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Kommt mit KI wieder ein goldenes Zeitalter der Produktivität?

Künstliche Intelligenz steigert die Produktivität – darin sind sich die meisten Forschenden einig. Die Frage ist nur: Wie gross wird die Zunahme sein?
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Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Produktivität in der Schweiz in zehn Jahren um rund 20 Prozent: Fachpersonen sind sich uneinig, ob KI ein vergleichbares Wachstum bringen wird. (Bild: Keystone)

Verschiedene Formen der künstlichen Intelligenz (KI) gibt es schon lange.[1] Aber erst seitdem Chat-GPT Ende 2022 der breiten Öffentlichkeit verfügbar gemacht wurde, ist sie endgültig in aller Munde. So überrascht es nicht, dass sich Wissenschaft und Beratungsunternehmen vielfach an der Quantifizierung des volkswirtschaftlichen Potenzials dieser neuen Technologie versucht haben. Überraschend ist aber die grosse Diskrepanz, die zwischen den verschiedenen Prognosen besteht: Sie reichen für entwickelte Volkswirtschaften von 0,53 Prozent bis zu weit über 20 Prozent zusätzlichen Produktivitätswachstums über die nächsten zehn Jahre.[2] Zum Vergleich: Während des «goldenen Zeitalters» nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Produktivität in der Schweiz in zehn Jahren um rund 20 Prozent.[3]

Die Präsentation des chinesischen Chatbots Deepseek im Januar dieses Jahres hat die KI-Euphorie weiter gesteigert; denn Deepseek scheint nach Entwicklerangaben mit deutlich weniger Rechenleistung und folglich günstiger als bisherige KI-Modelle wie Chat-GPT trainiert worden zu sein.[4] Wir erklären, warum KI tatsächlich ein beträchtliches Produktivitätspotenzial hat und von welchen Bedingungen es abhängt, inwieweit es sich entfalten kann.

KI als Treiber der «schöpferischen Zerstörung»

KI ist wie zuvor etwa die Dampfmaschine oder die Elektrizität eine sogenannte General-Purpose Technology, die in allen Branchen und für verschiedenste Aufgaben eingesetzt werden kann.[5] Die wissenschaftliche Literatur unterscheidet deshalb mehrere Kanäle, durch die KI die Produktivität beeinflussen kann: Erstens kann KI die Arbeitnehmer bei der Erfüllung bestehender Aufgaben unterstützen. Schon heute kann sie etwa beim Formulieren von E-Mails oder beim Programmieren helfen. Zweitens kann KI auch bereits automatisierte Prozesse optimieren: Man denke hier an IT-Systeme oder Industrieroboter, die durch maschinelles Lernen noch effizienter werden.

Sowohl beim ersten als auch beim zweiten Kanal geht es um die Komplementarität von KI mit anderen Produktionsfaktoren – im ersten Fall Arbeit, im zweiten Kapital. KI wirkt demnach am «intensiven Rand»; das heisst, sie steigert die Produktivität in bestehenden Produktionsprozessen. Doch schon der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter warnte 1946 im Zusammenhang mit der von ihm beschriebenen «schöpferischen Zerstörung» vor einer Beschränkung der Analyse technologischen Fortschritts auf den intensiven Rand: «[G]ewöhnlich wird nur das Problem betrachtet, wie der Kapitalismus mit bestehenden Strukturen umgeht, während das relevante Problem darin besteht, wie er sie schafft und zerstört.»[6]

In Bezug auf KI gilt es deshalb vier weitere Wirkungskanäle am «extensiven Rand» zu unterschieden, welche die Produktivität zusätzlich beeinflussen könnten: Erstens kann KI ganze Produktionsschritte übernehmen, die bisher von Menschen ausgeführt wurden. Zweitens könnte KI ein Angebot gänzlich neuer Güter und Dienstleistungen schaffen. In beiden Fällen würde die durchschnittliche Produktivität in der Volkswirtschaft gesteigert, da KI als kostengünstiger Produktionsfaktor zunehmend zum Einsatz käme. Drittens könnte KI nicht nur direkt in bestimmten Dienstleistungen und Produktionsprozessen zum Einsatz kommen, sondern durch die Nutzung in Forschung und Entwicklung einen indirekten positiven Effekt auf die Wertschöpfung in vielen Branchen haben – etwa durch das Finden von Molekülen für neue Materialien und Medikamente. Viertens erfordert KI aber auch unterstützende Dienstleistungen, beispielsweise im Bereich Regulierung und Compliance, was die positiven Effekte abmildert.

Grosses Potenzial, aber Unsicherheiten bei quantitativen Vorhersagen

Gemäss der Theorie scheint KI also einen überwiegend positiven Einfluss auf die Produktivität zu haben. Auch die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) hat Modelle entwickelt, die qualitativ klar ein Produktivitätswachstum durch KI vorhersagen, etwa weil diese ihre Produktivität als «selbstlernendes Kapital» stetig steigert oder zunehmend komplexe Aufgaben von Menschen übernimmt.[7] Wenn die Produktivitätssteigerung also eindeutig ist, warum ist es so schwierig, sie zu quantifizieren?

