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«KI ist schon in all unseren Produkten drin»

Künstliche Intelligenz ist keine Zukunftsmusik. Sie stecke seit Jahren in Google-Produkten – von der Suche bis zu Maps, sagt Christine Antlanger-Winter, Länderchefin von Google Schweiz. Zudem spricht sie über den Standort Zürich, 11 Prozent BIP-Wachstum – und sagt, warum nicht jede KI-Antwort faktenbasiert sein muss.
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Christine Antlanger-Winter, Länderchefin von Google Schweiz, in Zürich: «Der Zugang zu KI ist niederschwellig. Es braucht wenig Fachwissen – das gilt auch für KMU.» (Bild: Keystone / Michael Buholzer)
Frau Antlanger-Winter, googeln oder prompten Sie?

Ich mache beides – und noch viel mehr. Einerseits prompte ich auf unserer KI-Plattform Gemini, andererseits google ich weiterhin. Was viele nicht wissen – in der Google-Suche steckt seit zig Jahren viel KI-Power.

Ihre KI-Plattform heisst Gemini. Gehört «geminien» auch bald zu unserem Wortschatz so wie «googeln»?

(lacht) Die Sprache dafür werden wir wohl noch finden – wir sind ja erst am Anfang. Die Google-Suche wurde gerade um KI-Elemente erweitert, sogenannte Übersichten mit KI. Damit bekommt man seit Ende März bei manchen Google-Suchabfragen auch in der Schweiz zusätzlich ein KI-generiertes Ergebnis angezeigt.

Wird Gemini die Google-Suche bald ersetzen?

Die Produkte sind weiterhin getrennt, da sie unterschiedliche Anwendungsfälle haben. Je nach Aufgabe ist das eine oder das andere hilfreicher. Die Übersichten mit KI in der Google-Suche zeigen jedoch, dass die Anreicherung der Suchergebnisse mit KI-generierten Antworten einen Mehrwert bringt.

Inwiefern ist KI heute schlauer als der Google-Suchalgorithmus?

Wir forschen schon lange zu KI und haben sie mitbegründet. Das «T» in GPT steht für die Transformertechnologie, die Google-Mitarbeitende bereits 2017 entwickelt haben. Diese Technologie hat den grossen Paradigmenwechsel ausgelöst. KI an sich ist ja schon Jahrzehnte alt und seit Langem die Grundlage unserer Produkte. Egal ob Google-Suche, Google Lens oder Google Maps – alle basieren seit Jahren auf KI.

Inzwischen entwickeln immer mehr Unternehmen KI. Unterscheiden sich diese KI-Modelle voneinander?

Es gibt verschiedene Modelle, je nach Anwendungsfeld. Google Gemini ist zum Beispiel sehr stark auf Multimodalität ausgerichtet. Das heisst, sie versteht nicht nur Text, sondern kann auch Bilder, Videos und Audio verarbeiten. Unser neuestes Modell Gemini 2.5 führt zurzeit die KI-Rankings der Large-Language-Sprachmodelle an.

 

Wir sind der Meinung, dass der Mehrwert von KI für Gesellschaft und Klima den energetischen Aufwand übersteigt.

 

Alle Modelle haben eines gemeinsam: Sie verbrauchen viel Strom.

Die letzten zwei Jahre waren sicherlich sehr dynamisch im Hinblick auf diverse KI-Modelle, die im Tech-Umfeld trainiert wurden. In den verschiedenen Anwendungen von KI wird nicht immer ein Training eines grossen Modells gestartet, sondern es gibt auch kleine Modelle für eine Vielzahl von Anwendungen, die wesentlich energieeffizienter funktionieren. Auch unser Energieverbrauch ist leicht angestiegen. Trotzdem hält Google am Ziel fest, bis 2030 CO2-frei zu sein. CO2-neutral sind wir bereits seit 2017. Wir sind der Meinung, dass der Mehrwert von KI für Gesellschaft und Klima den energetischen Aufwand übersteigt.

Wie meinen Sie das?

Wir haben zum Beispiel ein Forschungsprojekt mit der Luftfahrt. Die entwickelte KI-Anwendung zeigt Piloten alternative Flugrouten, um Kondensstreifen um mehr als 35 Prozent zu verringern. Diese Kondensstreifen tragen erheblich zur CO2-Bilanz der Fluglinien bei. Ein anderes Beispiel ist ein Tool unserer KI-Unit Google Deepmind. Dieses kann Waldbrände besser vorhersagen und prognostiziert, wann im Küstenbereich die Gefahr von Flutwellen besteht. Zudem wird KI auch immer effizienter – und ist somit Teil der Lösung. Wir benötigen so in unseren Datenzentren dank KI 30 bis 40 Prozent weniger Kühlenergie.

