Die Brics und der Wandel der globalen Machtverhältnisse

Die Brics fordern eine stärkere Unabhängigkeit vom US-Dollar. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva am Brics-Sherpatreffen im Februar 2025 in seinem Heimatland Brasilien. (Bild: Keystone)
2001 publizierte Goldman Sachs den Bericht «Building Better Global Economic Brics», in dem die vier Länder Brasilien, Russland, Indien und China als aufstrebende Wirtschaftsmächte beschrieben wurden.[1] Das Akronym «BRIC» spielt auf das englische Wort für Bausteine an und weist auf die wachsende Bedeutung der vier Länder für die Weltwirtschaft hin. Die Prognosen des Berichts trafen zehn Jahre später ein: 2011 erreichten die vier Bric-Staaten einen Anteil von 27 Prozent am kaufkraftbereinigten weltweiten Bruttoinlandprodukt (BIP). Heute liegt er bei 40 Prozent (siehe Abbildung 1). Angesichts dieser Aussichten schlug der Bericht Reformen der globalen Wirtschafts- und Finanzordnung vor, die den Bric-Staaten mehr Einfluss verschaffen sollten – auch auf Kosten europäischer Staaten. So sollten zwei europäische Staaten den vier ursprünglichen Bric-Staaten in der G7 weichen.
Abb. 1: Das wirtschaftliche Gewicht der Brics-Staaten wächst (1992–2023)
INTERAKTIVE GRAFIK
Brics expandieren
In den entwickelten Volkswirtschaften interessierten sich vor allem Investoren für das Konzept von Goldman Sachs. In Russland hingegen wurde es flugs auf politischer Ebene aufgenommen, als Steilpass zur Stärkung einer «multipolaren Weltordnung»: Die «Weltordnung» sei «an neue Machtzentren» anzupassen.[2] China, das wirtschaftliche Schwergewicht der Gruppe, zeigte erst nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009 Interesse an einer engeren Zusammenarbeit. 2009 richtete Russland den ersten Bric-Gipfel in Jekaterinburg aus. Ein Jahr später trat auch Südafrika der Gruppierung bei – damit wurden die Bric zu den Brics.
Angesichts grosser politischer und wirtschaftlicher Differenzen innerhalb der Staatengruppe sowie einer mangelhaften Institutionalisierung ihrer Zusammenarbeit wurden die Brics zunächst wenig beachtet.[3] Dies änderte sich 2023 auf dem 15. Gipfel in Johannesburg mit der überraschenden Erweiterung der Gruppe um Ägypten, Äthiopien, den Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate. Der darauffolgende 16. Gipfel in Kazan (Russland) 2024 erregte international ebenfalls viel Aufmerksamkeit. Der Gipfel unter russischer Leitung wurde trotz des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine von vielen Brics-Staatchefs besucht. Für Aufsehen sorgte zudem die Einladung an Saudi-Arabien, das letztlich – wie auch Argentinien – der Staatengruppe doch nicht beitrat.
Die Expansionsdynamik setzte sich fort: Im Januar 2025 trat Indonesien bei, womit die Anzahl Mitglieder auf zehn stieg. Die Erweiterungen machten die Gruppe noch heterogener und brachten teils rivalisierende Staaten zusammen. Brics sind keine internationale Organisation mit verbindlichen Beschlüssen. Sie haben kein formelles Statut und auch kein permanentes Sekretariat. Die Präsidentschaft rotiert jährlich. Dies erschwert es der Staatengruppe, über längere Zeit eine kohärente Agenda zu verfolgen.