Erstens können Prognosen längst nicht alle genannten Wirkungskanäle einbeziehen. Die Studien, auf denen die in der Einleitung angeführten Prognosen basieren, konzentrieren sich deshalb darauf, Effekte von KI als Komplement oder Substitut menschlicher Arbeit abzuschätzen. Dieser Fokus erklärt sich aus der Verfügbarkeit passender Daten: In den USA erfasst die O*NET-Datenbank über 1000 Berufe und insgesamt knapp 20’000 Aufgaben, die in diesen Berufen ausgeübt werden. Einem Schreiner zugeordnete Aufgaben sind etwa das «Messen und Markieren von Schnittlinien mithilfe von Lineal, Kreide und Streichmass», aber auch «die Anfertigung von Arbeitsnachweisen und die Einteilung von Mitarbeitern».[8] Schätzt man für jede Aufgabe, ob diese in Zukunft durch KI ausgeführt werden kann, erhält man ein Mass für den Gesamteinfluss von KI auf den Arbeitsmarkt und indirekt auf die Produktivität.

Zweitens widersprechen sich aber selbst die auf dieser Grundlage basierenden Studien deutlich; denn sogar bei einer genauen Unterscheidung von Berufen und Aufgaben ist nicht klar, ob KI eher am intensiven oder am extensiven Rand wirkt: Welchen Anteil der Aufgaben in einem Beruf muss KI übernehmen können, damit er wegfällt? Das müssen nicht unbedingt 100 Prozent der Aufgaben sein, wenn verbleibende Aufgaben in andere Berufe verlagert werden können. Welche Produktivitätseffekte sich aufgrund der Substitution durch KI in bestimmten Berufen ergeben, ist darüber hinaus von weiteren Faktoren abhängig: Wenn bestimmte Güter durch den Einsatz von KI günstiger werden, ist zu erwarten, dass auch komplementäre Güter oder Dienstleistungen stärker nachgefragt werden und die Arbeitsnachfrage in diesen noch bestehenden Berufen steigt. Von Substitution betroffene Arbeitskräfte könnten dann in diese Berufe wechseln. Es ist aber nicht sicher, ob die betroffenen Arbeitnehmer in ihren neuen Funktionen ähnlich produktiv sein werden wie zuvor.

KI könnte schliesslich auch einige negative Auswirkungen auf das Wachstum oder zumindest die Wohlfahrt haben. Erstens könnte die hohe Investitionsnachfrage aus dem KI-Bereich Innovationen in anderen Bereichen verlangsamen (Crowding-out). Wie enorm die Investitionen in KI sind, wurde im Januar dieses Jahres deutlich, als US-Präsident Donald Trump die Mobilisierung privatwirtschaftlicher Mittel im Umfang von 500 Milliarden Dollar ankündigte – nicht weniger als ein Drittel der gesamten jährlichen Investitionen in den USA.[9] Zweitens nützt KI auch Hackern bei Cyberangriffen und vereinfacht die Generierung von manipulierten Bildern und Fake News. Und drittens könnten sich die Gewinne durch KI bei wenigen Eigentümern von Tech-Konzernen konzentrieren und dadurch wiederum wohlfahrtsmindernd wirken.[10]

Insgesamt deuten dennoch sowohl die Theorie als auch erste quantitative Schätzungen auf ein grosses Potenzial für Produktivitätssteigerungen durch KI hin. Aufgrund der noch bestehenden grossen Unsicherheit sind Extremszenarien von nahe 0 oder weit über 20 Prozent Produktivitätswachstum jedoch keine sinnvollen Leitlinien.

Welche Faktoren die Politik beeinflussen kann

Abschliessend stellt sich die Frage, wie die Schweiz an dem erwartbaren Wachstum partizipieren kann. Bislang sind die Indikatoren vielversprechend: Grosse IT-Unternehmen wie Google und Microsoft haben hierzulande schon seit Längerem einen Standort, und in keinem anderen europäischen Land werden pro Kopf mehr Patente im Bereich KI angemeldet.[11] 2024 entschied sich auch Open AI für die Eröffnung einer Niederlassung in Zürich.

Die Politik kann diese Entwicklung unterstützen und dafür sorgen, dass die Schweiz ein globaler KI-Hub wird, indem sie die Grundlagenforschung fördert und eine schlankere KI-Regulierung als etwa die Europäische Union implementiert. Der Bundesrat kündigte im Februar 2025 bereits an, die KI-Konvention des Europarats zu ratifizieren, die Regulierung ansonsten aber erst einmal auf staatliche Akteure und grundrechtsrelevante Bereiche zu beschränken.[12] Aus unserer Sicht ist dies ein sinnvolles Vorgehen.