Wird der technologische Fortschritt also das KI-Energieproblem lösen?

Wir haben beispielsweise eigene KI-Chips in unseren Datencentern. Die neueste Generation dieses KI-Chips namens Trillium verbraucht 67 Prozent weniger Energie als der vorherige. Wie in den Anfängen des Internets entwickelt sich die Infrastruktur laufend weiter. Auch benutzt nicht jede KI-Anwendung gleich grosse Trainingsmodelle. Diese Faktoren muss man mitberücksichtigen.

Mehr als eine Billion Dollar wurden weltweit bisher in KI investiert, allein 2021 waren es 330 Milliarden. Wie lässt sich mit KI Geld verdienen?

Die technologische Veränderung ist unglaublich tiefgreifend. Wir gehen in ein neues Zeitalter. Aber Google hat ja nicht erst vor zwei Jahren damit begonnen. KI ist schon in all unseren Produkten drin. Und diese spielen schon heute Geld ein, sei es durch gesponserte Links in Google Search, Marketing auf Youtube, Cloudlösungen oder verschiedene Bezahlmitgliedschaften. Dieses Grundmodell bleibt gleich.

Die Dotcom-Blase platzte im März 2000. Auch heute scheinen Investoren im KI-Rausch. Wo sehen Sie den Unterschied zu damals?

Wir bauen auf Bestehendem auf, und die Entwicklung trifft auf eine digitalisierte Wirtschaft. Das war Ende der 1990er anders. Damals war man gerade erst im Aufbau, internetbasierte Technologien in den Wirtschaftsalltag zu integrieren.

 

Christine Antlanger-Winter: «Für uns funktioniert der Standort sehr gut. Zürich ist einer unserer grössten Forschungs- und Entwicklungsstandorte ausserhalb der USA.» (Bild: Keystone / Michael Buholzer)

 

Welche Unternehmen nutzen heute schon KI?

Der Vorteil der generativen KI, wie es sie seit rund zwei Jahren gibt, ist die einfache Zugänglichkeit über Chatbots. Damit kann jedes Unternehmen sehr einfach seine Geschäftsprozesse optimieren. Eine von uns in Auftrag gegebene Studie zeigt: Generative KI kann das Schweizer BIP über die nächsten zehn Jahre um bis zu 85 Milliarden Franken steigern. Das heisst, im Europa-Vergleich hat die Schweiz mit 11 Prozent möglichem BIP-Wachstum das höchste Potenzial für Produktivitätssteigerungen unter allen untersuchten Ländern.

Wem hat KI heute schon einen Produktivitätsschub gebracht?

Um nur ein paar Beispiele aufzuführen: Viele Unternehmen berichten mir, dass ihr Reklamationsmanagement heute deutlich effizienter und stärker automatisiert sei. Auch bei Callcentern, im Marketing oder im kreativen Bereich gibt es Produktivitätssteigerungen.

Wo liegt das grösste Potenzial?

Gemäss Studie werden 66 Prozent der Jobs in der Schweiz durch generative KI produktiver. Vor allem bei Dienstleistungsberufen und in der Finanzwirtschaft besteht viel Potenzial. Bei 8 Prozent aller Jobs geht man davon aus, dass diese so nicht mehr bestehen bleiben. Und 20 Prozent der Jobs werden kaum von generativer KI profitieren.

Was hat KI bei Google selbst verändert? Wurden Programmierer ersetzt?

(lacht) Da wir diese Technologie entwickeln, ist der Unternehmensfokus auf das Thema KI-Forschung und -Entwicklung natürlich stark ausgeprägt. Bei ganz vielen Jobs nutzen wir die Möglichkeiten von KI auch selber.

Bei Google Schweiz mit rund 5000 KI-affinen Softwareentwicklern ist es vermutlich einfach, KI zu implementieren. Wie sieht es beim Schreiner in einem KMU aus?

Die Offenheit, neue Dinge auszuprobieren, kommt zurück. Der Zugang zu KI ist niederschwellig. Es braucht wenig Fachwissen – das gilt auch für KMU. Aber es gehört zur jeweiligen Unternehmens- und Innovationskultur, sich neue Herangehensweisen zu überlegen.

Regulieren und Deregulieren sind Staatsaufgaben. Donald Trump widerrief gleich nach Amtsantritt ein Dekret seines Vorgängers zur Eindämmung von KI-Risiken. In der EU ist der AI Act in Kraft, und der Bundesrat hat Anfang 2025 eine Auslegeordnung zu KI-Regulierungen präsentiert. Was gehört Ihrer Meinung nach zwingend reguliert?

