Suche

Abo

Die Schweiz sucht bei der KI-Regulierung den Mittelweg

Künstliche Intelligenz birgt Gefahren. Doch will man sie zu stark regulieren, verhindert man Innovation. Der Bundesrat schlägt deshalb einen pragmatischen Mittelweg vor.
Schriftgrösse
100%

Biologische Probe im Labor für digitale Pathologie: Reichen heutige Regulierungen aus, wenn KI mit sensiblen Gesundheitsdaten arbeitet? (Bild: Keystone)

Selbstfahrende Autos, automatisierte medizinische Diagnosen oder Musikkompositionen: Künstliche Intelligenz (KI) scheint in fast allen Bereichen einsatzfähig. Obwohl KI als Forschungsgegenstand schon seit Jahrzehnten existiert, ist die Erkenntnis in der Öffentlichkeit und in der Politik darüber, wie viel mit der Technologie möglich ist, relativ neu. Natürlich kommt sie auch in der Schweiz bereits in vielen Bereichen nutz- und gewinnbringend zum Einsatz. So etwa beim Übersetzen von Dokumenten oder für die Spracherkennung. Auch beim Bund wird sie eingesetzt, etwa zur Automatisierung des Pollenmessnetzes oder zur Vorhersage des nationalen Stromendverbrauchs.

Doch wo es Chancen gibt, lauern auch Risiken. Beispielsweise können voreingenommene automatisierte Entscheidungsprozesse Diskriminierungen begünstigen, etwa wenn ein KI-System bei der Personalauswahl Bewerbungen beurteilt oder das Anrecht auf Sozialleistungen überprüft.[1] Hinzu kommen KI-generierte Deepfakes – das heisst manipuliertes Foto-, Video- oder Audiomaterial – sowie Desinformation, die das Vertrauen in demokratische Prozesse untergraben können. Damit geraten unsere Grundrechte und die Grundwerte von Rechtsstaat und Demokratie in den Fokus unserer Aufmerksamkeit.

Braucht es also angepasste regulatorische Rahmenbedingungen für die Entwicklung und den Einsatz von KI in der Schweiz? Und wenn ja: Wie weit sollen sie gehen? Einerseits soll Innovation nicht durch übertriebene Regeln gehemmt und andererseits zentrale Werte unseres demokratischen Rechtsstaats geschützt werden. Genau hier setzt die KI-Konvention des Europarats an.[2] Als erster verbindlicher völkerrechtlicher Vertrag über KI soll sie sicherstellen, dass KI-Systeme Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wahren, ohne den technologischen Fortschritt zu stark zu bremsen. Sie schafft damit einen allgemeinen Rechtsrahmen und benennt die wichtigsten rechtlichen Herausforderungen dieses Bereichs (siehe Kasten).

Eine rechtliche Analyse zeigt allfällige Lücken

Der Bundesrat befasste sich im Februar dieses Jahres mit einer Auslegeordnung zu möglichen KI-Regulierungsansätzen.[3] Diese Ansätze reichen von einer rein themenspezifischen Vorgehensweise (etwa im Kontext von selbstfahrenden Autos oder Deepfakes in sozialen Medien) bis hin zum Erlass von übergreifenden und weiter gehenden Regeln – beispielsweise zum Grundrechtsschutz oder zur Transparenz.

Das Bundesamt für Justiz (BJ) hat als Basis für diese Auslegeordnung eine umfassende rechtliche Analyse[4] beigesteuert. Darin wird untersucht, wo im Schweizer Recht allfällige Lücken bestehen, insbesondere für den Fall, dass das Parlament die KI-Konvention des Europarats ratifiziert. Im Fokus stehen vor allem folgende Bereiche – die im Falle der angedachten Regulierung sowohl Private als auch die öffentliche Verwaltung betreffen könnten.