  1. Siehe auch den Artikel von Thilo Stadelmann in diesem Schwerpunkt. []
  2. Siehe etwa Acemoğlu (2025b), Hatzius et al. (2023) und Chui et al. (2023). Acemoğlu (2025b) bezieht sich auf die totale Faktorproduktivität, die Produktivität aller eingesetzten Produktionsfaktoren (Arbeit und Kapital). Hatzius et al. (2023) und Chui et al. (2023) geben hingegen das Wachstum der Arbeitsproduktivität an. Die Arbeitsproduktivität ist als Output pro Arbeiter definiert und das entscheidende Mass für den durchschnittlichen Lebensstandard in einem Land. Die im Rest des Artikels beschriebenen Effekte betreffen stets die Arbeitsproduktivität, aber nicht immer die totale Faktorproduktivität. []
  3. Siehe Universität Groningen/Universität Kalifornien, Davis (2025). Gemessen wird die totale Faktorproduktivität. []
  4. Siehe Deepseek (2024). []
  5. Siehe Bresnahan (2010). []
  6. Siehe Schumpeter (2020), S. 107. []
  7. Siehe etwa Gersbach et al. (2024) sowie Fuchs et al. (2025). []
  8. Siehe O*NET (2025). []
  9. Siehe Reuters (2025) sowie OECD (2025). []
  10. Siehe Acemoğlu (2025a). []
  11. Siehe Blarer et al. (2019). []
  12. Bundesrat (2025). Siehe auch den Artikel von Thomas Schneider (Bakom) in diesem Schwerpunkt. []

Literaturverzeichnis
  • Acemoğlu, D. (2025a). Power and Progress. Vortrag an der Universität Zürich. UBS Center for Economics in Society. Abgerufen am 18.02.2025.
  • Acemoğlu, D. (2025b). The Simple Macroeconomics of AI. In: Economic Policy 40.121, 13–58.
  • Acemoğlu, D. und P. Restrepo (2019). Artificial Intelligence, Automation, and Work. In: The Economics of Artificial Intelligence: An Agenda, S. 197–236. Hrsg. von A. Agrawal, J. Gans & A. Goldfarb. University of Chicago Press.
  • Blarer, A., M. Buffat, C. Busch, D. Egloff, J. Fanzun, G. Haefliger, P. Langer, B. Loison, T. Luder, A. Malz, E. Scheidegger, T. Schneider, M. Schöll, P. Schwaar, M. Stämpfli und V. Weber (2019). Herausforderungen der künstlichen Intelligenz: Bericht der interdepartementalen Arbeitsgruppe «Künstliche Intelligenz» an den Bundesrat. Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI.
  • Bresnahan, T. (2010). General Purpose Technologies. In: Handbook of the Economics of Innovation, S. 761–791. Hrsg. von Bronwyn Hall & Nathan Rosenberg. Bd. 2. Elsevier.
  • Bundesrat (2025). KI-Regulierung: Bundesrat will Konvention des Europarats ratifizieren. Medienmitteilung vom Abgerufen am 18.02.2025.
  • Chui, M., E. Hazan, R. Roberts, A. Singla, K. Smaje, A. Sukharevsky, L. Yee und R. Zemmel (2023). The Economic Potential of Generative AI: The Next Productivity Frontier. McKinsey & Company.
  • Fuchs, J., H. Gersbach und S. Schmassmann (2025). Skills, Tasks, and the Complexity Premium. CEPR Discussion Paper (noch nicht veröffentlicht).
  • Gersbach, H., E. Komarov und R. von Maydell (2024). Artificial Intelligence as Self-Learning Capital. CEPR Discussion Paper 17221. Centre for Economic Policy Research.
  • Hatzius, J., J. Briggs, D. Kodnani und G. Pierdomenico (2023). The Potentially Large Effects of Artificial Intelligence on Economic Growth. Goldman Sachs.
  • OECD (2025). Gross Fixed Capital Formation for United States (USAGFCFQDSMEI). Abgerufen am 18.02.2025 von FRED, Federal Reserve Bank of St. Louis.
  • O*NET (2025). O*NET 28.3 Data Dictionary, Tabelle «Tasks to DWAS». Abgerufen am 06.03.2025.
  • Reuters (2025). Trump Announces Private-Sector $500 Billion Investment in AI Infrastructure. Abgerufen am 18.02.2025.
  • Schumpeter, J. (2020). Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. 10. Aufl. Tübingen: Narr-Francke-Attempto-Verlag.
  • Universität Groningen/Universität Kalifornien, Davis (2025): Total Factor Productivity at Constant National Prices for Switzerland (RTFPNACHA632NRUG). Abgerufen am 07.03.2025 von FRED, Federal Reserve Bank of St. Louis.

Bibliographie
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Zitiervorschlag: Fuchs, Johann; Gersbach, Hans (2025). Kommt mit KI wieder ein goldenes Zeitalter der Produktivität? Die Volkswirtschaft, 10. April.