Gemeinsame Interessen
Trotz aller Unterschiede gibt es gemeinsame Interessen. Die Brics-Staaten fordern konsequent eine Reform der globalen Gouvernanz, insbesondere der Bretton-Woods-Institutionen – dazu gehören der Internationale Währungsfonds (IMF) und die Weltbank. Die Entscheidungsgremien dieser Institutionen spiegeln aus Sicht der Brics nicht mehr die tatsächlichen wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse. Deshalb verlangen sie unter anderem eine Neuverteilung der Stimmrechte im IMF. Daneben schufen sie 2014 mit der Gründung der Neuen Entwicklungsbank (New Development Bank, NDB) mit Sitz in Shanghai und des Notfallfonds (Contingent Reserve Arrangement, CRA) parallele Institutionen zu IMF und Weltbank. Hier zeigt sich auch die Bedeutung Chinas für die Gruppe: Knapp die Hälfte der finanziellen Mittel des Notfallfonds stammt aus Peking.
Die Brics-Staaten schaffen jedoch keinen gemeinsamen Wirtschaftsraum wie die Europäische Union, es gibt weder eine Freihandelszone noch ein gemeinsames Zollregime. Auch sind die Brics kein Regulator oder Standardsetzer. Dennoch arbeiten die Länder an einer wirtschaftlichen Kooperation in verschiedenen Bereichen und streben eine stärkere Unabhängigkeit vom US-Dollar an. Vor allem Russland und China setzen sich für die Verwendung alternativer Währungen im bilateralen Handel ein und wirken auf eine Senkung des Anteils des US-Dollars an den eigenen Zentralbankreserven hin. Peking strebt dies bereits seit Jahrzehnten in wechselnder Intensität an. Aufgrund seiner herausragenden globalen Bedeutung auch für den Handel zwischen Drittstaaten ist dennoch nicht von einer baldigen Abkehr von der dominanten Rolle des US-Dollars auszugehen – ausser im Falle eines Extremszenarios wie einer massiven Eskalation geopolitischer Spannungen. Es zeichnet sich aber ab, dass der Handel in lokaler Währung in den bilateralen Beziehungen zwischen Brics-Staaten stetig zunimmt, ausgehend von einem tiefen Niveau.
Des Weiteren haben alle Brics-Staaten eine starke Position im globalen Rohstoff- und Landwirtschaftsmarkt. Dies gilt sowohl für fossile Energieträger, Grundnahrungs- und Futtermittel als auch für sogenannte kritische Rohstoffe wie Kupfer, Grafit oder Nickel[4]. Die Brics-Staaten sind damit sowohl für die globale Ernährungssicherheit wie auch für industrielle Lieferketten von grosser Bedeutung (siehe Abbildung 2). Bisher haben die Brics-Staaten ihre Rohstoffmacht nur begrenzt politisch eingesetzt. In der Vergangenheit dienten Brics-Gipfeltreffen etwa Absprachen zwischen Russland und Südafrika in Bezug auf den Platinmarkt.[5] Auch unabhängig von Absprachen sind einzelne Brics-Staaten, insbesondere China, zentral für die Rohstoffe, die für die grüne Transition benötigt werden. Dies verschafft dem Land bei der Herstellung und dem Einsatz entsprechender Technologien einen strategischen Vorsprung und bedeutet umgekehrt ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis aus Sicht anderer Länder.
Abb. 2: Brics-Staaten produzieren viele Rohstoffe (2023)
INTERAKTIVE GRAFIK
Was heisst das für die Schweiz?
Rund 10 Prozent des schweizerischen Aussenhandels entfallen auf die Brics-Staaten, wobei China den grössten Anteil ausmacht. Auch wenn die Brics-Staaten in vielen Fragen unterschiedliche Interessen haben, ist das Potential der Staatengruppe angesichts der wirtschaftlichen und geopolitischen Dynamiken nicht zu verkennen. Es verleiht dem von den Brics beförderten Narrativ Gewicht, wonach eine Verlagerung der wirtschaftlichen Dynamik weg von den vormals dominierenden Staaten des Westens, hin zu Staaten des Globalen Südens stattfindet und – auch durch Anpassungen der globalen Gouvernanz – weiter befördert werden soll. Mit dem Schlagwort der «Westlessness»[6] wird diese stetige Erosion des Anteils «des Westens» an der weltweiten Bevölkerung, der weltweiten Wertschöpfung und dem weltweiten Handel, aber auch ganz generell der abnehmende Einfluss der OECD-Länder in den internationalen Beziehungen zusammengefasst. Dieses Narrativ ist, bei allen Differenzen, anschlussfähig. Es überzeugt in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern, die sich für ihre Anliegen hinsichtlich Repräsentation und Reform der Weltwirtschaftsordnung im Rahmen der Brics Gehör verschaffen können.
