
Glaubten schon früh an den Nutzen von künstlicher Intelligenz (v. l.): Mark Zuckerberg (Meta), Jeff Bezos (Amazon), Sundar Pichai (Google) und Elon Musk (u. a. Mitgründer von Open AI, CEO von xAI und Tesla) bei der Amtseinführung von Donald Trump.
Als das US-Tech-Unternehmen Open AI im November 2022 der Öffentlichkeit den Chatbot Chat-GPT präsentierte, erlebten wir einen jener seltenen Momente, in denen eine neue Technologie uns kollektiv den Atem raubt. Plötzlich konnten Menschen mit wenigen Worten eine künstliche Intelligenz anweisen, komplexe Programmiercodes für statistische Analysen zu erstellen, ein Gedicht über künstliche Intelligenz im Stil von Goethe zu verfassen oder Quantenphysik so zu erklären, dass selbst Kinder es verstehen.
Was heute schon ein Stück selbstverständlicher Magie geworden ist, war nur möglich, weil Jahre zuvor mutige Investoren und visionäre Entwickler bereit waren, ein enormes Wagnis einzugehen.
Mutige Investoren in den Anfängen
Die Entwicklung von «Large Language Models (LLMs)» wie Chat-GPT, Google Gemini oder Claude war in den 2010er-Jahren aus objektiver Sicht eine Expedition ins grosse Unbekannte. Die Motivation für den ersten wesentlichen Schritt in dieser Expedition kam von der Verfügbarkeit von sogenannten Transformern. Transformer sind eine Art Gedächtnis- oder Aufmerksamkeitstechnik für künstliche Intelligenz. Die Grundlagen dazu lieferten im Jahr 2017 Forscher bei Google in einer bahnbrechenden Arbeit[1]. Bei früheren Ansätzen wurden Texte Wort für Wort sequenziell verarbeitet. Dadurch war die Aufmerksamkeit der Sprachmodelle in der lokalen Umgebung eines bestimmten Worts oder Satzes gefangen. Ein Modell konnte also nicht merken, dass ein Abschnitt in einem Buch auf Seite 100 besonders wichtig ist, wenn er im Vorwort auf Seite 2 angekündigt wurde. Dank Transformern konnten die Sprachmodelle nun jeden Teil eines Texts direkt mit jedem anderen Teil in Beziehung setzen und nach Kontext bewerten. Dadurch kann die KI besser übersetzen und relevantere Antworten geben. Transformer waren für die KI-Gemeinschaft damals ein neuartiges Instrument für die Erkundung des bis dahin unzugänglichen Terrains des tieferen Sprachverstehens. Doch selbst mit diesem neuen Instrument in der Hand wussten die Pioniere nicht, wohin die Reise sie führen würde.
Tatsächlich waren die Herausforderungen auf mehreren Ebenen entmutigend. Erstens gab es massive technische Hürden. Die erforderliche Rechenleistung für hochleistungsfähige KI-Modelle würde astronomische Kosten verursachen – ohne Garantie auf Erfolg. Die benötigten Datenmengen zum Trainieren der Systeme überstiegen alle bisherigen digitalen Datensammlungen. Und selbst wenn diese Hürden überwunden würden, blieb die Frage: Könnten diese Systeme jemals mehr leisten als maschinelle Sprachübersetzungen und einfache Mustererkennung?
Zweitens gab es wesentliche wirtschaftliche Risiken. Welchen Preis würden Nutzende bereit sein, für diese Modelle zu bezahlen? Würde es im Erfolgsfall bald Konkurrenz geben und ein ruinöser Wettbewerb entstehen, sodass die Investitionskosten nicht wieder zurückgewonnen werden könnten? Und drittens war die Marktakzeptanz alles andere als klar. Würden Firmen bereit sein, die Modelle zu nutzen, und darauf vertrauen, dass die Datensicherheit gewährleistet ist? Oder würden rechtliche Hürden oder ethische Bedenken die Verbreitung dieser Technologie verhindern?
Narrative und Visionen locken Investitionen an
Trotz dieser riesigen Unsicherheiten trafen Elon Musk, Sam Altman und andere 2015 eine folgenschwere Entscheidung: Über Open AI investierten sie in eine Technologie, deren Potenzial damals nur theoretisch existierte. Damals betrugen die Investitionen in künstliche Intelligenz global noch geschätzte 30 Milliarden Dollar. Im Jahr 2021 waren es knapp 350 Milliarden Dollar (siehe Abbildung).
Doch was bringt Investoren dazu, in solch potenziell transformative, aber hochgradig unsichere Innovationen zu investieren? Aufgrund fehlender historischer Präzedenzfälle sind in solchen Investitionsfeldern keine objektiven Bewertungen mittels klassischer Investitionsrenditen möglich. Investoren bilden also zwangsläufig subjektive Einschätzungen, die sich aus individuellen Interpretationen von technologischen Trends und Marktpotenzial ergeben. Oft spielen dabei persönliche Erfahrungen oder sogar Kindheitsträume eine Rolle. Diese Subjektivität erklärt, warum wir so unterschiedliche Investitionsverhalten beobachten können. Während einige Investoren Milliarden in KI-Start-ups investierten, blieben andere gegenüber denselben Chancen skeptisch. Insgesamt öffnen fehlende objektive Kriterien darüber, was eine «gute» Investition ausmacht, eine Bühne für Narrative und Visionen. Sie spielen bei Investitionen in transformative Innovationen eine überproportionale Rolle. Im Fall von Open AI war und ist dies die Vision einer allgemeinen künstlichen Intelligenz, von welcher «die gesamte Menschheit profitiert», wie auf der Website von Open AI zu lesen ist.