  • Transparenz und Nachvollziehbarkeit: Nutzerinnen und Nutzer sollen erfahren, wann und wie KI im Spiel ist, namentlich bei öffentlichen Dienstleistungen. Zudem dürfen KI-basierte Entscheidungen nicht zu einer «Blackbox» werden. Es braucht Mechanismen, um sie später überprüfen zu können.
  • Gleichstellung und Nichtdiskriminierung: Diskriminierungen durch automatisierte Entscheidungsfindungen sind zu verhindern. Das gilt ganz besonders für sensible Sektoren wie die Gesundheit, aber auch für bestimmte privatwirtschaftliche Anwendungen, wenn sie grundrechtsrelevant sind.
  • Aufsicht und Rechtsdurchsetzung: Es muss geklärt sein, wer Verantwortung trägt, wenn Fehler passieren. Gerade staatliche Stellen müssen den KI-Einsatz besonders sorgfältig steuern. Zudem muss die Einhaltung dieser Vorschriften durch eine wirksame Aufsicht sichergestellt werden.

 

Die Analyse des BJ bestätigt: KI-Systeme operieren in der Schweiz schon heute keineswegs im rechtsfreien Raum – bestehende Gesetze wie das Datenschutz- oder das Gleichstellungsgesetz greifen bereits. Dennoch gibt es im Hinblick auf verschiedene KI-spezifische Fragen Lücken, die eine Ergänzung oder eine Präzisierung des Rechtsrahmens erfordern, um die Ziele der KI-Konvention zu erreichen.

Der Schweizer Regulierungsansatz

Aufgrund der Auslegeordnung hat der Bundesrat beschlossen, dass die Schweiz die KI-Konvention ratifizieren soll. Die Umsetzung soll in einer «Minimalvariante» erfolgen.[5] Diese konzentriert sich auf zentrale Aspekte wie Transparenz, Daten- und Diskriminierungsschutz, Folgenabschätzung und wirksame Aufsicht. Schwerpunktmässig will der Bundesrat zunächst den öffentlichen Sektor regulieren, doch wo nötig will er auch private Akteure in die Pflicht nehmen – insbesondere, wenn Grundrechte berührt sind, etwa bei der Gleichstellung von Frau und Mann –, gegebenenfalls mit weniger einschneidenden Massnahmen. «Minimalvariante» heisst aber längst nicht «Minimalprogramm»: Vielmehr soll der Rechtsrahmen so gestaltet werden, dass – auch bei unterschiedlichen Vorgaben für Staat und Private – die Ziele der KI-Konvention dennoch erreicht werden.

«Braucht es all das wirklich?», werden sich viele fragen. Am Pariser «AI Action Summit» im Februar 2025 wurde die Sorge geäussert, zu viel Regulierung könne der KI-Entwicklung den Schwung nehmen. Solchen Bedenken ist entgegenzuhalten, dass gerade eine auf Grundrechtsschutz ausgerichtete Regulierung auch wirtschaftlich sinnvoll ist: Jeder Skandal – sei es infolge von Manipulation oder versteckter Diskriminierung – schwächt das Vertrauen in neue Technologien. Ein stabiler Rechtsrahmen hingegen schützt nicht nur Bürgerinnen und Bürger, sondern fördert auch Innovation, indem er verlässliche Spielregeln schafft und so das Vertrauen von Investorinnen und Investoren, Unternehmen und der breiten Öffentlichkeit stärkt. Davon profitieren insbesondere jene, die auf transparente und grundrechtskonforme KI setzen.

Die Schweiz geht bei ihrem Regulierungsansatz einen Mittelweg. Anders als die Verordnung über künstliche Intelligenz (AI Act) der EU[6], die KI-Systeme vorwiegend als Produkte reguliert und dafür komplexe Anforderungen an ihren Marktzugang stellt, konzentriert sich die Schweiz auf grundrechtsrelevante Risiken, statt sämtliche Aspekte umfassend zu regeln. Zudem entspräche eine Regulierung mit hoher Normdichte wie der AI Act nicht der schweizerischen Rechtsetzungstradition. Und: Ein offenerer und flexiblerer Ansatz ist auch ein Vorteil für den Wirtschaftsstandort Schweiz als digital fortschrittliches Land.