Die Strategie der Schweiz im Umgang mit den Brics muss somit zwei Dimensionen Rechnung tragen: Unabhängig von der Staatengruppe muss sie einerseits das wachsende wirtschaftliche Gewicht der Brics-Staaten und ihrer Partnerstaaten anerkennen. Andererseits muss sie die politischen Auswirkungen der Brics-Forderungen nach einer Neugestaltung der Weltordnung berücksichtigen. In diesem Kontext ist es für die Schweiz wichtig, multilaterale Formen der Zusammenarbeit gezielt zu stärken. Denn eine Fragmentierung der Weltwirtschaft und des Finanzsystems wäre für die auf Rechtssicherheit und Aussenhandel angewiesene Schweiz nachteilig. Auch die bilateralen Beziehungen zu einzelnen Brics-Staaten werden, wo immer möglich, weiterentwickelt. Dadurch kann die Schweiz ihre Handels- und Wirtschaftsbeziehungen im Einklang mit ihrer Aussenwirtschaftsstrategie diversifizieren und sich unabhängiger von einzelnen Märkten machen.[7]
- Siehe Goldman Sachs (2001). []
- Diese Begrifflichkeit stammt aus der Schlussdeklaration des 16. Gipfeltreffens der Brics (Kazan Declaration vom 23. Oktober 2024), beispielsweise in Art. 6 und dem vorangehenden Titel. Bei allen folgenden Zitaten aus diesem Dokument handelt es sich um eine eigene Übersetzung auf der Grundlage der englischen Fassung. []
- Siehe zum Beispiel World Economic Forum (2015). []
- Die Schweiz definiert keine «kritischen Rohstoffe». Die EU hingegen hat eine Verordnung zu kritischen Rohstoffen erlassen und 34 kritische Rohstoffe identifiziert. Sie definiert diese als «wirtschaftlich wichtigste […] Rohstoffe mit hohem Risiko bezüglich Versorgungssicherheit». []
- Siehe Reuters (2013). []
- Siehe Puri (2018). []
- Eine ausführliche Einschätzung zu den Brics-Staaten findet sich im Aussenpolitischen Bericht 2024 des Bundesrats. []
Literaturverzeichnis
- Goldman Sachs (2001). Building Better Global Economic Brics. Global Economic Paper No. 66. 30. November.
- Kowalski, P. und C. Legendre (2023). Raw Materials Critical for the Green Transition: Production, International Trade and Export Restrictions. OECD Trade Policy Papers, No. 269, OECD Publishing, Paris.
- Puri S. (2018). Westlessness: The Great Global Rebalancing. Hodder & Stoughton
- Reuters (2013). S. Africa, Russia Join Forces to Cope with Platinum Market Excess. 27. März.
- World Economic Forum (2015). Is this the End of the Brics Era? 10. November.
Bibliographie
- Goldman Sachs (2001). Building Better Global Economic Brics. Global Economic Paper No. 66. 30. November.
- Kowalski, P. und C. Legendre (2023). Raw Materials Critical for the Green Transition: Production, International Trade and Export Restrictions. OECD Trade Policy Papers, No. 269, OECD Publishing, Paris.
- Puri S. (2018). Westlessness: The Great Global Rebalancing. Hodder & Stoughton
- Reuters (2013). S. Africa, Russia Join Forces to Cope with Platinum Market Excess. 27. März.
- World Economic Forum (2015). Is this the End of the Brics Era? 10. November.
Zitiervorschlag: Grätz, Jonas; Lionnet, Philippe; Brengard, Marcel (2025). Die Brics und der Wandel der globalen Machtverhältnisse. Die Volkswirtschaft, 01. April.