Unser CEO Sundar Pichai sagte schon vor Jahren, KI sei zu wichtig, um sie nicht zu regulieren. KI sei aber auch zu wichtig, um sie nicht gut zu regulieren. Man sollte die Chance der Innovation für Wirtschaft und Gesellschaft ernst nehmen, aber natürlich verantwortungsvoll damit umgehen. Der Vorschlag des Bundesrats geht in diese Richtung. Für die Schweiz geht es insbesondere darum, die vorhandenen Vorteile für den Innovationsstandort zu sichern. Denn die Schweiz startet auf einem hohen Niveau mit einem weltweit exzellenten Ruf. Auf der anderen Seite gilt es, sogenannte Swiss Finishes zu vermeiden – also Regelungen, die nur für die Schweiz gelten.

 

Wir haben uns mit den AI Principles schon 2018 eigene klare ethische Richtlinien gegeben. Den regulativen Rahmen muss die Politik setzen.

 

Datenschutz, ethische Grundsätze: Was ist wichtig, damit am Schluss alle mit gleich langen Spiessen wirtschaften?

Wir haben uns mit den AI Principles schon 2018 eigene klare ethische Richtlinien gegeben. Den regulativen Rahmen muss die Politik setzen. Und es ist wichtig und richtig, dass dies im politischen System passiert. Es ist nicht unsere Aufgabe, zu sagen, was man dort definiert. Was es aber braucht, ist der gute Austausch zwischen den verschiedenen Stakeholdern. Und darin ist die Schweiz wirklich gut.

Wieso hinkt Europa bei der Entwicklung von KI-Modellen den USA und China so hinterher? Hängt das mit den Regulierungen zusammen, oder ist dort einfach mehr Risikokapital vorhanden?

Ich kann nur über die Schweiz sprechen. Hier ist das Umfeld mit global renommierten Hochschulen und dem Austausch über die Schweizer Sprachgrenzen hinweg sehr privilegiert. Wir sind mit Google seit 20 Jahren hier, weil es dieses Ökosystem gibt und weil man Toptalente aus der ganzen Welt zusammenbringen kann. Hinzu kommt ein liberales und offenes Wirtschafts- und Politiksystem.

Wird der Google-Standort in Zürich also auch in Zukunft relevant bleiben?

Für uns funktioniert der Standort sehr gut. Zürich ist einer unserer grössten Forschungs- und Entwicklungsstandorte ausserhalb der USA. In Bezug auf KI gibt es hier Leute, die an Gemini arbeiten, an Notebook LM, Google Lens oder am Project Astra, einer ständig aktiven Assistenz-KI, die auf Sprache und Bild in Echtzeit reagiert – quasi ein intelligenter permanenter Begleiter.

Wie ist es um die KI-Forschungsszene der Schweiz bestellt?

Sehr gut. Wir haben mit den eidgenössischen Hochschulen – der ETH Zürich und der EPF Lausanne – enge Forschungskollaborationen. Das heisst, wir finanzieren Forschungsprojekte oder arbeiten direkt mit Post-Docs zusammen. Sie erhalten bei uns Einblick in die Praxis und setzen danach teils ihren akademischen Werdegang fort. Daraus entstehen viele Innovationen.

Wenn die Präsidenten Trump und Macron ankünden, viel Geld in KI investieren zu wollen – verändert das Ihre Standortwahl?

Viel wichtiger als Investitionsversprechen sind die erwähnten Standortfaktoren. Mitarbeitende bleiben gerne in der Schweiz und gründen hier weitere Unternehmen, die wiederum Talente anziehen. Das ist ein sehr fruchtbares Umfeld. Mehr als 115 Unternehmen wurden von ehemaligen Google-Mitarbeitenden in der Schweiz gegründet und rund 1700 Stellen geschaffen.

KI macht Fehler und erfindet Fakten – sind das Kinderkrankheiten?

Wir arbeiten stark daran, diese allseits bekannte Halluzination von KI zu reduzieren. Die Double-Check-Funktion bei Google Gemini sorgt beispielsweise dafür, dass man Fakten in einer Antwort explizit prüfen kann. Aber natürlich kommt es auf die Art der Frage an. Bei manchen ist Faktentreue ganz wichtig. Und dann gibt es Anfragen, wo die Kreativität wichtiger ist. Dann kann etwas Erfundenes auch erwünscht sein.

Zitiervorschlag: Interview mit Christine Antlanger-Winter, Länderchefin Google Schweiz (2025). «KI ist schon in all unseren Produkten drin». Die Volkswirtschaft, 15. April.

Christine Antlanger-Winter

Die 44-jährige Oberösterreicherin ist seit April 2023 Länderchefin von Google Schweiz. Sie verantwortet zudem das Geschäft in Österreich. Bevor sie 2018 zu Google kam, war sie CEO der Mediaagentur Mindshare Österreich. Antlanger-Winter studierte Medientechnik und -design an der Fachhochschule Hagenberg und hat einen Abschluss als Diplom-Ingenieurin.