2021 wurden am meisten Investitionen in KI getätigt
INTERAKTIVE GRAFIK
Aus heutiger Perspektive haben sich einige der zentralen Unsicherheiten, mit denen die Pioniere der LLM-Entwicklung konfrontiert waren, weitgehend erübrigt. So ist etwa die technische Machbarkeit eindrucksvoll bewiesen. Denn moderne Sprachmodelle können heute weit mehr als einfache Übersetzungen oder einschätzen, ob die Stimmungslage eines Texts negativ, positiv oder neutral ist. Sie können heute auch Protokolle von Sitzungen schreiben, bei denen sie zugehört haben, Unterrichtsfolien entwerfen und interaktiv psychologisch fundierte und personalisierte Ratschläge für die Schlichtung eines Streits geben.
Datenschutz und Regulierungen – Unsicherheiten bleiben
Dennoch bleiben auch weiterhin wesentliche wirtschaftliche Unsicherheiten bestehen. Beispielsweise: Wie stark steigert KI die Produktivität tatsächlich? Das Geschäftsmodell rund um LLMs steht nach wie vor auf wackeligem Fundament. In vielen Unternehmen stecken LLM-Anwendungen noch in den Kinderschuhen – Pilotprojekte und experimentelle Implementierungen dominieren. Erfolgsgeschichten mit eindeutig positivem Return on Investment (d. h. Kapitalrendite, welche den Erfolg des eingesetzten Kapitals misst) bleiben die Ausnahme.
Der Grund ist oft, dass die Integration dieser Technologien in bestehende Geschäftsprozesse ein umfassendes Change-Management erfordern würde, welches in Organisationen aber traditionell auf Widerstand stösst. Datenschutzbedenken erweisen sich als ebenso hartnäckige Hürde, besonders in sensiblen Branchen wie dem Gesundheits- und dem Finanzwesen oder in streng regulierten Märkten wie der Europäischen Union. Viele Unternehmen zögern weiterhin, ihre vertraulichen Daten LLM-basierten Diensten anzuvertrauen, was deren Verbreitung in geschäftskritischen Anwendungen hemmt.
Der Wettbewerb nimmt zu
Parallel dazu hat sich die Wettbewerbslandschaft auf dem Markt dramatisch verändert. War Open AI zu Beginn noch allein auf weiter Flur, tummeln sich heute zahlreiche Akteure im Markt – von Tech-Giganten wie Google mit dem Chatbot Gemini und Meta mit Llama bis hin zu spezialisierten Start-ups wie Anthropic mit seiner KI namens Claude oder dem französischen Pendant Mistral mit der gleichnamigen KI.
Stand heute wurden bereits mehr als eine Billion Dollar in KI investiert. Vor allem auch motiviert durch chinesische Erfolge – etwa mit Deepseek –, haben sich inzwischen auch Staaten eingeschaltet. US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, über die nächsten vier Jahre weitere 500 Milliarden Dollar an Investitionen aus dem Privatsektor für KI-Projekte zu mobilisieren. Inzwischen haben auch Frankreich und die EU darauf reagiert. Die EU werde Investorengelder in der Höhe von 200 Milliarden Euro mobilisieren und die eigene «Invest AI»-Initiative um 50 Milliarden Euro aufstocken, so EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen im Februar.
Dieser intensivierte Wettbewerb zwischen den KI-Entwicklern wirft Fragen zur langfristigen Zahlungsbereitschaft der Kunden auf. Werden sie bereit sein, für Premium-LLM-Dienste zu zahlen, wenn gleichzeitig immer leistungsfähigere kostenlose oder kostengünstige Alternativen verfügbar sind? Die Gefahr eines ruinösen Preiswettbewerbs ist real. Die enormen Entwicklungs- und Betriebskosten von LLMs stehen einem zunehmenden Druck auf die Preise gegenüber, was die wirtschaftliche Tragfähigkeit des gesamten Sektors gefährden könnte. So ist es weiterhin unklar, ob die Milliardeninvestitionen, die in die Entwicklung dieser bahnbrechenden Technologie geflossen sind, trotz deren technologischer Brillanz am Ende wirtschaftlich erfolgreich sein werden.
- Siehe Vaswani, A., N. Shazeer, N. Parmar, J. Uszkoreit, L. Jones, A. N. Gomez, L. Kaiser und I. Polosukhin (2017). Attention Is All You Need. Advances in Neural Information Processing Systems, Vol. 30. []
Zitiervorschlag: Binswanger, Johannes; Oechslin, Manuel (2025). Investoren im KI-Rausch. Die Volkswirtschaft, 11. April.