Vernehmlassungsvorlage geplant

Bis Ende 2026 wird das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) in Zusammenarbeit mit dem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) und dem Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) sowie weiteren Bundesstellen eine Vernehmlassungsvorlage zur Umsetzung der KI-Konvention erarbeiten. Gewisse Fragen, die in der rechtlichen Basisanalyse hervorgehoben wurden, müssen jetzt vertieft werden, beispielsweise: Welche Anforderungen an die Transparenz von KI-Systemen sind nötig? Wie werden diese in Einklang mit dem bestehenden – etwa datenschutzrechtlichen – Rechtsrahmen gebracht? Und wie wird eine wirksame Aufsicht sichergestellt? Eine Regulierungsfolgenabschätzung soll zudem klären, welche volkswirtschaftlichen Auswirkungen zu erwarten sind.

Parallel dazu bereitet das Uvek gemeinsam mit dem EJPD, dem EDA und dem Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) einen Umsetzungsplan für nicht gesetzliche Massnahmen vor. Dazu gehören etwa Leitlinien, Selbstregulierungsvereinbarungen oder Branchenlösungen für die Privatwirtschaft. Ziel ist es, die rasche Entwicklung von KI nicht zu behindern und gleichzeitig sicherzustellen, dass der Schweizer Ansatz mit jenen unserer wichtigsten Handelspartner vereinbar bleibt.

Eine Regulierung, die sich an Grundrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit orientiert, ist kein Hemmschuh für die Technologiebranche. Im Gegenteil: Sie schafft einen gesunden Boden, auf dem Innovation nachhaltig gedeihen kann. Mit der «Minimalvariante» nach Mass, in Umsetzung der KI-Konvention des Europarats, stärkt die Schweiz das Vertrauen aller Beteiligten. So entsteht ein flexibler Rahmen für eine zukunftstaugliche, wirtschaftlich sinnvolle und gesellschaftlich akzeptierte KI.

  1. Zu diesen und noch anderen Beispielen siehe Bundesamt für Justiz (2024), S. 47–48. []
  2. Siehe dazu auch den Artikel von Thomas Schneider (Bakom) in diesem Schwerpunkt. []
  3. Siehe Bundesamt für Kommunikation: Künstliche Intelligenz[]
  4. Siehe Bundesamt für Justiz (2024). []
  5. Siehe Bundesrat (2025). []
  6. Siehe auch den Artikel von Thomas Schneider (Bakom) in diesem Schwerpunkt. []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Kuster, Susanne; Zaugg, Jonas (2025). Die Schweiz sucht bei der KI-Regulierung den Mittelweg. Die Volkswirtschaft, 15. April.

Die KI-Konvention kurz erklärt

Am 5. September 2024 wurde die KI-Konvention des Europarats zur Unterzeichnung eröffnet. Seither haben 41 Staaten unterzeichnet, darunter auch die Schweiz. Ziel der Konvention ist, dass der Einsatz von KI im Einklang mit Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erfolgt. Die Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten, Massnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass KI-Systeme – von der Entwicklung bis zur Ausserbetriebnahme – u. a. transparent und nicht diskriminierend sind und die Privatsphäre schützen. Die Konvention betrifft den öffentlichen Sektor, aber auch den privaten Sektor, wo Grundrechte betroffen sein könnten. Grundsätzlich schreibt die Konvention keine spezifischen Massnahmen vor und überlässt den Staaten die Wahl geeigneter gesetzlicher oder sonstiger Massnahmen. Besonders im privaten Sektor haben die Vertragsstaaten einen grösseren Umsetzungsspielraum, wie das Ziel der Konvention erreicht werden soll.