei KI-generierten Inhalten vor, und Algorithmen in sensiblen Bereichen wie Finanzen oder Gesundheit unterliegen der staatlichen Aufsicht. Sie verlangen beispielsweise auch die Kennzeichnung von KI-Inhalten und sehen Präventionsmassnahmen gegen illegale Inhalte vor. Ernie Bot – ein KI-Modell des Internetkonzerns Baidu – integriert beispielsweise Wasserzeichen bei KI-generierten Bildern und Videos, um diesen Vorgaben zu entsprechen. Durch das Engagement bei internationalen Organisationen wie der Unesco trägt China zudem zur Erarbeitung internationaler ethischer KI-Standards bei.
Gleichzeitig wird an einem umfassenden KI-Gesetz gearbeitet. Bereits 2023 wurde ein Entwurf in den Gesetzgebungsplan des Nationalen Volkskongresses aufgenommen. Obwohl derzeit noch unklar ist, ob sich China tatsächlich ein solches einheitliches Gesetz zur künstlichen Intelligenz geben wird, schreitet die Gesetzgebungsarbeit im Bereich der künstlichen Intelligenz in geordneten Bahnen voran. Der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses hat in seinem Arbeitsbericht für 2025 klar zum Ausdruck gebracht, dass er die Gesetzgebungsforschung in aufstrebenden Bereichen wie der künstlichen Intelligenz verstärken wird.
In lokalen Pilotbereichen wird situativ reguliert: In Shenzhen etwa wurde ein örtliches KI-Ethikkomitee eingerichtet, das Hochrisikoanwendungen überwacht, und Essenslieferdienste sind verpflichtet, ihre Algorithmen offenzulegen, um einer Überbeanspruchung der Fahrer vorzubeugen. Oder es dürfen in Shanghai autonome Fahrzeuge in ausgewählten Zonen fahren, müssen dabei aber die lokal erlassenen Regeln für den Probebetrieb, die Datennutzung und kommerzielle Betriebsabläufe einhalten.[3]
Dieser mehrstufige Ansatz auf nationaler wie auch auf lokaler Ebene zeigt Chinas Bestreben, technologische Innovation mit gesellschaftlicher Verantwortung zu verbinden. Mit diesem pragmatischen Vorgehen, welches auch anderswo verwendete Konzepte der Datengovernance, Algorithmentransparenz sowie Bürger- und Staatsschutz mitumfasst, platziert sich Chinas KI-Regulierung tendenziell zwischen dem recht engmaschigen Rahmen der EU (AI Act) und dem generell sehr breiten Spielraum der USA. Marktteilnehmer tun in jedem Fall gut daran, sich rechtzeitig zu erkundigen, welche Regeln beim KI-Einsatz für ihre spezifische Geschäftstätigkeit in China gelten.
Zitiervorschlag: Beglinger, Jacques; Jiang, Fengan (Richard) (2025). Chinas Weg zur KI-Nation. Die Volkswirtschaft, 24. April.